Sandoz-Chef im Interview «Die Schweiz könnte bei Medikamenten jedes Jahr Hunderte Millionen sparen»
Die weltgrösste Herstellerin günstiger Medikamente kommt heute an die Börse. Richard Saynor zu Preisen, Engpässen und dem Geprotze der Pharmaindustrie.
Mitten in der Diskussion über steigende Gesundheitskosten geht Sandoz heute an die Börse. Herr Saynor, wie werden Sie für Anleger interessant? Müssen Sie jetzt günstige Medikamente mit abgelaufenem Patentschutz profitabler machen?
Die Generika-Industrie produziert 80 Prozent aller Medikamente weltweit, und das zu 25 Prozent der Kosten der Originalhersteller. Das ist ein enormer Beitrag für die Stabilität von Gesundheitssystemen. Sandoz ist als Marktführer ein wichtiger Partner für die medizinische Grundversorgung, und das wird auch so bleiben.
Damit sind wir schon gleich bei einem Schweizer Problem: Nachahmermedikamente werden hier kaum verschrieben.
Die Schweiz könnte bei Medikamenten jedes Jahr Hunderte Millionen Franken sparen, wenn sie mehr umstellen würde. In der Schweiz haben Generika und Biosimilars lediglich einen Marktanteil von rund 25 Prozent. In Europa sind es rund 70, in den USA 90 Prozent.
«Arztpraxen und Apotheken in der Schweiz verdienen mit dem heutigen Margensystem mehr, je teurer die Medikamente sind.»
Bundesrat Berset will nächstes Jahr die Generika-Preise senken. Und für Kranke einen höheren Selbstbehalt einführen, wenn sie ein teures Originalmedikament nehmen, obwohl es günstigere Nachahmermedikamente gibt. Wird das etwas ändern?
Den entscheidenden Punkt sehe ich woanders: Arztpraxen und Apotheken in der Schweiz verdienen mit dem heutigen Margensystem mehr, je teurer die Medikamente sind. Dieser Fehlanreiz treibt die Kosten in die Höhe. Da ist der Gesetzgeber am Zug.
Wie sieht es mit Ihrer Liefersicherheit aus? Kommt es zu noch mehr Engpässen bei Antibiotika?
Wir sehen klare Anzeichen für eine Verbesserung. Bei Sandoz investieren wir gerade 250 Millionen Euro in den Ausbau unserer Antibiotika-Kapazitäten in Europa. Während der Pandemie hat sich der Bedarf an Antibiotika mehr als halbiert. Jetzt hat er sich mehr als verdoppelt. Keine Lieferkette hätte das kurzfristig stemmen können.
Der wieder steigende Bedarf war voraussehbar.
In der Pandemie hat die Generika-Industrie wegen der eingebrochenen Nachfrage Kapazitäten stillgelegt. Der rasante Anstieg der Nachfrage hat viele überrascht, auch die Regierungen in Europa. Bei Sandoz haben wir eine Erholung der Nachfrage prognostiziert und noch während der Pandemie entschieden, umfangreich in neue Anlagen zu investieren. Aber neue Fertigungsstrassen müssen erst geplant, genehmigt und gebaut werden. Rohstoffe mit sechs bis zwölf Monaten Vorlauf eingekauft und Mitarbeiter eingestellt und trainiert werden. Aber wir liegen mit unserem Ausbau auf gutem Kurs.
Der niedrige Preis für Antibiotika und andere Medikamente ohne Patentschutz ist also kein Problem?
Doch. Der Fabrikabgabepreis einer Packung Antibiotika in der Schweiz beträgt nicht viel mehr als eine Tasse Kaffee in Zürich. Wenn aber für Generika-Firmen das Geschäft nicht mehr kostendeckend ist, dann bleiben die Kapazitäten knapp, denn niemand baut neue Anlagen, ohne Investitionen wieder hereinholen zu können.
«Ich fürchte, die Engpässe bei einigen Medikamenten werden zunehmen.»
Werden die Engpässe also bleiben?
Ich fürchte, die Engpässe bei einigen Medikamenten werden sogar zunehmen, wenn sich nichts an den Rahmenbedingen in Europa ändert. Die Gesundheitssysteme müssen flexibler werden.
Was meinen Sie damit?
Wir müssen Kostensteigerungen bei Rohstoffen und Energie auf den Fabrikabgabepreis umlegen können. In der Schweiz und einigen anderen Ländern in Europa ist das heute nicht möglich, und manche Hersteller machen bei bestimmten Medikamenten sogar Verluste.
Sie ziehen vom Novartis-Campus weg, wieso?
Der Campus ist wunderschön mit seiner Weltklasse-Architektur, sehenswerter Kunst und tollen Exponaten, aber für eine Generika-Firma nicht das richtige Umfeld. Wir ziehen nächstes Jahr in Büros beim Basler Bahnhof SBB. Das ist der Generika-Weg.
Sie meinen, Pharmakonzerne wie Novartis verschwenden zu viel Geld?
Die grossen Pharmaunternehmen haben mit ihren Milliardenaufwendungen für die Forschung völlig andere Kosten, aber auch andere Gewinnspannen. Das ist eine ganz andere Art von Geschäft. Als Generika-Unternehmen haben wir viel dünnere Margen als forschende Pharmafirmen und müssen unser Geld sehr zielgerichtet ausgeben. Und in der Regel stehen da Kunst oder naturhistorische Exponate nicht so sehr in unserem Fokus.
Der frühere Novartis-Chef Daniel Vasella hatte ein Dinosaurier-Skelett für den Campus angeschafft, um für «eine anregende und interessante Arbeitsumgebung zu sorgen», wie es auf der Schautafel heisst. Müssen Sie nicht auch einen attraktiven Arbeitsplatz bieten, um die besten Leute anzuziehen?
Das tun wir auch so. Auch Novartis-Mitarbeitende wechseln zu Sandoz. Unsere Mitarbeitenden wollen für eine Firma arbeiten, die vorangeht und erschwingliche Medikamente für die ganze Welt herstellt. Die Geburt einer neuen Firma durch den Börsengang macht uns natürlich auch attraktiv.
Sind die Fronten verhärtet zwischen Pharmafirmen, die neue Therapien erforschen und patentieren lassen, und Generika-Firmen, die sie nach Patentablauf produzieren und deutlich günstiger verkaufen?
Wir verfolgen ganz unterschiedliche Ziele: Die Aufgabe von Sandoz ist und bleibt es, Medikamente möglichst schnell nach Patentablauf des Referenzmittels auf den Markt zu bringen. Forschende Pharmakonzerne wollen dagegen ihre Patente möglichst lange halten. Aber beide brauchen sich gegenseitig: Generika sorgen für eine massive Kostenentlastung der Gesundheitssysteme, was wiederum mehr Raum schafft, um innovative neue Wirkstoffe der Pharmaindustrie zu finanzieren.
Die Zentrale von Sandoz bleibt in Basel, aber in der Schweiz produziert sie nicht. Wieso?
In Deutschland, Österreich und Slowenien haben wir schon Forschungs- und Produktionsstandorte, die wir nun ausbauen. Slowenien ist deutlich günstiger als die Schweiz – das muss man nüchtern sehen. Wir sind einer der grössten Arbeitgeber im Land, und die Zusammenarbeit mit der Regierung dort ist sehr einfach. In Österreich hat uns die Regierung mit 50 Millionen Euro bei der Erweiterung unserer Antibiotika-Produktion unterstützt.
«Wir sind heute praktisch die Einzigen, die in der westlichen Welt noch Antibiotika im Weltmassstab herstellen.»
Ohne Subventionen geht es nicht in Europa, hätten Sie die Penicillin-Fabrik in Österreich sonst geschlossen?
Der Kostendruck zum Beispiel aus Rabattvertrags- und Festpreissystemen in einigen Ländern Europas ist so hoch, dass wir bei den Produktionskosten mit mehreren Stellen hinter dem Komma rechnen müssen. Wir sind heute praktisch die Einzigen, die in der westlichen Welt noch Antibiotika im Weltmassstab herstellen. Sonst kommen Antibiotika fast nur noch aus China und Indien, die mit anderen Umweltstandards und geringeren Lohn- und Energiekosten viel günstiger produzieren können.
Noch einmal die Frage nach der Profitabilität: Steigt der Renditedruck für Sandoz mit dem Börsengang?
Ärmeren Menschen besseren Zugang zu Medikamenten zu verschaffen, ist für Investorinnen und Investoren kein Widerspruch. Je mehr Patienten wir erreichen, desto mehr gewinnen wir letztlich auch an Umsatz.
Aber Sie wollen Ihre Margen deutlich steigern.
Ein wichtiger Hebel ist unser Produktmix, den wir durch die verstärkten Lancierungen von Biosimilars verbessern werden.
Biosimilars sind moderne Biotechmedikamente, bei denen der Ablauf des Patentschutzes gerade erst begonnen hat. Anders als Generika sind sie deutlich schwieriger nachzuahmen. Verdient man deswegen deutlich mehr an ihnen?
Für sie braucht es sogar eigene klinische Studien. Auch deswegen liegt bei Biosimilars die Bruttomarge deutlich höher als bei Standardgenerika.
Setzen Sie folglich für die Zukunft mehr auf profitablere Biosimilars?
Biosimilars sind ein klarer strategischer Fokus für Sandoz. Wir haben jetzt 25 Biosimilars in der Pipeline, und in den nächsten achtzehn Monaten wollen wir 5 Biosimilars für Blockbuster-Medikamente in den USA und Europa lancieren. Nichtsdestotrotz nehmen wir unsere Verantwortung als Grundversorger mit einem breiten Portfolio von Standardmedikamenten weiter wahr.
Sandoz ist vorerst nicht in den Schweizer Leitindex SMI aufgenommen. Das übt zusätzlichen Druck auf die Aktie aus, wie gehen Sie damit um?
Die Entscheidung basiert auf den Einschätzungen zur Marktkapitalisierung und zum Handelsvolumen nach der geplanten Abspaltung. Diese Entscheidung wurde von der Börse SIX unabhängig getroffen, und wir respektieren das. Was die zukünftige Entwicklung von Sandoz angeht, sind wir optimistisch.
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