AboHallen-Europameisterin Ajla Del Ponte«Ich hab Fenster eingeschlagen – einfach um zu schauen, wie das ist»
Sie hatte eben Corona, verabscheut Ungerechtigkeit, möchte Schach spielen lernen und die Vögel an ihrem Gezwitscher erkennen: Sprint-Europameisterin Ajla Del Ponte.

Wer sind Sie?
Ich bin Ajla Del Ponte, eine Tessiner Profi-Sprinterin, und ich bin eine Tagträumerin. Wenn ich beispielsweise spazieren gehe, bin ich nicht dort, wo ich bin. Meine Gedanken sind immer anderswo und beschäftigen sich mit Eventualitäten. Wenn das und das passiert, könnte auch noch das und das passieren. Das geht immer so.
Was ist das Verrückteste, das Sie je getan haben?
Da gäbe es schon ein paar Dinge. Aber ich kann sie nicht erzählen, weil wir, meine Freundinnen und ich, einander versprochen haben, dass wir nicht darüber sprechen. Aber als Kind, da habe ich extrem die Grenzen ausgelotet. Da habe ich einmal ein paar Fenster eingeschlagen – einfach um zu schauen, wie das ist und was nachher passiert.
Wie lange halten Sie es ohne Handy aus?
Schon mehrere Stunden. Einen ganzen Tag war ich aber noch nie ohne. Wenn ich allerdings mit Freunden unterwegs bin, ist mein Handy nie auf dem Tisch. Es ist einfach dabei. Das hat auch Nachteile: Ich habe nur wenig Bilder mit den Leuten, die mir nahestehen. Weil wir nicht spontan Fotos machen.
Was treibt Sie zur Weissglut?
Ungerechtigkeit! Wenn Leute beispielsweise unterschiedlich behandelt werden oder man sich nicht an Regeln hält.
«Wenn ich mit dem Sport aufhöre, muss ich erst einen neuen Sinn im Leben finden.»
Was ist der Sinn des Lebens?
Zuerst einmal: Jeder muss seinen eigenen Sinn des Lebens finden. Was meiner ist, muss nicht Ihrer sein. Meinen muss ich noch finden, Sport treiben ist ein Teil, aber nur ein Teil davon. Wenn ich damit aufhöre, muss ich einen neuen Sinn finden.
Was hat Sie zuletzt zu Tränen gerührt?
Ich weine oft, wenn ich Filme schaue und es emotional wird. Aktuell ist gerade die Serie «Avatar – The Last Airbender», in der ein Mann seinen Sohn an dessen Geburtstag verliert. Das war so emotional, dass ich weinen musste. Und als ich Hallen-Europameisterin wurde im März, da habe ich auch viel geweint. (lacht)
Wieso möchten Sie gerne Ihre Freundin sein?
Weil ich genau so bin, wie ich mich gebe – authentisch. Ich bin nicht kompliziert, bin immer da für meine Freunde. Wenn sie eine grosse Umarmung brauchen – ich bin da.
Sollte man Fremdgehen verzeihen?
Nein, ich würde nicht. Aber wenn es andere tun, geht mich das nichts an.
Welches Lied können Sie auswendig?
Ich kann viele auswendig! Ich liebe Musik. Lieder von Zucchero, allen voran «È delicato», «It’s a kind of magic» und «Don’t stop me know» von Queen oder auch «Ink» von Coldplay.
Ihre schönste Kindheitserinnerung?
Ich habe viele. Als Kinder spielten wir viel draussen, mit meinen Freundinnen und Freunden, aber auch mit meinem Bruder Karim. Wir haben viel in der Natur gespielt. Als Karim und ich an einem Sonntag wieder zu unserem Lieblingsplatz im Wald gingen, wollte unsere Katze unbedingt mitkommen. Es gab da einen grossen Felsen, einen sehr schönen Baum, und es war sonnig, da haben wir viel gespielt. Es war ein wenig wild, aber es war super.
Sind Sie ein Mami- oder ein Papi-Kind?
Darf ich bei dieser Frage gutschweizerisch neutral bleiben? (lacht) Mein Vater und ich, wir sind uns sehr ähnlich, wir packen Dinge gleich an. Und ich bin ähnlich sensibel wie meine Mutter, wir kümmern uns immer zuerst um die anderen und dann erst um uns. An die Wettkämpfe begleitet haben uns immer beide, mein Bruder ist ja Eishockeyspieler. Und mein Vater nahm immer frei, wenn ich nach Bern ins Staffeltraining musste. Das wäre zu weit gewesen vom Tessin aus.
Wann hatten Sie so richtig Glück?
Ich finde, ich habe jeden Tag Glück – auch weil ich ein paar gute Entscheidungen getroffen habe. Aktuell aber hatte ich grosses Glück, weil ich Corona jetzt hatte und nicht kurz vor den Olympischen Spielen.
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Gibt es einen Gott?
Ich kenne ihn noch nicht. Und vielleicht ist es auch eine Göttin. Vielleicht gibt es auch mehrere Götter. Ich mag die griechische Mythologie sehr, aber auch die ägyptischen und nordischen Gottheiten.
Was stört Sie an der Schweiz?
Nicht viel. Einiges könnte aber schon besser sein. Beispielsweise finde ich, dass in der Schule die Geschichte der Schweiz zu kurz kommt. Wir wissen nach der Schule mehr über andere Länder als über das eigene – und die Schweiz hat eine lange Geschichte. Ich finde, das ist auch der Grund, wieso wir nicht wirklich eine Einheit sind.
Was haben Sie in der Coronazeit gelernt?
Das Leben Tag für Tag zu nehmen. Es ist gut, zu planen, aber es ist auch wichtig, etwas umstellen zu können. Für mich war es vor der Pandemie immer ein Stress, wenn sich der Plan änderte. Jetzt bin ich flexibler und auch spontaner.
Wenn Sie eine Kristallkugel hätten, was würden Sie wissen wollen?
(lacht) Ich möchte wissen, ob zuerst das Huhn oder das Ei war.
Was ist das Ekelhafteste, was Sie je gegessen haben?
Ich weiss es nicht – nichts. Ich könnte jetzt Broccoli sagen, aber selbst Broccoli esse ich ab und zu. Ekelhaft ist das ja nicht.
Ihr Serientipp?
«Peaky Blinders», das ist eine britische Dramaserie, die in den 1920er- und 1930er-Jahren spielt, die ist cool. Oder auch «The Witcher», das ist eine Fantasyserie um eine Hexer-Saga.
«Ich habe Angst davor, dass ich mich hängen lassen könnte. Und ich habe Höhenangst.»
Wovor haben Sie Angst?
Dass ich mich hängen lassen könnte. Und ich habe Höhenangst. Bereits drittes Stockwerk geht nicht mehr zum Hinunterschauen, schon da wird mir schwindlig. Auch wenn wir in den Bergen wandern und die anderen nahe am Abgrund stehen, bekomme ich Angst – um sie.
Wie oft sind Sie umgezogen?
Uuh, Moment, da muss ich erst zählen. – Neun Mal! Meine Eltern haben plötzlich wieder gefunden, so, jetzt sind wir genug lange hier, jetzt zügeln wir. Aber wir blieben immer im Tessin. Wegen des Studiums zügelte ich später nach Lausanne in eine WG, und dann weiter in eine eigene Wohnung. Und bald folgt das zehnte Mal, wieder zurück ins Tessin.
Sie wären für einen Tag ein Mann. Was würden Sie tun?
Ich würde allen Frauen in der Verwandtschaft einen schönen Blumenstrauss schenken.
Was ist der grösste Quatsch, der über Sie geschrieben wurde?
Ich kann mich an nichts erinnern, ich habe das Gefühl, das war immer korrekt und präzis. Gut, mein Name wird oft falsch geschrieben, aber sonst ist es okay.
Bei was haben Sie Ihre Meinung fundamental geändert?
Nicht bei irgendwelchen Sachen, aber die Meinung über Leute. Es gab Menschen, die ich nicht wirklich mochte. Als ich sie aber besser kennenlernte, musste ich meine Meinung völlig ändern, es ging so weit, dass wir beste Freundinnen wurden.
Worüber reden Sie nicht mit Ihrem Partner?
Momentan habe ich gerade keinen Freund, aber ich rede über alles. Ich möchte sowieso mit den Menschen, die ich liebe, über alles sprechen. Für mich gibt es keine Tabus.

Ihr Tipp für Hobbysportler?
Dass auch sie sich erholen müssen nach einer sportlichen Anstrengung. Ich muss das meinem Vater immer wieder sagen. Bei uns Profisportlern ist Erholung Teil des Berufes. Hobbysportler sollten sich als Belohnung auch einmal eine Massage gönnen.
Was war der Leitsatz in Ihrer Familie?
Die Eltern haben meinem Bruder und mir immer wieder gesagt, dass wir alle anderen respektieren müssen, wie sie sind. Dass nicht alle Menschen gleich sind, und dass wir die Unterschiede akzeptieren und respektieren müssen. Ich glaube auch wirklich, dass wir nicht über andere richteten oder sie in Schubladen einteilten. Alle sind so, wie sie sind.
Was sollte gesetzlich besser geregelt sein?
Viel – und trotzdem ist es schwierig zu sagen. Die Gleichheit in der Schweiz ist verglichen mit den USA, wo der Rassismus ein grosses Problem ist, einigermassen gegeben. Es bräuchte noch Lösungen für die AHV-Revision, am wichtigsten aber: Wir müssen uns viel stärker in Sachen Klimawandel und ökologischer Krise engagieren.

Was finden Sie attraktiv an sich?
Ich mag meine Augen.
Ihre grösste Herausforderung im Leben?
Ich denke, sie kommt erst noch! Das ist ja das Spannende am Leben, wir wissen nicht, was es bringt. Ich war bisher glücklich. Weil ich aber ein Familienmensch bin, war der Wechsel nach Lausanne und jetzt trainingsmässig in die Niederlande schon eine Herausforderung. Weg zu sein von zu Hause, macht es für mich komplizierter.
Bei wem müssten Sie sich eigentlich entschuldigen?
Wahrscheinlich bei niemandem, weil ich mich sowieso schon die ganze Zeit bei anderen entschuldige – auch wenn sie sich bei mir entschuldigen müssten. Ich sage so oft sorry, dass sich der andere gar nicht mehr entschuldigen kann, und mir wäre nicht wohl, wenn ich es nicht täte. (lacht)
Was möchten Sie gerne noch lernen?
Oh, vieles! Ein paar Sprachen, Schach spielen, ich bewundere die Leute, die die Vögel an ihrem Gezwitscher erkennen – Tanzen kann ich noch nicht und singen auch nicht. Sie sehen, es gibt vieles zu lernen.
Ihr Spitzname als Kind und heute?
Mein Vater nannte mich Ajluz, das war nicht schön, oder Cibi. Und die Freunde nennen mich heute noch Ajletta, kleine Ajla.
Werden Sie Ihre Organe spenden?
Ja, definitiv. Ich wollte mir schon länger einen Spenderausweis ausstellen lassen. Wenn jemand nach meinem Tod besser leben kann wegen mir, dann ist das gut.
Könnten Sie auf Fleisch verzichten?
Wenn ich mit Spitzensport aufhöre, werde ich aus ökologischen Gründen auch auf Fleisch verzichten. Jetzt esse ich noch, achte aber genau darauf, dass es aus der Schweiz kommt oder noch besser vom Bauern aus der Region.
Was würden Sie an sich ändern?
Nichts. Ich bin so von meinen Eltern gezeugt worden, meine Mutter hat mich so geboren, und ich glaube, es gibt schon einen Grund, wieso wir so sind, wie wir sind. Oder vielleicht würde ich mein Verhalten ein wenig ändern – mich weniger darum kümmern, was die Leute über mich sagen oder denken.
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