Empörung an der Klimakonferenz«Wir werden nicht unser Todesurteil unterschreiben»
Eigentlich sollte die Konferenz den schrittweisen Abschied von Kohle, Öl und Gas festschreiben. Doch im Entwurf für den entscheidenden Text steht davon kein Wort. Die Konferenz geht in die Verlängerung.
Alles lief wie am Schnürchen für Sultan Ahmed al-Jaber. Eine perfekt organisierte Klimakonferenz, ein Auftakt nach Mass, alle Gespräche nach Plan – und dann das. Mit seinem Vorschlag für das wichtigste Dokument der COP28 hat deren Präsident nun die halbe Welt gegen sich aufgebracht. Alle Zeitpläne sind perdu.
Am Montagnachmittag hatte al-Jaber präsentiert, wie er sich die «globale Bestandsaufnahme» vorstellt. Sie soll das zentrale Ergebnis der Konferenz sein: die Schlussfolgerung aus acht Jahren unzureichender Klimapolitik. Die Bestandsaufnahme, zu Englisch global stocktake, soll den Staaten einen Weg weisen, wie es in den kommenden Jahren besser laufen soll. Die meisten Länder plädieren dafür, auch ein Auslaufen fossiler Energien festzuschreiben, ein phase out.
Null Ambitionen
Doch in al-Jabers Vorschlag findet sich davon kein Wort. Stattdessen sollen Förderung und Verbrauch fossiler Energien «gesenkt» werden, mit dem Ziel, irgendwann zur Mitte des Jahrhunderts bei netto null Emissionen zu landen. Das hiesse aber, dass sich weiter Öl, Gas und Kohle fördern liesse, wenn nur die damit verbundenen Emissionen irgendwie kompensiert werden. Oder wenn das anfallende klimaschädliche Kohlendioxid abgeschieden und gespeichert würde. Gross ändern würde sich erst einmal also nichts.
Die Antwort auf al-Jabers Vorschlag ist noch am Abend: ein Aufschrei. «Wir werden nicht unser Todesurteil unterschreiben», sagt der Minister aus Samoa, Toeolesulusulu Cedric Schuster – er spricht für die Gruppe der kleinen Inselstaaten. «Wir können nichts unterschreiben, das keine starken Bekenntnisse zum Ausstieg aus fossiler Energie enthält.»
«Wesentliche Elemente sind für uns als EU nicht akzeptabel», sagt die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock. Statt Unternehmen Klarheit zu geben, dass sie auf jede fossile Investition verzichten sollten, sei selbst der Bau neuer Kohlekraftwerke mit diesem Vorschlag möglich. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, sei so nicht zu erreichen.
Gegenblock Saudi-Arabien und Indien
Allerdings gibt es auch einen starken Gegenblock. Dazu zählt nicht nur Saudi-Arabien, das wie andere Ölländer jeden Abschied von fossiler Energie ablehnt – und das nicht erst, seit der Opec-Generalsekretär in einem Brief zum Widerstand aufgerufen hat. Auch Indien hält wenig von so einem phase out – das aber vor allem mit Blick auf die Kohle, die es noch eine Weile fördern will. Diese Länder melden sich aber nicht offen zu Wort.
Unklar ist auch, wo genau China steht. Der grösste Emittent der Welt hatte schon vor der COP seine Linie mit Emittent Nummer zwei, den USA, abgestimmt. Ihr gemeinsames «Sunnylands Statement» sagt aber wenig bis nichts über die Zukunft fossiler Energien. Stattdessen plädieren sie dafür, die Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 zu verdreifachen und die Energieeffizienz im gleichen Zeitraum zu verdoppeln – beides findet sich auch im Vorschlag al-Jabers. Bei der Ablösung von Kohle, Öl und Gas ist das Papier dagegen mager. Beobachter fürchten, dass Peking auch gar nicht weiter gehen will.
Rätsel Al-Jaber
Das grösste Rätsel aber bleibt al-Jaber selbst. Noch am Sonntag hatte er sich dafür gerühmt, erstmals in der Geschichte der Klimagipfel das Ende fossiler Energien zu verhandeln. Es gehe darum, die 1,5 Grad Celsius in Reichweite zu halten, wie es auch der Weltklimarat verlangt. «Scheitern ist keine Option», sagt al-Jaber. Und noch wenige Stunden, bevor er dann einen ganz anderen Entwurf präsentierte, waren Verhandler fest von einem Text ausgegangen, der zumindest zwei Optionen enthält, zwischen denen die Staaten wählen können. Wer oder was den Sinneswandel bei al-Jaber ausgelöst hat, bleibt offen.
So aber müssen die Fossil-Aussteiger unter den Staaten nun versuchen, wieder eine stärkere Passage zum Ende von Kohle, Öl und Gas auszuhandeln. Erschwerend kommt hinzu, dass einige von ihnen auch in einer anderen Frage in der Defensive sind: Ein Textentwurf für ein neues «globales Anpassungsziel», mit dem sich arme Länder besser an die Folgen des Klimawandels anpassen sollen, sieht immense finanzielle Verpflichtungen vor. Die Europäer fürchten, dass die am Ende auf die Industriestaaten zulaufen. Sie kämpfen also an zwei Fronten.
Vor Tagen schon hatte al-Jaber das grosse Ziel ausgegeben, endlich mal einen Klimagipfel zu veranstalten, der pünktlich endet. Pünktlich hätte geheissen: Diesen Dienstag um elf Uhr Ortszeit, in Deutschland wäre es dann acht Uhr morgens gewesen. Doch inzwischen ist die Konferenz in die Verlängerung gegangen.
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