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Nemo im Interview
«Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau»

Portrait von Nemo in und vor dem Kraftwerk Zürich. 23.10.23
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Nemo? Da war ganz schön viel.

Fünf Swiss Music Awards, Gold- und Platin-Auszeichnungen, schweizerdeutsche Lieder mit Millionen Streams, der zeitlose, kollektive Ohrwurm «Du». Schon 2018, mit nur 18 Jahren, hatte Nemo Mettler aus Biel Erfolge gesammelt, die eine ganze Karriere füllen.

Doch wo ist Nemo hin?

Die kurze Antwort: Nach Berlin. 2021 ist Nemo ausgewandert und veröffentlicht seit 2020 nur noch englischsprachige Singles. Mundart-Nemo, auf Spotify immer noch 76’000 Hörerinnen und Hörer stark, macht Pause auf unbestimmt. Jetzt erscheint am 17. November die neue Single «This Body», mit einer beeindruckenden Gesangsperformance und einem schonungslos persönlichen Text. Darin besingt Nemo die lange Reise näher zu sich selbst.

Welches Gefühl steckt für Sie im Song «This Body»?

Wenn man in den Spiegel schaut und denkt: «Hm, das bin doch gar nicht ich?»

Können Sie das näher beschreiben?

Ich habe mich in meinem Körper lange nicht daheim gefühlt. Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau. Das Lied ist in einer Zeit entstanden, in der ich damit recht allein war, weil ich mich gegenüber anderen noch nicht öffnen konnte. Als ich das geschafft habe, ist auch eine sehr schöne Seite dazugekommen.

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Wie das?

Ich habe grosses Glück mit den Menschen in meinem Umfeld. Sie haben es super liebevoll aufgenommen, als ich davon erzählt habe. Es war eine Erleichterung, zu spüren, dass andere mich jetzt ähnlich sehen, wie ich mich selbst sehe, und dass sie es verstehen und respektieren. Darum hat der Song auch eine hoffnungsvolle Note. Es geht mir momentan viel besser in meinem Körper und mit meinem Spiegelbild.

Obwohl sich Ihr Körper nicht verändert hat.

Ja, genau. Ich glaube, wie die Gesellschaft einen wahrnimmt und wie man sich selbst fühlt, lässt sich schwer trennen. Es ist eindrücklich, das so deutlich zu merken.

Portrait von Nemo in und vor dem Kraftwerk Zürich. 23.10.23

Mit wem haben Sie über Ihre Gefühle geredet?

In meiner Beziehung habe ich mich zuerst geöffnet. Wir sind mittlerweile seit fünf Jahren zusammen, da ist ein grosses Vertrauen vorhanden. Ich musste aber zuerst meine eigenen Gedanken verstehen. Ich hatte lange keine Worte dafür, was in mir drin los war.

«Ein Gefühl, dass etwas komisch war, war immer präsent.»

Nemo

Wann haben Sie selbst verstanden, was in Ihnen drin los ist?

Es gibt im Leben und vor allem in der Kindheit ganz viele Erlebnisse, manche subtiler als andere, in denen einem gezeigt wird, wie man sich als «Junge» oder als «Mann» in der Gesellschaft zu verhalten hat. Ein Gefühl, dass etwas komisch war, war immer präsent, schon mit 8, 9 Jahren. Aber ich konnte es für mich selbst nicht artikulieren. In solchen Momenten habe ich gemerkt: Ich mache mir über mich selbst eigentlich gar keine Gedanken, aber im Kontext der Gesellschaft wird es komisch. Mein Kopf hat mir in solchen Momenten immer klar gesagt: Das ist offenbar nicht okay, so gehöre ich nicht dazu.

Gab es eine Art Aha-Moment für Sie?

Ja, als ich mit anderen Menschen, die nonbinär sind, reden konnte. Da habe ich gemerkt, das ist ein Ort, an dem ich existieren kann und in dem ich mich wiederfinde. Aber wenn ich die Beziehung nicht gehabt hätte, wäre es ein viel anstrengenderer und schwierigerer Prozess geworden.

Warum?

In der Beziehung konnte ich mich ausprobieren. Und zum Beispiel erleben, wie es sich anfühlt, wenn jemand nicht mehr «er» als Pronomen für mich verwendet. Als ich später mit meiner Familie darüber gesprochen habe, war ich schon viel sicherer.

Portrait von Nemo in und vor dem Kraftwerk Zürich. 23.10.23

Sie leben zurzeit in Berlin. Welche Rolle spielt der Umzug in Ihrer Entwicklung?

Damals war für mich die Frage: Biel oder Berlin? Biel wäre der altbekannte Hafen gewesen, mit Familie und alten Freundschaften, dort bin ich aufgewachsen. Aber ich musste weg. Mein Empfinden war: In der Schweiz sagen mir ständig Leute, wer ich bin. Ich bin hier sehr früh bekannt geworden, in einer Phase, in der ich selbst nicht wusste, wer ich eigentlich bin und wohin ich gehen möchte. Ich war «der junge Mundartrapper». Um mir selbst Platz zu geben und genau hinhören zu können, wer ich sein möchte, war es besser, an einen Ort zu gehen, wo mich niemand kennt. An dem ich den Menschen neu erklären kann, wer ich bin.

Hat das funktioniert?

Zu Beginn war ich häufig allein. Da war auch noch Corona, es war im April 2021. Ich habe aber Anschluss gefunden und zum ersten Mal in meinem Alltag Menschen um mich gehabt, die nonbinär sind. Diese Begegnungen haben mir die Bestätigung gegeben, dass ich wirklich verstanden werde. Berlin ist eine gute Stadt, um neue Menschen kennen zu lernen. Die Leute sind offen und haben Zeit. Es wird viel Wert auf Freundschaften gelegt.

«In meinem Umfeld geben sich alle Mühe, keine männlichen Pronomen für mich zu verwenden.»

Nemo

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Sie tragen lange Fingernägel, Röcke und Kleidchen. Wie wichtig ist die Mode in Ihrem Findungsprozess?

Kleidung ist etwas ganz Grundsätzliches, ich will einfach so aus dem Haus gehen, wie ich mich wohlfühle. Für mich selbst macht es oft gar nicht so einen Unterschied, ob ich zum Beispiel noch einen Rock über eine Hose ziehe. Ich merke dann erst an den Kommentaren, dass es für andere zu viel ist. Das ist mir dann aber egal.

Was kriegen Sie denn zu hören?

Ich bekomme oft Komplimente, die mich freuen. Und dann kriege ich leider auch immer wieder Schimpfwörter zu hören. Am wohlsten fühle ich mich bei Menschen, die kein grosses Ding daraus machen.

Ihrem Umfeld ist mittlerweile klar, dass Sie nonbinär sind. Wie ist es, nicht mehr in die Mann-Schublade gesteckt zu werden?

Ich fühle mich gesehen und respektiert. Nonbinär ist der Begriff, der sich für mich zurzeit stimmig anfühlt, und so erkläre ich es anderen am einfachsten. In meinem Umfeld geben sich alle mega Mühe, keine männlichen Pronomen für mich zu verwenden, ich bin für sie einfach Nemo. In meinem Beruf oder sonst im Alltag treffe ich viele neue Leute, da ist es manchmal eine Herausforderung. Nicht alle sind gleichermassen mit dem Thema vertraut. Oftmals ist es ein Automatismus: Wir sehen eine Person, ordnen sie ein, verwenden dann die dazu «passenden» Pronomen. Ich versuche, das locker zu sehen, auch wenn es mich manchmal verletzt.

Machen Sie sich Gedanken darüber, wie Ihre Fans auf das Outing reagieren?

Ich traue Ihnen viel zu. Ich denke, sie akzeptieren mich und meinen Lebensweg. Im Endeffekt ändert sich ja nichts. Ich bin immer noch der gleiche Mensch, den sie schon kennen. Die ersten Rückmeldungen aus meinem Umfeld auf den Song sind megaschön und oft auch sehr emotional. Für mich ist Musik einer der besten Wege, komplexe Gefühle so zu übersetzen, dass auch Menschen sie fühlen können, die sonst keinen Zugang dazu hätten.

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Wo stehen Sie musikalisch? Ist Mundart-Nemo eigentlich vorbei? Auf Spotify hören immer noch viele Menschen die Lieder.

Nemo auf Schweizerdeutsch ist wie ein Buch im Regal. Vielleicht habe ich mal Lust, es wieder zu öffnen, mich neu einzulesen und weiterzuschreiben. Aber im Moment habe ich anderes, das mich beschäftigt und das ich entdecken will. Und das ist Nemo, auf Englisch.

Was ist der grösste Unterschied zwischen Nemo auf Englisch und Nemo auf Schweizerdeutsch?

Mein Feld hat sich enorm geöffnet. Ich kann mit mehr Menschen zusammenarbeiten, und das liebe ich. Mit anderen zusammen Musik zu machen, ist ein grosser Teil davon, warum ich gern Musik mache. Mundart hätte mich mehr eingeschränkt.

«Finanziell ist davon nichts mehr da.»

Nemo über die ersten Erfolge

Warum eigentlich Englisch?

Das ist meine zweite Sprache. Ich habe ein Grosi aus Kalifornien, unser Vater hat den US-Pass. Englisch war immer präsent in der Familie und schon länger ein Teil von mir, den ich entdecken wollte. Vor allem, nachdem mit Mundart alles so schnell ging.

Die ersten Erfolge hatten Sie mit 16 Jahren. Ging es zu schnell?

Ich habe daran nichts auszusetzen. Der Erfolg ist der Grund, warum ich heute die Musik so ernst nehme, dass sie mein Lebensinhalt ist. Finanziell ist davon nichts mehr da. Aber damals konnte ich deswegen voll auf die Musik setzen. Irgendwann habe ich mir aber gesagt: Stopp, ich will mich noch nicht festsetzen. Ich kann jederzeit wieder Mundart machen, wenn ich Lust dazu habe. Ich glaube, ich kann mir jetzt die Zeit dafür nehmen, anderes auszuprobieren.

Jetzt erscheint die neue Single. Was kommt danach?

Das nächste Jahr wird vollgepackt! Viel neue Musik ist in der Pipeline, im Frühjahr 2024 bin ich ein Teil von «Sing meinen Song» und im Sommer spiele ich endlich wieder auf den Festivalbühnen der Schweiz.

Nemos neue Single «This Body» erscheint am 17. November.