Eurovision Song Contest in SchwedenIsraels Teilnahme am ESC löst Widerstand aus
Die Polizei in Malmö befürchtet Ausschreitungen beim internationalen Musikfestival. Der Eurovision Song Contest ist so politisch wie nie.
Nun soll also auch noch ein Koran verbrannt werden – die Polizei von Malmö ist nicht zu beneiden in diesen Tagen. Zwar sind es noch rund drei Wochen bis zum Eurovision Song Contest (ESC), der dieses Jahr in der südschwedischen Stadt ausgerichtet wird, aber die Nerven liegen jetzt schon blank. Zu Protestveranstaltungen gegen die Teilnahme Israels werden bis zu 20’000 Demonstranten erwartet. Malmö hat Polizeieinheiten aus dem ganzen Land angefordert, ja sogar Norwegen und Dänemark um Hilfe gebeten.
Die Wellen schlagen also hoch in Skandinavien, wo der ESC einen viel höheren Stellenwert hat, als man das aus anderen Ländern Europas kennt. Die Frage, wer etwa Schweden das nächste Mal vertreten wird, ist monatelang ein Riesenthema, es gibt sechs nationale Vorentscheide, die alle zur besten Sendezeit live im Fernsehen übertragen werden.
Immer mehr Absagen von Künstlern
So ist es nur konsequent, dass auch in der Woche vor dem Final am 11. Mai in ganz Malmö grosse Konzerte mit insgesamt 160 Programmpunkten geplant sind. Allerdings dürfte die Zahl der Veranstaltungen nun schrumpfen, denn immer mehr schwedische Künstlerinnen und Künstler schicken Absagen. Inwieweit das jeweils aus eigenem Antrieb passiert oder orchestrierte Onlinekampagnen dahinterstehen, ist schwer festzustellen.
Die Boykottbewegung BDS hatte bereits im Januar wegen des Gazakriegs Israels ESC-Ausschluss gefordert. Sie drängte auf Instagram ihre Follower dazu, einzelne Künstler unter Druck zu setzen und aufzufordern, «sich zu weigern, als Propagandainstrument für Israel genutzt zu werden». Die Sängerin Rebecca Bergcrantz aus Malmö sagte der Zeitung «Dagens Nyheter», das Ganze erinnere sie an eine «Massenpsychose». Die Menschen seien völlig blind dafür, dass politische Kämpfe auf unterschiedliche Weise geführt werden könnten.
Schon seit Anfang Dezember protestieren verschiedene skandinavische Musik- und Künstlerverbände gegen Israels Teilnahme am ESC. Den Anfang hatten die Isländer gemacht, mit der Forderung der Künstlervereinigung FTT, der öffentlich-rechtliche Sender RUV solle sich aus dem Wettbewerb zurückziehen, falls Israel mitmacht. Anfang Januar unterzeichneten dann 1400 finnische Künstlerinnen und Künstler aus der Musikindustrie einen Aufruf an den Sender Yle, im Falle von Israels ESC-Teilnahme diesmal nicht zu übertragen.
ESC-Veranstalter: «Kein Wettbewerb zwischen Regierungen»
In vergleichbarem Tenor folgten dänische, norwegische und schwedische Petitionen – Letztere trägt die Unterschriften von 1005 Kulturschaffenden. Ziv Nevo Kulman, Israels Botschafter in Schweden, kritisierte die Unterzeichner scharf: «Das ist weder ein Krieg, den wir begonnen haben, noch ein Krieg, den wir wollen», sagte er dem Fernsehsender SVT. Die Petition zu unterzeichnen, bedeute, «den Terroristen der Hamas ein Geschenk zu machen».
Der Veranstalter, die European Broadcasting Union (EBU), teilte auf die Proteste hin mit, der ESC sei «kein Wettbewerb zwischen Regierungen», sondern «eine unpolitische Musikveranstaltung». Israel werde wie in den 50 Jahren zuvor auch 2024 teilnehmen, sagte Generaldirektor Noel Curran. Er begründete die Entscheidung damit, dass es nicht Aufgabe der EBU sei, «Kriege zu vergleichen».
Entscheidend sei das Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Sender zu den jeweiligen Regierungen. Die russischen Rundfunkanstalten seien von der EBU suspendiert worden, weil sie ihre «Mitgliedspflichten permanent vernachlässigen und alle Werte öffentlicher Dienste mit Füssen treten». Der öffentlich-rechtliche israelische Sender Kan habe hingegen ein grundlegend anderes, kritisches Verhältnis zur israelischen Regierung.
Malmö hat viele Bewohner palästinensischer Herkunft
In Malmö aber denken viele anders. Das Hamas-Massaker am 7. Oktober war mit Feuerwerk und grosser Autokolonne gefeiert worden. In Schwedens drittgrösster Stadt leben viele Menschen arabischer und insbesondere palästinensischer Herkunft. Nach Beginn des Gazakriegs kam es zu Demonstrationen, auf denen antizionistische und antisemitische Parolen gerufen wurden. Der Veranstaltungsort des ESC wurde im März mit roter Farbe beschmiert. Ein israelisches Fernsehteam, das Malmö kürzlich besuchte, wurde bedroht.
Bislang sind für die ESC-Woche drei Demonstrationen angekündigt. Am Mittwoch erklärte der Sicherheitsdirektor von Malmö, es werde die ganze ESC-Woche über «ein sehr grosses, schwer bewaffnetes Polizeiaufgebot» in der Stadt geben, man habe auch Verstärkung aus Norwegen und Dänemark angefordert.
Für Israel soll die in Russland geborene 20-jährige Künstlerin Eden Golan antreten. Die israelische Delegation hat angekündigt, ihre öffentlichen Auftritte im Umfeld des Wettbewerbs aus Sicherheitsgründen auf ein Minimum zu reduzieren. Golan wird wohl sogar bei der Parade fehlen, bei der sich normalerweise alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Woche vor dem eigentlichen Wettbewerb der Öffentlichkeit präsentieren.
Am 3. Mai soll ein Koran öffentlich verbrannt werden
Und als ob all das nicht heikel genug wäre, ging bei der Polizei von Malmö am Mittwoch auch noch ein besonders provokanter Antrag ein: Am 3. Mai, dem Tag vor Beginn der ESC-Woche, soll auf dem zentralen Gustav-Adolfs-Platz öffentlich ein Koran verbrannt werden. Schon im vergangenen Jahr gab es Koranverbrennungen an mehreren Orten in Schweden, sie führten in der muslimischen Welt zu riesigen Protesten. Nachdem al-Qaida zu Anschlägen in Schweden aufgerufen hatte, erhöhte der Geheimdienst die Terrorwarnstufe.
Die aufgeheizte Lage kann dem ESC vermutlich nur schaden. Übrigens wurde er ursprünglich auch ins Leben gerufen, um Frieden und Verständigung zwischen den Völkern zu vertiefen.
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