Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

2000–2025 im Rückblick
Klima, Kardashians und Körperbilder: Die Trends dieses Vierteljahrhunderts

Collage von Menschen in verschiedenen Aktivitäten: ein Mädchen mit Megafon, eine Frau beim Meditieren, Sportlerin mit Ball, Kaffee trinken, Gruppenfoto, Laptop-Meeting.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Kaum ein Vierteljahrhundert hat so viele Veränderungen im Alltagsleben gesehen wie die letzten 25 Jahre. Die Pandemie, politische und digitale Umwälzungen sowie der Klimawandel und Kulturkämpfe prägten diese Ära tiefgreifend. Zugleich spiegeln Influencer und die Selfie-Kultur eine unverkennbare Hinwendung zum Ich wider – ein Zeitgeist, der seit dem Millennium die Welt neu definiert.

«Fridays for Future»: Greta und die Klimabewegung

Greta Thunberg protestiert mit einem Megafon vor dem UNO-Büro in Jerewan, Armenien, gegen das COP29 in Baku. Medienvertreter umgeben sie.

«Wir haben zur Frage, ob man Socken zu Sandalen tragen darf, eine dezidiertere Meinung als zum Nato-Einsatz im Kosovo», schrieb Florian Illies in «Generation Golf» (1999). Ja, die 90er waren zumindest im Westen ein unpolitisches Jahrzehnt – das galt auch für den Klimaschutz. Doch mit dem Start des Millenniums veränderte sich das Bewusstsein radikal. Al Gores Dokfilm «An Inconvenient Truth» rüttelte viele Menschen auf, internationale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll wurden ausgehandelt. Tesla revolutionierte die Automobilindustrie, indem es E-Mobilität sexy machte – plötzlich war Grün auch cool. E-Scooter und E-Trottis eroberten die Städte.

Ab 2018 folgten Greta Thunbergs Fridays-for-Future-Demonstrationen. Heute ist das öffentliche und politische Interesse am Klimaschutz trotz alarmierter Klimaforscher geschrumpft. Eine Balance zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen, technologischen Innovationen und gesellschaftlichem Engagement wird zeigen, ob und wie die Folgen des Klimawandels aufzuhalten sind.

Schritt halten mit den Kardashians

Kim Kardashian und Khloe Kardashian am Pool in einer Szene aus der neuen Reality-Show ’The Kardashians’ Staffel 4 (2023).

Als 2007 «Keeping Up With the Kardashians» startete, erntete die Realityshow rund um Kris Jenners Patchworkfamilie Hohn und Spott. Familienoberhaupt Kris «Momager» Jenner liess das kalt. Mit scharfem Geschäftssinn verwandelte sie ihre Familie in eine der erfolgreichsten Marken der Welt. Heute sind ihre Töchter Kim, Kourtney, Khloé, Kendall und Kylie Superstars, Unternehmerinnen, Models und Milliardärinnen.

Als feministische Leistung wurde das bislang kaum anerkannt. Doch nichts symbolisiert den Wechsel von der männlichen Perspektive im Unterhaltungsbusiness hin zum Fokus auf Frauen besser als der Erfolg des Clans mit seiner perfekten Mischung aus Drama, Skandalen und Selbstvermarktung.

Heute sind die Kardashians Mainstream: Fülligere Körperideale mit üppigen Rundungen haben sich genauso durchgesetzt wie Contour-Make-up, Selbstoptimierung per Beauty-Doc oder Instagram-Filter – und die konsequente Selbstvermarktung, die heute dank den sozialen Medien und dem Influencertum eine Milliardenindustrie geworden ist.

Die Pandemie: Zoomcalls und Sauerteigbrot

Rückansicht einer Frau bei einer virtuellen Teamsitzung mit multikulturellen Kollegen auf dem Laptop.

Millionen von Toten, soziale Isolierung, zerstrittene Gesellschaften, wirtschaftliche Schäden: Die Pandemie war das dramatischste und prägendste Ereignis des Vierteljahrhunderts. Aber sie hat auch Innovationen hervorgebracht. Allen voran das Homeoffice und Videokonferenzen. Doch nicht alle sehen die neuen Arbeitsformen positiv – Stimmen wie Elon Musk fordern eine Rückkehr ins Büro, um Effizienz und Teamdynamik zu stärken. Die Frage, die im Raum steht: Wie viel New Work verträgt die Zukunft, bevor alte Strukturen zurückkehren?

Unhinterfragt sind Innovationen, die bereits unterwegs waren, aber durch die Pandemie beschleunigt wurden (kontaktloses Bezahlen) oder Wiederentdeckungen (Gartenarbeit, Ferien im eigenen Land, Sauerteig). Sowieso die Kulinarik: Spätestens die Pandemie führte zu einem Boom an persönlicher Expertise in Fermentieren, Backen, Einmachen, Bierbrauen. Und alle hatten ein Ottolenghi-Kochbuch im Regal stehen.

PS: Dass die drei Backenküssli nach Corona nie mehr richtig zurückgekommen sind – tipptopp.

«Selfie or it didn’t happen»

Cristiano Ronaldo macht ein Selfie mit einem jungen Platzstürmer, Uefa-Euro-2024-Spiel zwischen Türkei und Portugal in Dortmund.

Armer Vincent van Gogh, er musste sein Selbstporträt noch malen. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts schiessen wir solche digital, mit einem Knopfdruck, immer und überall. Dank Digitalkameras und Handys mit integrierten Kameras – wobei der Selbst-Schnappschuss damals noch selbstironisch «Ego-Pic» genannt wurde.

Zusammen mit der Geburt von Social-Media-Plattformen wie Facebook löste das Selfie einen globalen Drang zur Selbstdarstellung aus. Egal, ob man gerade den Kilimandscharo besteigt, ein Konzert besucht oder einem Promi gegenübersteht: Das eigene Gesicht muss im Foto zu sehen sein, sonst war man quasi gar nicht dabei. Und das Selfie ist nicht nur für Absurditäten wie den Selfiestick oder das «Duckface» verantwortlich, sondern auch für Krankheiten wie Selfitis und Selfie-Dysmorphie, die von einem wachsenden Schönheitsdruck zeugen.

«So toxisch!»: Therapie-Sprech und Optimierungswille

Eine junge Frau meditiert auf einem sonnigen Balkon, sitzt im Schneidersitz auf einer lila Yogamatte, umgeben von Pflanzen und Blumen. Im Hintergrund ist eine Stadtlandschaft unter einem klaren blauen Himmel zu sehen.

In den Nullerjahren hielt der Therapie-Sprech in den Alltag Einzug. Alles ist toxisch, ein Trauma, man wird getriggert oder ist auf der Suche nach dem «inneren Kind». Verantwortlich dafür war die wachsende Selbstoptimierungsbewegung. Menschen wurden ermutigt, sich selbst zu analysieren, an sich zu arbeiten und ihr «bestes Ich» zu finden.

Es galt, jeden Lebensbereich zu therapieren und zu optimieren. Davon zeugen auch Bestseller wie «Die 1-Prozent-Methode» oder «Can’t hurt me – Beherrsche deinen Geist und erreiche jedes Ziel». Neben dem Psychoanalysen-Jekami kamen Atemübungen, Rotlichttherapien, Eisbaden oder LSD-Microdosing auf.

Doch der Hype um das «ideale Ich» führte auch zu einem wachsenden Perfektions- und Leistungsdruck. Dies hat die «Selflove»-Gegenbewegung hervorgebracht, die mit Meditation und Achtsamkeit gegen die ständige Vergleichskultur ankämpft. Ob es in Zukunft gelingen kann, eine gesunde Balance zwischen Produktivität und persönlichem Wohlbefinden zu finden?

Coffee to go: Das Benzin der mobilen Gesellschaft

Mann in Mailand hält einen Kaffee und sein Smartphone, gekleidet in einem modischen roten Blazer.

2001 eröffnete Starbucks seine erste Filiale in Kontinentaleuropa, am Central in Zürich. Zur richtigen Zeit: Der Coffee to go hat sich in einer Gesellschaft, die Konsum und Produktivität feiert, im Nu durchgesetzt. Längst verkaufen neben den einschlägigen Ketten auch Bäckereien und Tankstellen ihre Lattes und Cappuccinos zum Mitnehmen, in Baristaqualität.

Parallel dazu ist der Alltag mobil geworden, alles geht immer und überall, arbeiten, telefonieren, streamen – während uns das Koffein am Laufen hält. Mit Starbucks kamen die Laptops in die Cafés, das Arbeiten an der Energiequelle, das öffentliche Zeigen von Produktivität. Und weil wir uns ständig optimieren und immer weniger Zeit haben, muss Koffein, unser Leistungsbenzin, eben unterwegs getankt werden. Wer morgens noch Sport macht, gönnt sich den Kaffee auf dem Weg zur Arbeit, im Sommer gekühlt mit Eis, im Advent mit Gingerbread-Geschmack, und gern auch laktosefrei. Heute geht das in endlosen Geschmacks-, Grössen- und Milchvarianten, die Coffee-to-go-Kultur anerkennt unser Bestreben nach Individualität.

Zwei Dekaden später sind wir kritischer geworden, ohne auf den mobilen Kick verzichten zu wollen. Die Kaffees für unterwegs verursachen Unmengen von Müll, sie halten uns den Konsumspiegel vor, nachhaltigere Lösungen sind darum gefragt. Besonders beliebt sind jetzt die Matcha-Lattes to go – die wirken sanfter, aber halten noch ein bisschen länger wach.

Schönheitsideale – Fit ist das neue Schlank

Frau in Sportkleidung dehnt sich auf einer Yogamatte in einem Fitnessstudio.

Wer Anfang des Jahrtausends über eine Gym-Mitgliedschaft verfügte, machte sich des damals verpönten Bodybuildings verdächtig. Angesagt war Heroinschick, dünn und bleich galt als schön, Nahrung hatte man sich wenn möglich zu verweigern. Dann kamen die sozialen Medien und mit ihnen die Botschaft, dass es geil ist, geil auszusehen, und das heisst: durchtrainiert. Heute ist «gesund» das neue Fit und «fit» das neue Schlank.

Das neue Körperideal verlangt nach konstantem Muskelaufbau und Fettabbau und dies wiederum nach wissenschaftlicher Expertise. Diese liefert der gemeine Fitfluencer oder die Fitfluencerin – auch hier ziehen die Frauen im neuen Jahrhundert gleich – typischerweise mit flotter Frisur und geringem Körperfettanteil. Aber auch unter Normalsterblichen ist mittlerweile angekommen, dass Sporttreiben nur Vorteile bringt. Und es gar nicht so hart ist.

Daran wird auch der Durchbruch von Ozempic nicht viel ändern. Zwar wäre das Comeback von Heroinschick dank dem Medikament naheliegend. Nur dass einen Ozempic bei unvorsichtigem Gebrauch nicht aussehen lässt wie Kate Moss, sondern eher wie Keith Richards. Wer also nur Fett- und keine Muskelmasse verlieren möchte, tut gut daran, sich weiterhin am Fitfluencer seines Vertrauens zu orientieren.

«Wokeness» und «Woke-Wahnsinn»

Floridas Gouverneur Ron DeSantis zeigt das von ihm unterzeichnete Gesetz HB 7 an der Mater Academy Charter Middle/High School in Hialeah Gardens, begleitet von Menschen, die Schilder mit der Aufschrift ’Stop Woke’ halten.

Wie wurde aus einem alten Ausdruck im Englisch der Afroamerikaner – «stay woke» – ein Feindbild im Kulturkampf von rechts – der «Woke-Wahnsinn» (SVP)? «Woke» verbreitete sich als aufmerksame Haltung, die die Umgebung auf rassistische Diskriminierungen hin abklopft. Während der letzten 15 Jahre zielte Wokeness bald auf alle möglichen Benachteiligungen und wurde in den sozialen Medien rege verwendet – bis der Begriff zum mentalen Terrorismus der Linken verhunzt wurde: Verwöhnte Studenten, die nichts anderes zu tun haben, als jedes falsche Pronomen anzuprangern.

Nach dem Hamas-Angriff auf Israel herrschte besonders grosse Verwirrung: Wie könne Woke im Westen das Massaker nicht verurteilen? Inzwischen holzt Donald Trump alles ab, was ihm zu woke vorkommt; dazu gehören «Diversity, Inclusion, Equality»-Trainings, die selbst der progressive «New Yorker» für wenig wirksam hält.

Sicher ist: Beide Seiten übertreiben. Und bloss weil sich Linke delegitimieren, wenn sie Gewalt gegen Israel verharmlosen, heisst das nicht, dass sich damit die «Utopie und die Dringlichkeit der Emanzipation von Frauen, von queeren, trans und nicht binären Menschen erledigt hat», wie Jens Balzer im Buch «After Woke» schreibt.