Finanzknappheit beim Bund«Massiver Vertrauensverlust»: Tiefsteuer-Kantone sollen deutlich mehr an den Bund abgeben
Eine Parlamentskommission will die Bundesfinanzen mit umstrittenen Mehreinnahmen aufbessern. Die Betroffenen – unter ihnen der Zuger Finanzdirektor – reagieren irritiert.
![Der Zuger Regierungsrat Heinz Taennler bei einer Kantonsratssitzung im Kantonsratssaal im Zuger Regierungsgebaeude am Donnerstag, 26. Februar 2023. (KEYSTONE/Urs Flueeler)](https://cdn.unitycms.io/images/96uhLY63aZzABTBFgb0BQx.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Pb6SDleDkSM)
- Die Finanzkommission des Ständerats schlägt vor, das Armeebudget bis 2032 auf ein Prozent des BIP zu erhöhen.
- Der Verteilungsschlüssel für OECD-Steuereinnahmen soll auf 50/50 geändert werden.
- Dagegen regt sich Widerstand bei Tiefsteuerkantonen wie Zug und Luzern.
In diesen Jahresendwochen ringt das Parlament um Finanzfragen. Die Eidgenossenschaft läuft Gefahr, die selbst auferlegte Schuldenbremse zu verletzen. Unter anderem liegt das daran, dass die Armee mehr Geld erhalten soll. Wo also soll gespart werden und wie viel? Und dürfen auch Mehreinnahmen helfen?
Die Finanzkommission des Ständerats hat hierzu diese Woche mit deutlicher Mehrheit Entscheide getroffen, welche die Diskussion in eine neue Richtung lenken könnten: Sie will das Armeebudget bis 2032 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts anheben. Bisher lagen die Optionen 2030 oder 2035 auf dem Tisch.
Weiter will die Kommission mehr Geld zum Bund umleiten. Dazu will sie am Verteiler für die Mehreinnahmen aus der OECD-Mindeststeuer schrauben. Heute bleiben drei Viertel davon bei den Kantonen, ein Viertel geht an den Bund. Künftig soll der Schlüssel 50/50 betragen. Brisant daran: Parlament und Volk haben den bisherigen Schlüssel in den letzten zwei Jahren gutgeheissen.
Die Bevölkerung hat eine entsprechende Verfassungsänderung im Juni 2023 mit grosser Mehrheit angenommen. Die Schweiz stand unter Druck, die OECD-Reform, der weltweit 140 Länder zugestimmt hatten, umzusetzen.
Mehrere Kantone haben Steuern nachträglich angepasst
Auf den ersten Blick könnte der Vorschlag der Kommission der Bundeskasse reichlich neue Mittel zuführen, nämlich zwischen 400 und 900 Millionen Franken pro Jahr. Das strukturelle Loch beträgt ab 2030 über vier Milliarden Franken pro Jahr. Das zusätzliche Geld soll als Spezialfinanzierung der Aufstockung des Armeebudgets zugutekommen.
Doch so einfach ist es nicht. Seit diesem Jahr gilt als Hauptelement der Reform für alle Schweizer Firmen mit einem Umsatz über 750 Millionen Euro ein minimaler Gewinnsteuersatz von 15 Prozent. Wenn ein Sitzkanton eines Unternehmens diesen Satz nicht erreicht, muss dieses für die Differenz eine Ergänzungssteuer zahlen. Der Bundesanteil wird nur auf diese fällig.
Allerdings haben verschiedene Kantone ihre ordentlichen Steuern für Grossunternehmen erhöht oder wollen das noch tun. Damit wollen sie die Ergänzungssteuer – und damit den Bundesanteil – so tief wie möglich halten oder gar ganz eliminieren.
Es handelt sich dabei um Genf, Neuenburg, Schaffhausen, die Waadt und Basel-Stadt. Allein durch das Basler Vorhaben würden dem Bund mit dem aktuellen Verteilschlüssel laut ersten Schätzungen rund 50 Millionen Franken entgehen.
Der Gedanke hinter den nachträglichen Steuererhöhungen ist: Durch die globale Reform verlieren die Kantone den Standortvorteil der tiefen Steuern. Er half ihnen bisher, zum Beispiel den Nachteil der hohen Schweizer Löhne wettzumachen. Wenn sie die Mehreinnahmen für sich behalten und sie in die Standortförderung investieren, leidet ihre Attraktivität weniger.
![Der Luzerner Regierungsrat Reto Wyss, Die Mitte, laeuft zum Regierungsgebaeude anlaesslich dem zweiten Wahlgang der Regierungsratswahlen im Kanton Luzern am Sonntag, 14. Mai 2023 im Regierungsgebaeude in Luzern. (KEYSTONE/Philipp Schmidli)](https://cdn.unitycms.io/images/9SaRnuFd42O9G7sQTK6BbM.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=az5e67nY2dY)
Mit Zug und Luzern planen zumindest zwei Kantone, in denen neben Basel die mit Abstand höchsten Mehreinnahmen anfallen dürften, bislang keine Erhöhung der ordentlichen Gewinnsteuer.
Entsprechend sauer sind diese Kantone nun – sie wären die «Opfer» der Umleitung der Gelder an den Bund, wie es die Finanzkommission vorschlägt. «Der Verteilung 75/25 haben nach den Kantonen auch das Parlament und die Bevölkerung zugestimmt», erklärt der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP). «Dass die anderen Kantone ihre Steuersätze im Nachhinein anpassen, ist unredlich.»
Wenn das Parlament den Bundesanteil auf 50 Prozent erhöhen sollte, sagt Tännler, bliebe ihm wohl nichts anderes übrig, als wie viele andere Kantone die ordentlichen Steuern zu erhöhen.
Ähnlich klingt es aus Luzern. Finanzdirektor Reto Wyss (Mitte) lässt ausrichten: «Das Vorgehen des Parlaments erstaunt und ist bezüglich Verlässlichkeit als sehr kritisch zu beurteilen. Wir erwarten, dass Volksentscheide respektiert werden und eine längere Verbindlichkeit haben.» Wie Luzern auf eine Veränderung des Verteilschlüssels reagieren würde, sei noch offen, «da wir das bisher nicht für möglich erachtet haben».
Es stellt sich die Frage, ob die von der Kommission anvisierten Mehreinnahmen realistisch sind. Erstens wollen die Kantone mit nachträglichen Steuererhöhungen bereits heute keine oder nur sehr wenige Mehreinnahmen an den Bund abliefern. Zweitens könnten es ihnen bei der Erhöhung des Bundesanteils andere Kantone gleichtun.
Erneute Diskussion von Anfang an geplant
Bei den Mitgliedern der Finanzkommission des Ständerats überwiegt die Hoffnung. «Am Schluss lag der Bund mit seinen Einnahmeschätzungen bisher meist zu tief», sagt Kommissionspräsident Jakob Stark (SVP).
In einer Medienmitteilung der Kommission vom Mittwochabend heisst es zudem, dass «die geltende Verteilung (...) in einem völlig anderen sicherheits- und finanzpolitischen Kontext beschlossen wurde». Die Entscheidungen in Parlament und an der Urne fielen allerdings Ende 2022 und ein halbes Jahr darauf – also deutlich nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte und sich die Sicherheitslage in Europa verändert hatte.
«Die Parlamentarier leisten schlechte Arbeit. Sie sollen endlich die aus dem Ruder gelaufenen Ausgaben kürzen», sagt hingegen Heinz Tännler. «Es würde bei uns Kantonen zu einem massiven Vertrauensverlust führen, wenn dieser Vorschlag kurz nach der Annahme durch Parlament und Volk durchkommen sollte.»
Die derzeit gültige Verteilung der Mehreinnahmen ist nur in einer Übergangsbestimmung im Anhang der Verfassung festgeschrieben. Dort steht, dass der Bundesrat dem Parlament spätestens bis Ende 2029 ein neues Gesetz zur Beratung vorlegen muss. Die erneute Diskussion der Spielregeln war also von Anfang an vorgesehen.
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