Konflikt im Roten MeerDie Huthi-Angriffe bringen China in ein Dilemma
Die Attacken auf Schiffe sind für Peking ein Problem. Sein Verbündeter Iran hätte Einfluss auf die jemenitische Miliz. Wie wird sich China verhalten?
Nicht weniger als zwölf Stunden dauerten die Gespräche. Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, und Chinas Chefdiplomat Wang Yi begegneten sich am Wochenende in Bangkok. Das Treffen habe dazu gedient, mit «Wettbewerb und Spannungen» verantwortungsbewusst umzugehen, sagte eine Vertreterin der US-Regierung. Einer der grössten Krisenherde, die Sullivan mit dem chinesischen Aussenminister zu besprechen hatte: die Angriffe der jemenitischen Huthi-Miliz im Roten Meer. «Wir haben China nicht zum ersten Mal aufgefordert, eine konstruktive Rolle zu spielen», hiess es aus Washington.
Seit Beginn des Gazakriegs greift die militant-islamistische Huthi-Miliz im Roten Meer immer wieder Frachter mit angeblich israelischer Verbindung an. Die Huthi gehören zur sogenannten Achse des Widerstands, einem Geflecht von Gruppen im Kampf gegen Israel, die von Teheran unterstützt werden. China und Russland gelten wiederum als wichtige strategische Partner des Iran. Durch seine Beziehungen hat das Land laut den Amerikanern ein «erhebliches Druckmittel», um die Angriffe zu stoppen. Peking sollte dieses nutzen, so die Forderung aus Washington.
Zu den Schiffen mit angeblichem Israelbezug zählen der militanten Gruppe zufolge auch Frachter aus Ländern, die sich an Angriffen gegen Ziele der Huthi beteiligen. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Warum legen sich die Huthi-Rebellen mit der Weltmacht USA an?»)
Um den Warentransport auf einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt zu schützen, haben sich mehr als 20 Länder zu einem internationalen Militärbündnis zusammengeschlossen, darunter die USA, Grossbritannien, Frankreich, Italien, die Niederlande und Norwegen. Ein Funktionär der Huthi-Miliz erklärte, für andere Nationalitäten sei eine Durchfahrt sicher, insbesondere aber für russische und chinesische Schiffe.
Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums liess kürzlich verlauten, China sei über die Lage im Roten Meer «zutiefst besorgt». Die Spannungen nannte er einen «Spillover-Effekt» des Gazakonflikts, vermied aber, die militant-islamistische Miliz oder deren Schutzmacht Iran beim Namen zu nennen. Für Peking sind die Angriffe ein strategisches Dilemma.
Einerseits ist China als Exportnation auf sichere Handelswege angewiesen, 60 Prozent der chinesischen Exporte nach Europa werden über das Rote Meer verschifft. Nach drei Jahren Corona-Pandemie, die gerade in Chinas Häfen Chaos auslösten, und angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs bringen die Angriffe die internationalen Lieferketten ein weiteres Mal durcheinander.
Auch Chinas Grossreederei Cosco meidet Rotes Meer
Behalten die Schiffe ihre Route bei, steigen die Kosten für die Absicherung der Ware. Nehmen die Reedereien einen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas, sind sie 10 bis 14 Tage länger unterwegs. Die Folge sind höhere Seefrachtkosten und überlastete Häfen.
Eigentlich kann Peking sich die Krise gerade nicht leisten. Chinas Wirtschaft steckt in ernsten Schwierigkeiten. Hohe Jugendarbeitslosigkeit, geringer Konsum und eine schwache globale Nachfrage belasten die Konjunktur. Dazu kommt eine schwere Immobilienkrise, am Montag ordnete ein Hongkonger Gericht die Auflösung von China Evergrande an, einst das weltweit wertvollste Immobilienunternehmen.
Auch wenn die Huthi bisher keine chinesischen Schiffe angreifen, steigen die Preise für Produkte, wenn sie auf nicht chinesischen Schiffen transportiert werden. Die Containerpreise sind in den vergangenen Wochen explodiert, selbst Chinas Grossreederei Cosco fährt inzwischen andere Routen. In Europa stehen bereits erste Autofabriken still, weil Teile aus China fehlen.
Einfluss auf den Iran hätte die Volksrepublik durchaus. Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng, aber unausgeglichen. Während der Anteil des iranischen Rohöls an den Gesamtimporten in China bei nur 10 Prozent liegt, gehen 90 Prozent des iranischen Öls in die Volksrepublik. Chinas Energiehunger ist der Grund, warum die westlichen Sanktionen die Öleinnahmen des Iran nie abwürgen konnten. Durch ein 2021 unterschriebenes Wirtschaftsabkommen über 25 Jahre erhofft sich der Iran weitere Direktinvestitionen.
Peking wird keinen grossen Druck auf den Iran ausüben
Grösserer Druck oder gar ein militärisches Eingreifen ist von Peking dennoch nicht zu erwarten. Auch wenn China nach der wachsenden Kritik erklärt hat, mit dem Iran im Gespräch zu sein, hat sich Peking dem Militärbündnis nicht angeschlossen. Die Lage in der Region gilt als extrem volatil. Peking fehlt die Erfahrung in solchen riskanten und kostspieligen Einsätzen. Sie bedeuten zunächst ein Risiko, das Peking gar nicht eingehen muss. Für den Moment garantieren ja andere Staaten die Sicherheit, auch wenn die Militärallianz die Angriffe der Miliz bisher nicht stoppen konnte.
Dazu kommt, dass es sich um ein US-geführtes Militärbündnis handelt. Eine Kooperation mit dem zum Bösewicht erklärten Amerika liesse sich zu Hause nur schwer vermitteln und dürfte als Schwäche gedeutet werden.
Peking stellt die Sicherheitspolitik Washingtons als gänzlich falsch dar. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind seit Jahren angespannt. Zu den Konfliktthemen gehören Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, die Drohungen gegen Taiwan ebenso wie die US-Sanktionen, die China den Zugang zu wichtiger Chiptechnologie verwehren sollen.
Augenscheinlich widerspricht die Trittbrettstrategie aber Pekings eigenen Ambitionen, als globale Ordnungsmacht wahrgenommen zu werden. Im ostafrikanischen Djibouti, direkt am Roten Meer, betreibt China sogar seine einzige ausländische Militärbasis. Doch noch scheinen die Vorteile für Peking zu überwiegen: Während die USA ihre Angriffe verteidigen müssen, kann Peking diese als kriegstreiberisch kritisieren und sich auf seine vermeintlichen Friedensbemühungen berufen. Eine Botschaft, die in einigen Teilen der Welt tatsächlich verfangen könnte.
Die chinesischen Staatsmedien stellen Washington als einen Zündelnden dar, der den Konflikt durch seine Unterstützung für Israel nährt. Auch für die Lage im Roten Meer soll Amerika verantwortlich sein. Der Druck auf Peking, sich im Roten Meer zu engagieren, sei hingegen «emotionaler Missbrauch» der Chinesen.
Wie im Ukraine-Krieg kommt es Peking zudem gelegen, wenn die westlichen Mächte mit anderen Konflikten beschäftigt sind, während es seine eigene Einflusssphäre ausbaut. Im Nahen Osten hat China sein Engagement zuletzt gestärkt, um sich Zugang zu Energie und neuen Handelswegen zu sichern.
Chinas Regierung toleriert wachsenden Antisemitismus
Im August veranlasste China, dass die Erweiterung der Brics-Gruppe Saudiarabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten umfasste. Seit vergangenem Jahr ist der Iran Mitglied der russisch-asiatischen Shanghai-Organisation, auch in den Verhandlungen zwischen Saudiarabien und dem Iran trat Peking 2023 als Vermittler auf.
Im Krieg zwischen Israel und der Hamas gibt sich China – wie schon nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – als neutral, unterstützt aber die palästinensische Seite. Seit dem Massaker vom 7. Oktober hat Peking die Taten der Hamas nicht verurteilt und vermieden, die Gruppe namentlich zu nennen. Zu Hause toleriert das Regime einen wachsenden Antisemitismus, der im strikt überwachten Internet unzensiert bleibt.
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