Austritt nach MachtkampfEx-Chef sieht bei der AfD «etwas Sektenartiges»
Seit 2015 führte Jörg Meuthen die Alternative für Deutschland, nun ist sie selbst ihm zu extrem geworden. Er verlässt die Partei – und sieht das selbst als «Niederlage».
In der Alternative für Deutschland (AfD) wiederholt sich die Geschichte. Nach Bernd Lucke (2015) und Frauke Petry (2017) tritt mit Jörg Meuthen bereits der dritte Chef aus der Partei aus, nachdem er die Macht verloren hat. Alle drei gaben jeweils als Grund an, die Partei sei ihnen zu extrem geworden. Sie hätten als deren «bürgerliches Gesicht» versucht, gegen den rechtsextremistischen Trend anzukämpfen, seien damit aber gescheitert.
Wie Petry hatte aber auch Meuthen in der Vergangenheit nie Mühe bekundet, sich mit dem rechtsextremistischen «Flügel» um Björn Höcke zu verbünden, wenn dies nötig war, um seine Macht an der Spitze der Partei zu behaupten. Petry putschte mithilfe des «Flügels» gegen Lucke, Meuthen verwendete danach dessen Unterstützung gegen Petry. Nun wurde Meuthen Opfer des Umstands, dass der «Flügel» ihn zur Verfolgung seiner Ziele nicht mehr braucht.
Schon vor der Bundestagswahl im letzten Herbst war klar, dass sich der 60-jährige Wirtschaftsprofessor aus Baden-Württemberg beim nächsten Parteitag nicht für ein neuerliches Mandat bewerben würde. Bei Co-Chef Tino Chrupalla, im Vorstand und an der Basis der Partei hatte er da den Rückhalt längst verloren. Nun kam es bereits vor dem Parteitag zu seinem Abgang – und gleich zum Austritt.
«Das Herz der Partei schlägt heute sehr weit rechts, und es schlägt eigentlich permanent hoch. Das ist nicht gesund.»
In einem exklusiven Interview mit der ARD machte Meuthen am Freitag den desaströsen Zustand der AfD für seinen Entschluss verantwortlich: «Das Herz der Partei schlägt heute sehr weit rechts, und es schlägt eigentlich permanent hoch. Das ist nicht gesund», sagte Meuthen. Teile der AfD stünden «nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung». In Deutschland wird so verfassungsfeindliches Verhalten umschrieben.
Er sehe ganz klar «totalitäre Anklänge», sagte Meuthen. Gerade in der Corona-Politik, in der die Partei die Gefährlichkeit des Virus leugne und das Land in einer Diktatur wähne, habe sie «etwas Sektenartiges» entwickelt. Dem Thüringer «Flügel»-Anführer Höcke bescheinigte er «wiederholte nationalsozialistische Anleihen».
Gegen ihn wird wegen Spenden ermittelt
Meuthen stand zuletzt nicht nur in seiner Partei im Abseits, sondern auch als Abgeordneter des Europaparlaments. Ihm soll die Immunität entzogen werden. Die deutsche Justiz ermittelt gegen ihn wegen einer mutmasslich illegalen Spende von 90’000 Euro, die er für den Wahlkampf 2016 von der Schweizer PR-Agentur des Werbers Alexander Segert empfangen haben soll. Meuthen bestreitet die Vorwürfe und sagte am Freitag, er wolle sein Mandat im EU-Parlament auch nach seinem Austritt aus der AfD behalten.
Der rechtsextremistische «Flügel» beherrscht nach Ansicht des deutschen Verfassungsschutzes die AfD zunehmend, obwohl er 2020 offiziell «aufgelöst» wurde. Sein Einfluss ist einer der Gründe, warum der Inlandgeheimdienst die Partei als potenziell verfassungsfeindlich beobachten möchte. Die AfD wehrt sich dagegen derzeit vor Gericht.
«Demonstrative Harmlosigkeit» als PR-Masche
Noch 2017 sprach Meuthen vor führenden «Flügel»-Leuten davon, dass dieser «immer ein integraler Bestandteil unserer Partei» bleiben werde. Zwei Jahre später, als er die Einstufung der AfD als verfassungsfeindlich verhindern wollte, grenzte er sich in einer Rede auf einmal scharf von diesem ab: «Diese Mitglieder scheuen auch vor antisemitischen und rassistischen Positionen nicht zurück. (…) Wer hier seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausleben möchte, dem sagen wir klipp und klar: Sucht euch ein anderes Spielfeld für eure Neurosen! Ihr werdet diese Partei niemals kapern!»
Meuthen war nie ein gemässigter rechtskonservativer Politiker, auch wenn er sich seit etwa zwei Jahren als solcher darzustellen versucht. «Demonstrative Harmlosigkeit» nannte Justus Bender, einer der besten Kenner der Partei, dessen persönliche Vermarktungsstrategie. Auch Meuthen griff im Wahlkampf, etwa gegen seine baden-württembergische Intimfeindin Alice Weidel, regelmässig zu scharfen Tönen. Das in der AfD beliebte Schmähwort des «links-grün versifften 68er-Deutschland» stammt von ihm.
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