Migrationsdebatte in Frankreich«Submersion», Überflutung – ein Wort des Premiers treibt Paris um
François Bayrou spricht im Zusammenhang mit der Immigration von einem «Gefühl der Überschwemmung» – und übernimmt damit das Vokabular von Marine Le Pen. Die Sozialisten wenden sich ab.

Ein Wort bewegt Frankreich, es könnte den Sturz der Regierung herbeiführen: «submersion» ist französisch für «Überschwemmung, Überflutung». Frankreichs Premierminister, der Zentrist François Bayrou, im Amt seit etwas mehr als einem Monat, hat es gebraucht, als er von der Migration sprach. In einem langen Interview mit dem Schweizer Journalisten Darius Rochebin auf dem französischen Nachrichtensender LCI sagte Bayrou, an Orten, wo viele Einwanderer lebten, überkomme die ansässigen Bürger ein «Gefühl der Überschwemmung», sie fühlten sich im eigenen Land nicht mehr zu Hause.
Von den zwei Stunden Interview, in dem es auch um die prekäre politische Lage seiner Regierung und die schwierige Suche nach einem Sparbudget für die Nation ging, blieb nur dieses eine Wort hängen: submersion. Und das ist nicht verwunderlich. Bisher hatte es in Frankreich nur die extreme Rechte gebraucht, wenn sie von Immigration sprach: Marine Le Pen und davor schon ihr Vater, Jean-Marie. Oft, wie in einem Mantra. Ideologisch ist es also klar verortet. Hat sich Bayrou, der sich als Humanist versteht und sich in seiner langen Karriere auch als solcher bewiesen hat, da womöglich versprochen – im Strudel seines eigenen Redeschwalls?
«Ziehen Sie den Begriff zurück?»
Nun, tags darauf im Parlament fragten die Sozialisten, die als einzige Partei der Linken mit Bayrou verhandeln, sicherheitshalber nach. «Ziehen Sie den Begriff zurück, Monsieur le Premier ministre?», fragte Boris Vallaud, der Fraktionschef des Parti Socialiste. Submersion sei ja nicht nur verletzend, sondern auch eine Lüge: Frankreich sei nicht überschwemmt von Einwanderern.
Doch Bayrou blieb dabei, er führte nur etwas aus. Im TV-Interview habe er in erster Linie an Mayotte gedacht, das Überseedepartement im Indischen Ozean, wo sehr viele Papierlose aus den benachbarten Komoren illegal in Slums lebten. «Aber das ist nicht der einzige Ort in Frankreich», sagte er nun. «Das Wort Überschwemmung ist das passende.»

Die Lepenisten klatschten. Der Szenenapplaus gilt der Linken als Beleg dafür, dass Bayrou mit seiner Wortwahl der extremen Rechten gefallen wolle. Die Debatte wurde jetzt immer hitziger, der Tonfall der Opposition schärfer. «Sind Sie sich bewusst, dass Sie Millionen von Franzosen beschimpfen, die in sich ein Stück Migration tragen?», sagte etwa die Fraktionschefin der Grünen, Cyrielle Chatelain. «Sie spucken ihnen ins Gesicht.» Sie forderte Bayrou auf, sich zu entschuldigen. Doch der Premier sah keinen Grund dafür.
«Ich würde nie so reden», sagt die Parlamentspräsidentin
Auch in seinem eigenen Lager stiess die Wortwahl auf Kritik, mehr oder weniger virulent. Die Präsidentin der Nationalversammlung, die Macronistin Yaël Brau-Pivet, sagte am Fernsehen: «Ich würde nie so reden, diese Worte bedrücken mich. Wir reden hier von Menschen, von unserem Land, von Frankreich, das wegen seiner Geschichte, seiner Geografie, seiner Kultur immer Menschen aufgenommen hat und mit dieser Tradition gross wurde.»
Die Sozialisten setzten fürs Erste alle Verhandlungen über den Etat aus – wegen Bayrous Semantik. Die Frage aber ist, ob sie ihre lose Zusammenarbeit mit der Minderheitsregierung tatsächlich ganz aufgeben. Dann müsste Bayrou sein Schicksal wie sein Amtsvorgänger Michel Barnier an den Goodwill der extremen Rechten hängen. Zur Erinnerung: Barnier stürzte nach weniger als drei Monaten. Aber vielleicht reicht den Lepenisten ja die vertraute Wortwahl schon aus.
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