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Rechtsextremismus in Deutschland
Gefährdet die AfD die Demokratie?

Stehen sich immer öfter gegenüber: AfD-Parteichef Jörg Meuthen (links), der Extremisten loswerden will, und Ehrenvorsitzender Alexander Gauland, der seine schützende Hand über die Radikalen in der Partei hält. 
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Der Rechtsextremismus sei derzeit die grösste Gefahr für die deutsche Demokratie, sagte der Chef des Bundesverfassungsschutzes vor genau einem Jahr, als er begründete, warum sein Amt künftig den rechtsradikalen «Flügel» der Alternative für Deutschland (AfD) beobachten werde.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts habe die Deutschen gelehrt, so Thomas Haldenwang, dass der Rechtsextremismus nicht nur Menschen, sondern auch eine Demokratie zerstören könne. Wolle man dies verhindern, müsse man nicht nur Extremisten, sondern auch «Brandstifter» und «Brandbeschleuniger» ins Visier nehmen. Radikale Politiker der AfD zum Beispiel.

Nun geht Haldenwang einen entscheidenden Schritt weiter: Sein Amt stuft nicht mehr nur einzelne Teile als möglicherweise extremistisch ein, sondern die gesamte Partei. Dies ermöglicht es dem Verfassungsschutz, die AfD nun auch mit geheimdienstlichen Mitteln zu beobachten, um ihre Verfassungstreue zu überprüfen. Allerdings sind die Abgeordneten und Kandidaten der Partei während der vielen Wahlkämpfe dieses Jahres von einer solchen Überwachung vorerst ausgenommen.

Hütet von Amtes wegen die deutsche Demokratie: Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesverfassungsschutzes. 

Für seinen Entscheid stützte sich der Verfassungsschutz auf Material, das er vor allem in den letzten drei Jahren gesammelt hat. Auf 1100 Seiten haben die Geheimdienstler Belege für möglicherweise verfassungsfeindliche Äusserungen und Tätigkeiten von AfD-Politikern zusammengestellt.

Nach Ansicht des Verfassungsschutzes verstossen vielfache rassistische, völkische, antisemitische, fremden- und islamfeindliche Äusserungen gegen die vom Grundgesetz garantierte «Menschenwürde» und die Einheit des «Staatsvolks». Darüber hinaus mache die AfD systematisch die liberale Demokratie und deren Institutionen verächtlich und rufe nicht selten zum «Widerstand» oder gar «Umsturz» gegen sie auf.

Sie versuche überdies, die nationalsozialistische deutsche Unrechtsgeschichte umzuschreiben, oder setze die aktuelle Demokratie mit der Nazi-Diktatur oder dem DDR-Regime gleich. Auch die Verflechtung der AfD mit rechtsextremistischen Medien und Organisationen sei vielfach belegt.

In Europa beispiellos

Dass ein Organ einer Regierung eine bedeutende Partei wegen verfassungsfeindlicher Umtriebe überwacht, gibt es wohl nirgendwo sonst in Europa. Es ist eine Lehre der Geschichte: Deutschland wurde nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur bewusst als «wehrhafte Demokratie» wiedergegründet. Der Verfassungsschutz wurde 1950 vor allem eingerichtet, um kommunistische Gruppen zu beobachten. Später gerieten auch rechtsextreme Parteien wie die NPD in sein Visier. Auch extremistische Teile der 2007 gegründeten Linkspartei überwacht der Inlandgeheimdienst bis heute.

Die AfD hatte Haldenwangs Entscheid seit Monaten erwartet. Nun, da er da ist, versetzt er ihr dennoch einen schweren Schlag. Dass der Staat die Verfassungstreue der Partei anzweifelt, dürfte ihrem Ruf im Superwahljahr 2021 erheblich schaden. Der Entscheid feuert auch den Machtkampf zwischen den «Gemässigten» um Parteichef Jörg Meuthen und den «Radikalen» um Alexander Gauland oder Björn Höcke weiter an, der die Partei seit Monaten zu zerreissen droht.

Die AfD hat deswegen zuletzt bereits Tausende von Mitgliedern verloren, in den Umfragen ist sie deutlich unter die Werte von 2016 gefallen. Ein handfestes Problem ist die Beobachtung zudem für die vielen Beamten in der AfD: Polizisten, Richter, Professoren oder Lehrer müssen künftig Nachteile oder sogar Entlassungen fürchten.

Die AfD wehrt sich dreifach

Die Partei wehrt sich deshalb mit Händen und Füssen gegen die Einstufung. Sie verfolgt dabei eine dreifache Strategie: Erstens denunziert sie ihre Beobachtung als rein «politisch» – Regierung und «Altparteien» wollten mit dem Manöver kurz vor den Wahlen die letzte Opposition im Land erledigen und sechs Millionen Stimmen nachträglich zum Schweigen bringen.

Zweitens hat die AfD in den vergangenen Monaten einzelne Extremisten aus der Partei ausgeschlossen, etwa den «Flügel»-Organisator Andreas Kalbitz. Mit schriftlichen Bekenntnissen zur Verfassung versuchte sie zudem frühere Äusserungen zu relativieren und deren Verwendbarkeit vor Gericht zu erschweren. Drittens ficht sie den Entscheid juristisch an.

Juristisch und staatspolitisch heikel

Da die deutschen Verwaltungs- und Verfassungsgerichte an die Überwachung von politischen Parteien zu Recht strenge Anforderungen stellen, hat die AfD auf diesem Weg durchaus Chancen. Sollte ein Gericht den Entscheid des Bundesverfassungsschutzes kippen, wäre dies für die Bundesregierung in jedem Fall ein Fiasko.

Die extremistischen Kräfte in der AfD stärker ins Visier zu nehmen, könnte sich staatspolitisch also als heikel erweisen. Angesichts der Radikalisierung der Partei ist es aber mittlerweile eben auch unvermeidlich – und damit richtig.