Wahlen in GeorgienMassenproteste in Tiflis, Viktor Orban eilt dem prorussischen Wahlsieger zu Hilfe
In Georgien droht nach der offenkundig gefälschten Wahl die Konfrontation. Fast gleichzeitig zu einer Kundgebung ist Viktor Orban eingetroffen. Sehr zum Ärger der EU.
- Viktor Orban reist nach Tiflis und gratuliert der Regierungspartei vor dem Endergebnis.
- Ungarn hat den EU-Ratsvorsitz, Orban repräsentiert jedoch die ungarische Regierung.
- Georgischer Traum sabotiert EU-Beitrittsprozess mit russischen Agentengesetzen.
- Die proeuropäische Präsidentin fordert, die Wahlergebnisse nicht anzuerkennen.
Und er tut es wieder: Vor dem Sommer reiste Viktor Orban zum Ärger der europäischen Partner als eigenmächtiger Friedensstifter nach Moskau. Nun eilt Ungarns Regierungschef nach Tiflis, nachdem er der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum vorsorglich zum «überwältigenden Sieg» gratuliert hat. Dies, bevor überhaupt ein Endergebnis vorlag und ungeachtet der Meldungen über massive Unregelmässigkeiten. Ungarn hat derzeit den halbjährlich rotierenden EU-Vorsitz und müsste eigentlich die Interessen aller Mitgliedsstaaten vertreten. Doch Viktor Orban hält sich wieder nicht an die übliche Praxis und blamiert die europäischen Partner mit seinem erneuten Alleingang.
Orban: «Georgien braucht Unterstützung»
Georgien sei ein «konservativer, christlicher und proeuropäischer Staat», sagte Orban Montagabend bei seiner Ankunft zum zweitägigen Besuch in Tiflis. Anstatt Belehrungen brauche das Land Unterstützung auf dem Weg zur europäischen Integration. Formell ist die prorussische Regierungspartei Georgischer Traum tatsächlich für den EU-Beitritt, unternimmt aber alles, um das Beitrittsverfahren zu sabotieren. Etwa mit sogenannten Agentengesetzen nach russischem Vorbild, mit denen die Zivilgesellschaft eingeschüchtert werden soll.
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Auch Viktor Orban wird ungern von Brüssel «belehrt», wenn er zu Hause den Rechtsstaat schleift und die Demokratie zur Fassade macht. Ungarns Regierungschef kommt am Abend zusammen mit seinem Finanz- und seinem Aussenminister in Tiflis an, und zeitgleich beginnt nach einem Aufruf der proeuropäischen Staatspräsidentin Salome Surabischwili die erste Massenkundgebung nach der gestohlenen Wahl.
Tausende Demonstranten versammelten sich vor dem Parlament im Zentrum der Hauptstadt. Sie teilen Surabischwilis Auffassung, die die vielen Wahlverstösse als eindeutig russisches Eingreifen deutet. Einigen Demonstranten war die Ankunft Orbans nicht entgangen. Sie empfingen ihn mit lauten Pfiffen und Buhrufen.
Ein Dilemma für die EU: Ungarns Regierungschef vertrete bei seinem Besuch nicht die Europäische Union, vermeldete der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell. Der rotierende EU-Vorsitz habe keine Autorität in der Aussenpolitik. Viktor Orban spreche für die ungarische Regierung und nicht für die EU, schreibt auch der deutsche Botschafter Peter Fischer in Tiflis in einer «Klarstellung an georgische Freunde» auf dem Kurznachrichtendienst X. Brisant ist dabei, dass die Staats- und Regierungschefs der EU nächste Woche in Budapest auf Einladung von Viktor Orban zu einem informellen Gipfel zusammenkommen sollen. Es sollte eigentlich der Höhepunkt der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft Ungarns sein.
Georgien droht in Russlands Einflusssphäre zu geraten
Streit ist nun vorprogrammiert. Gut möglich, dass einige Staats- und Regierungschefs überhaupt aus Protest fernbleiben. Balten und Skandinavier hatten dies schon nach Orbans Alleingängen zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine erwogen. Georgien könnte für Ungarns Regierungschef ohnehin nur die Hauptprobe für die US-Wahl sein. Es ist absehbar, dass Orban seinem Vorbild Donald Trump nächste Woche unabhängig vom Ergebnis gratulieren und dafür die Bühne des EU-Gipfels in Budapest nutzen wird. Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Co. müssten sich distanzieren oder irgendwie gute Miene zum bösen Spiel machen.
Eigentlich sollte es in Ungarns Hauptstadt um Wirtschaftsfragen und Europas Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China oder den USA gehen. Nun kündigte EU-Rats-Präsident Charles Michel an, beim informellen Gipfel auch die Lage in Georgien auf die Agenda zu setzen. Einige Staats- und Regierungschefs dürften in Budapest neue Sanktionen etwa gegen Bidsina Iwanischwili fordern, den Gründer des Georgischen Traums und milliardenschweren Oligarchen.
Für Strafmassnahmen ist aber Einstimmigkeit nötig. Klar, dass Viktor Orban sich hier querstellen wird. Er wird seinem Ruf gerecht, Moskaus trojanisches Pferd in der EU zu sein. Es ist, als würde Ungarns Regierungschef dem russischen Skript folgen. Die westliche Unterstützung für die Ukraine schwächelt, in Moldau ist das proeuropäische Lager nach dem knappen Wahlausgang vor einer Woche in Bedrängnis, und nun droht auch Georgien ganz in die russische Einflusssphäre zu rutschen.
EU verliert Einfluss im Osten
Die EU ist dabei, ihren Einfluss in der östlichen Nachbarschaft zu verlieren. Da helfen die lauwarmen ersten Reaktionen des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell nicht. Der Spanier beschränkte sich darauf, die Wahlkommission aufzurufen, den Vorwürfen bezüglich Unregelmässigkeiten rasch und transparent nachzugehen.
Die proeuropäische Staatspräsidentin Surabischwili hatte da schon längst an die westlichen Partner appelliert, das Wahlergebnis nicht zu akzeptieren. Viele Optionen bleiben Brüssel allerdings nicht, um Druck auf die prorussische Regierungspartei auszuüben. Das Beitrittsverfahren mit Georgien ist bereits auf Eis gelegt, EU-Gelder eingefroren. Die EU könnte noch die Visafreiheit suspendieren. Damit würden aber nur die Georgierinnen und Georgier bestraft, die zu 80 Prozent nichts dringlicher wünschen, als dass ihr Land möglichst bald Mitglied der EU wird.
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