Auswärts essenWer hat Angst vor der Speisekarte?
Wer im Restaurant das Richtige bestellen will, sollte sich vorab informieren. Das hilft gegen unnötigen Stress – und die Tricks der Wirte.
Nach einer langen Reise treffe ich meine älteste Freundin wieder. Sobald wir am Tisch sitzen, sind wir ins Gespräch vertieft. Dieses wird aber schnell von einem Kellner unterbrochen, der die Bestellung aufnehmen will. In die Menükarte haben wir noch gar nicht geblickt. Meine spontane Entscheidung unter Zeitdruck fällt auf die Lasagne, die zur teuren Enttäuschung wird.
Solche Situationen kennen wir alle. Vermeiden lassen sie sich, indem man Speisekarten vor dem Restaurantbesuch konsultiert. Bei der Wahl des Essens spielt sich nämlich mehr ab, als wir meinen. Der Hunger sei dabei oft nebensächlich, sagt Claude Messner, Konsumverhaltensforscher an der Universität Bern. Primär gehe es um soziale Motive: «Speisen wir in Gruppen, bestellen wir ähnliche Dinge und essen in gleichem Tempo.» Bestellen viele am Tisch fleischlos, tut man ihnen es vielleicht nach.
Eine aktuelle Studie von Claude Messner zeigt, dass in der Kantine oder der Unimensa deutlich weniger Fleisch konsumiert wird als in Restaurants oder daheim. «Bei Essen in Restaurants werden wir zu Hedonisten, die das Leben geniessen und die sich etwas gönnen wollen.»
Eine Umfrage unter Vertretern der Generation Z hat kürzlich gezeigt, dass vor allem Junge Angst vor Restaurantmenüs haben. Dieses Resultat wurde in mehreren Medienartikeln thematisiert.
Nicht die Karte verängstigt
Messner relativiert die Umfrage: «Die ursprüngliche Frage war, ob man sich vor Menüs in unbekannten Restaurants fürchtet.» Dass 89 Prozent der Generation Z unter einer grundsätzlichen «Speisekarten-Angst» leiden sollen, stimme also nicht. Das zeigt auch eine Umfrage der Pendlerzeitung «20 Minuten»: Bei 76 Prozent der rund 14’000 Teilnehmenden war diese Angst noch nie ein Thema.
Aber tatsächlich kennen viele diese kurze Stresssituation im Restaurant. Welches Gericht soll man wählen? Soll es das Übliche sein? Etwas Neues? Was, wenn es nicht schmeckt?
Dass Menüs im Vorfeld angeschaut werden, hat zwei Gründe, die banal erscheinen mögen: Man hat Angst, sich kein Gericht leisten zu können. «Deshalb hängen ja die Menüs vor den Lokalen, damit wir die Preise diskret anschauen können», sagt Claude Messner. Der zweite Grund für die Beliebtheit von Onlinemenüs ist die Befürchtung, dass man nichts findet, was man mag – und dann lieber auf den Besuch im Restaurant verzichtet.
Gerade beim Essen sei eine ausgeprägte Neugier vorhanden, die Jüngeren seien offener als ältere Menschen, sagt Messner. «Mein Vater beispielsweise hat noch nie einen Kebab gegessen, aber Kiwis und andere exotische Sachen schon.» Die Offenheit hat aber Grenzen: «Kennen wir die Umgebung nicht – beispielsweise bei einer Städtereise –, tendieren wir eher zu bekannteren Gerichten.»
Vermeintliche Schnäppchen
Dann ist auch Vorsicht geboten: Die Gastronomen haben Tricks auf Lager, um das Bestellverhalten zu beeinflussen. Beliebt sind sogenannte Anker-Effekte. Beispielsweise steht der teuerste Offenwein zuoberst auf der Liste, danach folgen die billigen Alternativen. «Der erste Preis setzt einen Anker im Hirn, weshalb alle weiteren Weine billiger erscheinen», so Messner. Der Gast wittert ein Schnäppchen und bestellt ein günstigeres Glas Wein.
Die Gastronomen bieten aber auch Hand mit gut geordneten Menükarten, in Kategorien eingeteilt: Vorspeisen, Hauptgänge, Dessert. Oder Primi, Secondi und Dolce. In unseren Breitengraden wird auch nach Fleisch, Gemüse, Pasta unterschieden, wie es Claude Messner mag. «Unser Hirn ist beschränkt in der Menge an Informationen, die es verarbeiten kann.»
Zu viel Auswahl kann sich sogar schlecht auf den Geschmack auswirken, besagt sogar eine Studie: Ein Praliné aus einem grossen Sortiment schmeckte den Teilnehmenden schlechter als eines aus einer kleinen Auswahl.
Bei chinesischen und anderen asiatischen Restaurants, die oft Aberdutzende von Gerichten auflisten, wird traditionell nach Tierprodukten unterschieden. Die Länge habe allerdings seine Tücken, meint Messner: «Die Kundschaft hegt Zweifel, ob wirklich frisch gekocht wird.»
Am Tisch Zeit gewinnen
Beim Bestellen kennt Messner verschiedene Strategien: Manche Personen schliessen Gerichte aus, die etwas Negatives an sich haben wie unbeliebte Zutaten, einen hohen Preis, zu viel Fett. Das treibt man so lange weiter, bis nur noch ein Gericht übrig bleibt, sagt der Forscher.
Andere bestellen das allererste Gericht, auf das sie Lust haben, und brechen dann die Suche ab. Wieder andere nehmen immer das Tagesmenü oder bestellen jedes Mal dasselbe. Und der Gastronom tut gut daran, die Zutaten detailliert zu beschrieben: Denn es ist erwiesen, dass Gäste bereit sind, mehr für ein Gericht zu bezahlen, wenn es komplex beschriebene Ingredienzen hat.
Einen Einfluss aufs Bestellen haben nicht nur der Kellner und die Karte, sondern auch das Ambiente. In einem Lokal mit lockerer Bestuhlung ist man entspannter als in einem hochfrequentierten Szenelokal. «Der Gastgeber kann vieles steuern, aber die Gäste bringen vieles selber mit. Zum Beispiel die Tischgespräche», sagt Claude Messner. Warum also nicht das nächste Mal den Kellner einfach um Empfehlungen bitten? Oder um mehr Zeit – statt die erstbeste Lasagne zu bestellen.
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