Nach ParlamentswahlGeorgien driftet Richtung Autokratie
Die herrschende Partei Georgischer Traum hat angeblich die Parlamentswahlen gewonnen. Aber sie arbeitet nach Kräften gegen das, was die Mehrheit will: eine Annäherung an die EU.
Eine Schicksalswahl sollte es in Georgien werden, und jetzt, wo alle Stimmen abgegeben sind, erscheint die Zukunft so offen wie zuvor. Der kleine Staat im Südkaukasus steckt weiterhin fest zwischen Ost und West, denn genau darum ging es letztlich bei dieser Wahl: Die Opposition stand für einen schnelleren Beitritt zur Europäischen Union, den die Regierungspartei zuletzt nach Kräften sabotiert hat.
Kein Machtwechsel, kein EU-Beitritt, das ist die Formel, auf die wohl alles hinausläuft. Wie fair und frei das Wahlergebnis zustande gekommen ist, muss erst noch ausgewertet werden. Schliesslich eint die Georgier eigentlich nichts so sehr wie ihr Wunsch, zu Europa zu gehören, das zeigt jede Umfrage, und zwar seit Jahren. Umso erklärungsbedürftiger erscheint nun der Wahltriumph der Regierungspartei Georgischer Traum. Die hat sich zwar nie offen gegen einen Beitritt ausgesprochen, das Land aber auf einen derart repressiven Pfad geführt, dass Georgiens hart erarbeiteter Kandidatenstatus im Juni ausgesetzt wurde.
Je mehr Brüssels Enttäuschung mit Tiflis wuchs, desto zufriedener dürfte man in Moskau gewesen sein. Das umstrittene georgische Gesetz über «die Transparenz von ausländischem Einfluss» spiegelt ein sehr ähnliches russisches Gesetz wider. Es dient allein dazu, liberale Organisationen, Journalisten, Menschenrechtler, Oppositionelle zu lähmen. In Tiflis gingen im Sommer Zehntausende dagegen auf die Strasse und konnten es doch nicht verhindern.
Bedenklich war die Panikmache vor der Wahl
Die antiliberale Politik der alten – und wahrscheinlich neuen – Regierung reichte noch weiter: Sie drohte damit, die wichtigsten Oppositionsparteien nach einer gewonnenen Wahl zu verbieten, machte die Abstimmung zum Existenzkampf für die proeuropäischen Kräfte.
Ihr wohl bedenklichster Schachzug aber war die Panikmache vor der Wahl. Wer für die Opposition stimme, so suggerierten es Georgiens Herrschende, der riskiere Leid und Zerstörung. Eine nicht genau definierte «globale Kriegspartei» im Westen wolle Georgien in den Konflikt mit Russland drängen, behauptete Georgiens reichster und mächtigster Mann Bidsina Iwanischwili, Gründer der Partei Georgischer Traum. Die Ukraine wurde im Wahlkampf mehr oder weniger subtil als warnendes Beispiel herangezogen, die Botschaft war deutlich genug: Eine Hinwendung zum Westen könne Krieg bedeuten. Genauer erklärt wurde der Zusammenhang nicht.
In Moskau warnt man vor einem «Tiflis-Maidan»
In Moskau warnten Stimmen derweil vor einem «Tiflis-Maidan», damit war das Bedrohungsszenario perfekt: Den Euromaidan in Kiew 2013, die Massendemonstrationen gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten und für einen Beitritt zur EU, die interpretierte Putin in einen vom Westen gesteuerten Coup d’État um. Heute begründet er damit häufig seinen Angriff auf die Ukraine, seine Propaganda stellt ihn als Selbstverteidigung dar. Mehr als einmal hat der Kreml demonstriert, wie egal ihm der Mehrheitswille in angrenzenden Ländern ist: Wenn er von Moskau wegführt, dann steckt für Putin immer der feindliche Westen dahinter.
Die Partei Georgischer Traum tut nun also so, als habe sie sowohl EU-Beitritts-Absichten als auch einen guten Draht nach Moskau. Sie ging sogar so weit, eine Aussöhnung mit den verlorenen, faktisch von Moskau abhängigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien zu versprechen. Im Paket ist all dies unmöglich zu erreichen – eine Herkulesaufgabe, die die Wähler blenden sollte. Die Mehrheit der Georgier strebt nach Europa, ihre Regierung aber zerrt sie immer tiefer in die Autokratie. Bedenklich, wenn nicht einmal Wahlen etwas daran ändern können.
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