Rezepte gegen ZynismusIch bin okay, du wahrscheinlich auch
Unehrlichkeit und Gier sind die dominierenden Eigenschaften der Menschheit? Denken Sie nochmals nach.
Wurde letzte Woche Ihr bevorzugter Kandidat US-Präsident? Falls ja: Schön für Sie! Gemäss Umfragen würden allerdings nur 10 bis 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung Donald Trump wählen. Was wiederum bedeutet, dass nun viele deprimiert sind. Oder aber zynisch reagieren. Ich zum Beispiel überprüfte in den Morgenstunden der Wahlnacht den Bitcoin-Kurs und dachte: Immerhin ein bisschen Geld verdient.
Zynismus – der Glaube, dass andere sich im Allgemeinen egoistisch und unehrlich verhalten, um ihren eigenen Vorteil zu maximieren – ist auf dem Vormarsch. Oft befeuert durch soziale Medien. Bei Google ist der Suchbegriff «Zynismus» seit Jahren ansteigend.
Zynismus ist ein interessantes Gefühl, weil es nicht nur negativ ist, im Gegenteil: Es kann einem Sicherheit und Überlegenheit vermitteln, wie Jamil Zaki in seinem neuen Buch «Hope for Cynics» schreibt. Der Neurowissenschaftler von der Uni Stanford bezeichnet sich selbst als Zyniker auf dem Weg der Besserung. Laut Zaki wird Zynismus oft als Zeichen von Intelligenz angesehen. Doch Zyniker würden in analytischen Aufgaben schlechter abschneiden als optimistisch eingestellte Menschen. Und es gibt Hinweise darauf, dass ein zynisches Weltbild das Risiko für Depressionen, Herzkrankheiten und Burn-out erhöht.
Doch was tun, wenn man das Gefühl hat, dass die Welt vor dem Abgrund steht, weil Unehrlichkeit und Gier die dominierenden Eigenschaften der Menschheit sind?
Zakis Rezept gegen Zynismus
Zum einen, schreibt Zaki, lohne sich ein Blick auf die Zahlen. Denn unsere Wahrnehmung, dass die Welt schlechter werde, unterscheidet sich oftmals von statistischen Zahlen. Als Beispiel nennt er Gewaltdelikte: Diese sind entgegen der öffentlichen Wahrnehmung in den letzten 30 Jahren in der westlichen Welt kontinuierlich zurückgegangen.
Okay, aber was ist mit dem Klimawandel? Der Cyberkriminalität? Dem Krieg in Nahost?
Zaki räumt ein, auch er habe befürchtet, dass Hoffnung «der Süssstoff sein könnte, der Unterdrückung leichter schlucken lässt». Aber Hoffnung bedeute nicht, die Realität zu ignorieren oder naiv zu sein – sie sei eine Reaktion auf die besten verfügbaren Daten. Zaki schlägt vor, eine Denkweise anzunehmen, die er «hoffnungsvollen Skeptizismus» nennt: beim nächsten zynischen Gedanken die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, anstatt sich auf Ängste oder vage Gefühle zu verlassen.
Dadurch sinkt der Meeresspiegel natürlich nicht. Zakis Buch ist deshalb vor allem in der Alltagspsychologie überzeugend. Hoffnungsvolle Skeptiker sind für ihn nämlich auch Menschen, die gesellschaftliche Probleme kritisch hinterfragen, während sie gleichzeitig erkennen, wie freundlich und grosszügig andere wirklich sind.
Als Übung gegen den eigenen Zynismus empfiehlt er, sich 10 Minuten Zeit zu nehmen und sich an Momente der Freundlichkeit zu erinnern, die einem kürzlich widerfahren sind. Die Person, die einem das Portemonnaie nachgetragen hat, als man es liegen liess. Ein Lob in einer stressigen Situation oder jemand, der positiv über jemand anders spricht – laut Jamil Zaki verringert gerade das öffentliche Hervorheben guter Taten nicht nur den eigenen Zynismus, sondern auch jenen der Leute um einen herum.
Das mögen klischierte Beispiele sein, aber Zaki hat recht: Der durchschnittliche Mensch unterschätzt den durchschnittlichen Menschen.
In der Kolumne «Zum Glück» denken unsere Autorinnen und Autoren jede Woche über das gute Leben nach.
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