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Lieferengpässe in Pharmaindustrie
Hersteller günstiger Medikamente wollen Staatshilfe

ILLUSTRATION - Eine Aerztin verschreibt am 09.12.2016 in einer Arztpraxis in Hamburg Tabletten fuer ihren Patienten (gestellte Szene). Foto: Christin Klose | Verwendung weltweit
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Es herrscht keine Pandemie oder ein anderer Ausnahmezustand, dennoch schlagen die Hersteller günstiger Medikamente Alarm – und fordern Staatshilfe. Der Grund sind die anhaltenden Lieferschwierigkeiten für wichtige Basismedikamente. «Ohne Staatshilfe hören die Engpässe nicht auf, wir können das Problem allein nicht lösen», sagt Lucas Schalch. Als Geschäftsführer von Intergenerika vertritt er Firmen, die günstige Medikamente ohne Patentschutz herstellen.

Was der Verband will, sind Geld und Staatsverträge, um Schmerzmittel oder Fiebersenker zuverlässig produzieren zu können. Denn die Schweiz droht abgehängt zu werden. Andere Staaten in Europa unternehmen drastische Schritte, um die notorische Mangellage bei Medikamenten zu beheben. «Hier wird nur viel geredet, aber es passiert nichts», kritisiert Schalch. Er vertritt Konzerne wie Sandoz und Mepha, die für die Schweizer Versorgung entscheidend sind.

Frankreich holt Produktion zurück

Frankreich ist dabei, die Herstellung von wichtigen Wirkstoffen für 50 essenzielle Medikamente aus Asien nach Europa zurückzuholen, um so die reibungslose Versorgung sicherzustellen. Der Staat finanziert das mit. Denn ohne Subventionen würde die Industrie die Investitionen in neue Produktionsanlagen nicht stemmen können.

French President Emmanuel Macron arrives to deliver a statement after an international videoconference on vaccination at the Elysee Palace in Paris on the 49th day of a lockdown in France aimed at curbing the spread of COVID-19, caused by the novel coronavirus. (Photo by GONZALO FUENTES / POOL / AFP)

Auslöser sind die instabilen weltweiten Lieferketten der Hersteller günstiger Medikamente. Es gibt nur noch wenige Zulieferer wichtiger Roh- und Wirkstoffe, und diese sitzen grösstenteils in China und Indien. Fällt einer von ihnen aus oder gibt es Verzögerungen in der Logistik, zieht das Engpässe in europäischen Apotheken nach sich.

«Dafür braucht es Staatsverträge»

Die Schweiz ist zu klein, eine eigene Wirkstoffproduktion würde sich hier nicht lohnen. Ausserdem wäre sie deutlich teurer als in Frankreich. Deswegen will Intergenerika keine eigene Produktion in der Schweiz, sondern eine Liefergarantie von europäischen Herstellungsanlagen: «Dafür braucht es Staatsverträge, entweder bilateral wie mit Frankreich oder mit der Europäischen Union.»

Mitte November kommt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Bern auf Staatsbesuch, für Intergenerika ist das der Anlass, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Medikamenten­engpässe zu sprechen. Schalch sagt auch: «Das wird etwas kosten, die Schweiz müsste sich auch finanziell beteiligen.»

«Eine Beteiligung der Schweiz an ausländischen Produktionsanlagen steht derzeit nicht im Fokus.»

Bundesamt für Gesundheit

Das aber wäre Industriepolitik – und galt bis vor kurzem als Tabu in der Schweiz. Die Zeiten ändern sich jedoch: Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) hält eine staatliche Förderung «grundsätzlich und subsidiär für denkbar».

Konkret tut sich jedoch nichts. Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) heisst es: «Eine Beteiligung der Schweiz an ausländischen Produktionsanlagen steht derzeit nicht im Fokus.» Der Bund könne nur bei schweren Mangellagen oder im Fall einer Pandemie direkt eingreifen. Die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung sei «grundsätzliche Aufgabe der Wirtschaftsakteure und der Kantone».

Die Schweiz wartet, die EU handelt

Nicht nur Frankreich, sondern auch die Europäische Union geht da aber anders vor. Sie verlassen sich nicht mehr auf die Industrie. Die EU beschloss Ende Oktober, dass ab nächstem Jahr eine Allianz für kritische Arzneimittel «Verfahren zur öffentlichen Auftragsvergabe auf EU-Ebene koordinieren» soll. Sie soll auch die Stärkung der Kapazität Europas zur Herstellung von Basismedikamenten abstimmen.

Die EU will nicht die gesamte Produktion nach Europa zurückzuholen und subventionieren. Das dürfte kaum zu leisten sein. Sie geht zweigleisig vor und peilt auch «strategische Partnerschaften mit Drittstaaten» an. Ziel ist, die Zulieferer weltweit zu diversifizieren, um sich nicht abhängig von einer Region und deren Logistik zu machen. Eigentlich ist dies Aufgabe der Firmen, aber wie die Engpässe zeigen, funktioniert dies nicht. Sie beziehen ihre Wirkstoffe vor allem aus den Billiglohnländern Asiens.

Dr. Lucas Schalch / Weiterer Text über ots und www.presseportal.ch/de/nr/100053453 / Die Verwendung dieses Bildes ist für redaktionelle Zwecke honorarfrei. Veröffentlichung bitte unter Quellenangabe: "obs/Intergenerika"

Intergenerika-Leiter Lucas Schalch hält das Vorgehen der EU für richtig. Dies obwohl er als Lobbymann der Generika-Firmen eigentlich für eine liberale Politik stehen müsste. «Wir sind jedoch in einer weltweiten Problemlage, die die Industrie allein nicht lösen kann.»

Das weiss auch das BAG. Ebenso in der Schweiz hat sich der Staat wegen der Lieferengpässe eingeschaltet. Ein runder Tisch berät Optionen zur Lösung der Lieferengpässe. Sie sollen dem Bundesrat jedoch erst nächstes Jahr zur Beratung vorgelegt werden.

Die Entwicklungen in der EU verfolgt die Schweiz derweil eng, wie das BAG sagt. Eine mögliche Zusammenarbeit oder eine Beteiligung der Schweiz an EU-Initiativen ist jedoch nicht möglich, solange die generellen bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU nicht erfolgreich sind.

Spezialproblem bei Antibiotika

Zu den kritischen Medikamenten gehören auch Antibiotika. Sie sind lebenswichtig, und auch hier kommt es zu notorischen Engpässen. Bei ihnen spielt die Lieferkette keine Rolle, denn es braucht für ihre Herstellung keine anderen Zutaten als Zucker, Schimmelpilz und Energie. Bei Antibiotika ist jedoch die Mengenplanung das Problem, bei der die Hersteller Instruktionen vom Staat wollen. Es geht nicht um Subventionen, sondern um planbare Abnahmemengen. (Lesen Sie mehr dazu im Interview mit Sandoz-Chef Richard Saynor).

Rund ein Jahr im Voraus muss wegen des Fermentierungsprozesses die Antibiotikaproduktion aufgegleist werden. Sandoz stimmt sich hier mit der EU ab. Die EU beschafft die Antibiotika. Auch in der Schweiz beschafft der Staat die Antibiotika und ist momentan dabei, die Pflichtlager für den kommenden Winter zu füllen. Das BWL geht heute davon aus, dass die bestellten Mengen auch tatsächlich geliefert werden.

Für den ¨übernächsten Winter könnte es jedoch schwierig werden, so das BWL. Die Planung läuft jetzt. Sie ist insofern herausfordernd, als dass viele Staaten ihre Lager ausweiten und so einen zusätzlichen Bedarf haben. Die Hersteller können so ihre Mengenplanung schwer kalkulieren. Das heisst: Der weltweite Antibiotikamarkt ist derzeit kaum durchschaubar.