Leere und Wehmut in ParisDas Ende von Olympia reisst die Franzosen in ein Loch – doch es gibt Hoffnung
Zunächst wollte man sie nicht, nun fehlen sie schon: Paris ist geplagt vom Blues nach den Spielen. Zum Glück gibt es eine Verlängerung im selben Dekor, ab 28. August. Das Interesse ist riesig.
Bonjour tristesse. Die plötzliche Leere nach dem Trubel der Spiele, nach den Lobhudeleien aus der ganzen Welt, der schönen Euphorie rund um Paris 2024 – die Franzosen versuchen gerade, damit umzugehen. Und weil das nicht so recht gelingen mag, fragen die Zeitungen bei Psychologen nach. «Le Parisien», so etwas wie die Lokalzeitung der Pariser, gehobener Boulevard, interviewte den Sportpsychologen Jean-Paul Labedade, und der sagte es so: «Nach einer Phase des Hochgefühls setzt immer eine Form von Depression ein.» Sein abgeklärter Fatalismus macht es natürlich nicht besser, Frankreich fällt in ein Loch.
Es gibt schon einen Begriff für den Blues, der über allem liegt: «JO-stalgie». Das ist eine Wortkombination aus dem Akronym von «Jeux olympiques» und einer verkürzten Form von «nostalgie». Das Ende war erst am Sonntag, doch da ist schon Wehmut, wer hätte das vor ein paar Wochen für möglich gehalten. Die Pariser waren illusionslos gewesen vor Beginn ihrer Sommerspiele, eine Katastrophe hatten sie erwartet, geflohen sind sie vor ihnen. Und nun das.
«Le Parisien» hat eine grosse Umfrage gemacht: 67 Prozent der befragten Franzosen finden, Frankreich habe sich gut bis grandios verkauft in der Welt. Nur zwölf Prozent sagten: eher nicht gut oder gar nicht gut. Die Übrigen mochten sich nicht festlegen. Für die Psychiaterin Stéphanie Hahusseau, die vom Nachrichtenmagazin «Le Point» befragt wurde, ist das ein mittleres Wunder: «Die Franzosen sind Meckerer, das ist fast ein nationales Erkennungsmerkmal. Nun haben wir uns selbst gezeigt, dass wir fähig sind, etwas Grosses zu schaffen, unsere Erwartungen zu übertreffen, alle gemeinsam.»
Tatsächlich, so fühlte sich das an. «Es war, als wiege die Luft leichter», sagte Emmanuel Macron, der Präsident der Republik, der sich von dieser Leichtigkeit auch politisch einiges erwartet. Er muss ja jetzt einen Regierungschef finden, sitzt dafür noch mal ein paar Tage im Fort de Brégançon, der präsidialen Sommerresidenz an der Côte d’Azur – und telefoniert herum, wie man hört.
Aber wie lange hält die Leichtigkeit an? Ist sie vielleicht schon weg?
Paralympics werden «emotional noch stärker»
Paris ist noch etwas leerer geworden, als es das schon während der Spiele gewesen war, auch wenn man diesen Eindruck bei der Übertragung vielleicht nicht wahrgenommen hatte: Die Stadien, die waren voll, die Fanzonen auch. Doch der Rest der Stadt, fernab der Sportstätten, war so angenehm leer, wie es das auch im Sommer sonst nie der Fall ist. Die RATP, die städtische Transportgesellschaft, hatte die Frequenz der Métros und der Busse erhöht und den Angestellten dafür Sonderprämien bezahlt: Man kam deshalb auch für sportirrelevante Beschäftigungen so schnell durch Paris wie sonst nie.
Nun sind die fröhlichen Sporttouristen in ihren kurzen Hosen wieder weg, die olympische Fahne ist bereits in Los Angeles angekommen, wo 2028 die nächsten Sommerspiele stattfinden werden. Und die RATP? Hat die Frequenz wieder zurückgefahren. Für ein paar Wochen wenigstens, es ist ja noch nicht vorbei.
Wenn man dem Räsonnement von Tony Estanguet folgt, dem Präsidenten des olympischen Organisationskomitees der Spiele, dann läuft jetzt nur die Pause vor der «zweiten Halbzeit», den Paralympics vom 28. August bis zum 8. September. «Und die werden emotional noch stärker sein», sagt Anne Hidalgo, die linke Pariser Bürgermeisterin, die aus dieser Sommersequenz in ihrer Stadt einen Moment der Inklusion machen will, in jeder Hinsicht, rundum.
Blindenfussball vor dem Eiffelturm
4400 Athletinnen und Athleten nehmen an den Paralympics teil, in 22 Sportarten. Sie werden ihre Wettbewerbe an denselben Orten austragen wie die olympischen, in demselben gloriosen Dekor: Gefochten wird also wieder im Grand Palais, Basketball wird in der Bercy Arena gegeben, die Reiterei in Versailles, die Leichtathletik im Stade de France, das Sportschiessen in Châteauroux, Tennis in Roland Garros. Und der Blindenfussball findet vor dem Eiffelturm statt, da, wo die Beachvolleyballer gespielt hatten: Der Sand wird gerade weggebracht für einen festen Untergrund.
Abgebaut wird die Installation an der Place de la Concorde, wo unter anderem die Breakdancer aufgetreten waren. Der Platz wird Teil der Eröffnungsfeier sein, die wieder von Thomas Jolly inszeniert wird, dem Regisseur der olympischen Zeremonien.
Die Länderdelegationen, so viel ist schon bekannt, werden dann auf der Avenue des Champs-Élysées paradieren. Und wenn die «zweite Halbzeit» beginnt, soll auch die beliebte «Vasque», die Feuerschale mit dem angehängten Ballon im Jardin des Tuileries, wieder jeden Abend in den Pariser Himmel steigen mit ihrem künstlichen Feuer und dem Rauch aus Düsen.
Fast alles soll also werden wie in der ersten Halbzeit. Plötzlich zieht auch der Verkauf der Eintrittskarten an, getrieben von der Lust der Franzosen, dass das schöne Gefühl sich ein bisschen verlängern lässt. Vor den «JO» war nicht einmal die Hälfte der 2,8 Millionen Tickets weg. Nun aber registriert man jeden Tag fünfmal mehr Buchungen, sechs Wettbewerbe sind schon ausverkauft. Ein ähnliches Phänomen hatte es auch in London 2012 und Rio 2016 gegeben. Die Olympischen Spiele sind ein Euphoriebeschleuniger.
Den schönsten Satz zu den Paralympics sagte Teddy Riner, der grosse französische Judoka, der mal wieder Gold allein und Gold mit der französischen Mannschaft gewonnen hat. «Wir alle kämpfen, wir trainieren, doch die wahren Helden sind die paralympischen Athleten: Sie haben eine Behinderung, mit der es schon schwierig ist, zu leben, und sie erbringen unfassbare sportliche Leistungen», sagte er bei der Abschlussfeier. «Die wahren Olympischen Spiele beginnen mit den Paralympics.» Alles auf Anfang, noch mal erste Halbzeit.
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