Immobilienkrise in ChinaEvergrande – kollabiert jetzt der Immo-Markt? Wie reagiert die Börse?
Ein Gerichtsurteil in Hongkong verschärft die Krise beim einstmals grössten Bauunternehmen Chinas. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie kam es zum Liquidationsentscheid durch das Gericht?
Evergrande war eine Weile das nach Umsatz grösste Bauunternehmen Chinas. Es finanzierte sein rasantes Wachstum durch die Aufnahme von hohen Krediten. 2020 begann die chinesische Regierung, das enorme Schuldenwachstum im Immobiliensektor durch verschiedene Massnahmen zu bremsen. Gleichzeitig endete die lange Phase sinkender Zinsen, der Verkauf von Wohnungen an die Bevölkerung wurde schwieriger.
Im Dezember 2021 konnte Evergrande eine Dollaranleihe nicht mehr mit Zinsen bedienen. Es begannen langwierige Verhandlungen mit den Gläubigern über einen Umstrukturierungsplan. Ein Investor einer Evergrande-Anleihe reichte im Juni 2022 Klage vor einem Gericht in Hongkong ein, um das Unternehmen zu liquidieren. Das Gericht vertagte das Verfahren mehrmals, um Evergrande Zeit zu geben, die Schulden umzustrukturieren.
Im September letzten Jahres wurde Hui Ka Yan, der Gründer von Evergrande, wegen Verdachts auf Straftaten verhaftet. Das brachte die Umschuldungspläne, die wegen steigender Zinsen und der Krise im Immobilienmarkt schon schwierig genug waren, endgültig ins Stocken. Am 29. Januar ordnete die zuständige Richterin vor dem obersten Gerichtshof in Hongkong die Liquidation von Evergrande an.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Gericht wird einen Liquidator ernennen, der die Leitung des Unternehmens übernehmen wird. Die Aufgabe des Liquidators ist es, überlebensfähige Teile auszugliedern, die laufenden Geschäfte zu beenden, die Verpflichtungen weitestmöglich zu erfüllen, Forderungen einzuziehen und das letztlich verbleibende Vermögen der Gesellschaft an die Gläubiger zu verteilen.
Das ist eine Herkulesaufgabe. Das Unternehmen ist ein grosses Konglomerat verschiedener Firmen. Die Geschäftsbereiche reichen von der Vermögensverwaltung über die Herstellung von Elektroautos bis hin zur Produktion von Lebensmitteln und Getränken. Sie besitzt sogar eine Beteiligung am Fussballclub Guangzhou FC.
Der Schuldenberg ist riesig. Die Verbindlichkeiten betragen schätzungsweise 2,4 Billionen Yuan, rund 333 Milliarden US-Dollar. Auf der Aktivseite der Bilanz stehen aber nur schätzungsweise 1,7 Billionen Yuan.
Es bleibt abzuwarten, wie das Urteil auf dem chinesischen Festland akzeptiert wird. Evergrande ist zwar in Hongkong börsennotiert, aber fast alle seine Vermögenswerte, vor allem die Bauprojekte, befinden sich in Festlandchina, nicht in Hongkong, ebenso wie die überwiegende Mehrheit seiner Verbindlichkeiten.
Es ist sehr fraglich, ob der Liquidator in Hongkong die Projekte von Evergrande im Festlandchina beschlagnahmen kann. Dazu bräuchte es wohl eine Anerkennung des Urteils durch Gerichte in China. Bis jetzt wurden Insolvenzverfahren in Hongkong nur begrenzt anerkannt. Zudem würden chinesische Gerichte wohl eigene Liquidatoren einsetzen.
Um die Vermögenswerte möglichst zu erhalten, werden der Liquidator und die chinesischen Behörden dafür sorgen, dass die Bauarbeiten, der Verkauf von Wohnungen und andere Aktivitäten möglichst fortgesetzt werden. Direkte Folgen hat das Urteil auf diesem Gebiet also noch nicht.
Was bedeutet die Liquidation für die Anleihegläubiger?
Das Gericht liess die Möglichkeit einer Restrukturierung zwar offen, aber die Aussichten der Anleihegläubiger sind schlecht. Evergrande-Anleihen werden derzeit zu 1,5 Prozent ihres Nennwerts gehandelt, die Anleger glauben also offensichtlich, dass das Geld verloren ist.
Wie reagiert die Börse?
Der Handel mit Evergrande-Aktien wurde am Montag ausgesetzt, nachdem der Kurs um 21 Prozent abgestürzt war. Der Marktwert betrug zu diesem Zielpunkt nur noch 2,2 Milliarden Hongkong-Dollar. Auf dem Höhepunkt 2017 war es 414 Milliarden wert gewesen. An den Börsen in China und Hongkong blieb es relativ ruhig.
Steckt die Evergrande-Liquidation weitere Immobilienfirmen an?
Die Ansteckung ist längst erfolgt. Viele Konkurrenten von Evergrande sind in ähnlichen Schwierigkeiten, mehrere sind ebenfalls zahlungsunfähig. Mehr als ein Dutzend chinesischer Bau- und Immobilienunternehmen arbeiten an Umschuldungsverfahren. Wie es bei Evergrande jetzt weitergeht, wird mit Spannung beobachtet, weil einer ganzen Reihe von Unternehmen ein ähnliches Schicksal droht.
Kollabiert jetzt Chinas Immobilienmarkt?
Der chinesische Immobilienmarkt steckt seit 2020 in der Krise. Es werden viel weniger Wohnungen verkauft, die Unternehmen finden kaum Kapital. Das Gerichtsurteil zu Evergrande verschlechtert die Stimmung im Markt weiter. Es gibt keine Anzeichen, dass die Pleitewelle zu Ende geht.
Die Menschen in China haben keine gute Altersvorsorge, die Banken bieten keine günstigen Sparmöglichkeiten an. Deshalb sind Wohnungen die bevorzugte Lösung für Sparer. Die Evergrande-Pleite wird die Zurückhaltung der Wohnungskäufer verstärken. Denn sie müssen befürchten, dass ihre Wohnung nicht fertiggestellt werden kann. Schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen haben Evergrande Anzahlungen für unfertige Wohnungen bezahlt.
Die Hausverkäufe und die Preise sinken, obwohl die Behörden die Finanzierung von Baufirmen unterstützen und den Kauf von Wohnungen erleichtern. Die Regierung in Peking wird entscheiden müssen, ob sie den Markt stärker stützen will, um einer weiteren Schrumpfung und weiteren Pleiten entgegenzuwirken.
Manche Beobachter befürchten eine «Japanisierung» Chinas. Als die Immobilienblase in Japan Anfang der 1990er-Jahre platzte, folgte eine jahrzehntelange wirtschaftliche Stagnation. Allerdings spielen in China die Regierung und die lokalen Behörden und staatlichen Banken eine viel grössere Rolle als in Japan.
Der Staat hat Möglichkeiten, Notverkäufe und den Zusammenbruch bedeutender Akteure zu verhindern. Eine Bankenkrise wie in Japan ist deshalb unwahrscheinlich.
Warum rettet der Staat Evergrande nicht einfach?
Präsident Xi Jinping hat den Kampf gegen die Immobilienspekulation zu einem seiner Ziele gemacht. Häuser seien zum Wohnen da, nicht zur Spekulation. Die Politik wurde in der Krise stellenweise gelockert, gilt aber nach wie vor. Sie wird nun zunehmend auf die Probe gestellt.
Die Regierung hat im Fall Evergrande und bei anderen Bauunternehmen direkt nicht eingegriffen. Viele Anleihegläubiger sitzen im Ausland, Peking hat kein Interesse daran, diese zu retten.
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