DrogenkriminalitätBandenkrieg in den Niederlanden schwappt nach Deutschland über
Sprengstoffanschläge, Maschinenpistolensalven, Entführungen: Im Grossraum Köln kommt es seit Ende Juni zu einer Welle von Gewalt. Was steckt dahinter?
- Niederländische Drogenhändler lieferten 700 Kilogramm Marihuana in die Region Köln.
- Eine rivalisierende Bande stahl Ende Juni 300 Kilogramm davon.
- Die Händler setzten Sprengsätze, um die Diebe unter Druck zu setzen.
- Die Polizei ermittelt mit 60 Beamten und hat 13 Verdächtige in Haft.
Es begann mit einer Lieferung von 700 Kilogramm Marihuana, die niederländische Drogenhändler in die Region Köln lieferten. Der kostbare, weil illegale Stoff wurde dort in einer Halle bewacht, dennoch gelang es einer anderen, vermutlich arabischen Bande, Ende Juni 300 Kilogramm davon zu stehlen. Der Verkaufswert der Menge wird mit bis zu 3 Millionen Euro beziffert.
Die geprellten Drogenhändler machten sich umgehend daran, das geklaute Rauschgift zurückzuholen, und griffen dabei zu für deutsche Verhältnisse aussergewöhnlichen Mitteln der Einschüchterung: Innert weniger Tage platzierten sie ein halbes Dutzend Sprengsätze vor Wohnungen, Läden und Geschäftshäusern, die Familien gehörten, in denen sie die Diebe vermuteten: in Köln, in Düsseldorf, Duisburg, Solingen und Engelskirchen.
Als Täter setzten die Kriminellen laut Polizei junge «Gewaltboten» aus den Niederlanden ein, die für solche Sprengstoffanschläge laut Fachleuten mit 500 Euro pro Fall entlohnt werden. In Solingen explodierte ein Sprengkörper zu früh und tötete den Boten, der ihn einsetzen sollte: Er war 17 Jahre alt.
Einen libanesischen Mann und dessen Partnerin, den das holländische Drogenkartell verdächtigte, mit den Dieben familiär verbunden zu sein, liess dieses kurzerhand aus Bochum entführen. Der Mann und die Frau wurden in einer Villa in Köln-Rodenkirchen während Stunden gefoltert und mit dem Tod bedroht, die dabei gefilmten Szenen zur Mahnung und Abschreckung im Internet veröffentlicht. Die beiden Opfer wurden schliesslich von einem Sondereinsatzkommando der Polizei befreit.
Kölner Kriminalpolizei: «Für Deutschland neue Dimension der Gewalt»
«Wir haben hier eine neue Dimension der Gewalt im Bereich der organisierten Kriminalität erleben müssen, die es so in Deutschland noch nicht gegeben hat», sagte Michael Esser, Chef der Kölner Kriminalpolizei, danach sichtlich erschüttert.
Die Brutalität ist nach Ansicht der Polizei typisch für holländische Drogenbanden. Der deutsche Boulevard hat für diese den Begriff «Mocro-Mafia» importiert, niederländischer Slang für Marokkaner-Mafia. Der Begriff führe aber in die Irre, meinen deutsche Fahnder. Die holländischen Drogenbanden seien mittlerweile so durchmischt wie die holländische Fussballnationalmannschaft – auch Asiaten, Urholländer und Deutsche machten mit.
Seit 2012, als eine Ladung Kokain gestohlen wurde, bekämpfen sich rivalisierende Rauschgifthändler in den Niederlanden mit immer grausameren Methoden: Es kam zu Hunderten von Sprengstoffanschlägen, bei denen auch immer wieder Unbeteiligte verletzt werden, zu Folterungen und Auftragsmorden. Mehr als 70 Menschen wurden bis heute getötet. Ein Höhepunkt der Gewalt wurde erreicht, als 2021 im Gefolge des Prozesses gegen den marokkanischen Paten Ridouan Taghi der Journalist Peter de Vries ermordet wurde und Drohungen auch gegen Premierminister Mark Rutte und das niederländische Königshaus ergingen.
In Köln setzte sich die Gewalt Ende August und im September fort: Mit einer Maschinenpistole wurde auf ein Wohnhaus geschossen, etwas später lag unter einem brennenden Auto eine scharfe Handgranate. Darauf folgten wieder mehrere Explosionen. Da die Sprengsätze stets am frühen Morgen explodierten, kam dabei bis anhin niemand zu Schaden.
Konsum von Cannabis ist in Deutschland legal, aber es fehlt an Stoff
Die Polizei fahndet mittlerweile mit 60 Beamten nach den Tätern, mehr als 40 Verfahren laufen, 13 Verdächtige sitzen in Haft. Die Ermittlungen sind aus zwei Gründen besonders schwierig: Täter und Opfer der Attacken schweigen eisern. Und es ist nicht immer ganz klar, welche Taten zusammenhängen und welche nicht. Bei den Schüssen und der Handgranate gibt es auch Spuren in die Rockerkriminalität, ein Brandanschlag wirkte wie eine Handlung von Nachahmern.
Dass sich der neue Bandenkrieg ausgerechnet an einer grossen Menge Cannabis entzündet hat, halten Fachleute nicht für zufällig. Deutschland hat am 1. April den Konsum von Haschisch legalisiert, seit dem 1. Juli ist unter strengen Voraussetzungen auch ein wenig Anbau erlaubt, im Rahmen von speziellen Clubs. Der Konsum ist seither offenbar deutlich gestiegen, es fehlt aber an legalem Cannabis. Diesen Mangel, glauben Ermittler, beseitigen holländische Händler nun aggressiv mit illegalem Stoff.
Die Niederlande haben den Konsum schon in den 1970er-Jahren legalisiert, Cannabis als solches blieb aber illegal. Um die Nachfrage zu stillen, bildeten sich grosse Händlerbanden, die zunehmend auch härtere Drogen anboten. Die holländischen und belgischen Meerhäfen wurden zu Hauptumschlagplätzen im europäischen Drogenhandel, Deutschland wiederum wurde als Absatzmarkt, als Platz für Geldwäsche und Handel zuletzt immer bedeutsamer. Mitte Juni konfiszierten Fahnder 35 Tonnen Kokain im Wert von 2,6 Milliarden Euro – das meiste davon im Hamburger Hafen.
Fachleute meinen, die deutschen Behörden seien auf die neuen Herausforderungen durch die transnationale Drogenkriminalität nicht gut vorbereitet. Die Gewaltserie von Köln solle man deswegen als «Warnsignal und Mahnung» verstehen. Die Drogenkriege in Belgien und den Niederlanden hätten seinerzeit ähnlich begonnen.
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