2000–2025 im Rückblick7 Momente im 21. Jahrhundert, die den Schweizer Sport verändert haben
Die Tränen von Roger Federer oder der Doppeladler an der WM: Triumphe und Turbulenzen, die sich in diesem Vierteljahrhundert ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben.
![Collage von Sportfotos mit Athleten in verschiedenen Disziplinen, darunter Skifahren, Tennis und Leichtathletik.](https://cdn.unitycms.io/images/0y53mCVP4yt8i_eHmIPUWo.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=zOWfewawikQ)
Juli 2003. Es ist eine Sternstunde, die der Sport noch nie erlebt hat: Ein Schweizer gewinnt ein Grand-Slam-Turnier. Und erst noch in Wimbledon! Dass nach Martina Hingis auch ein Schweizer Mann das grösste aller Tennisturniere gewinnen könnte, hätte noch wenige Jahre davor kaum jemand für möglich gehalten. Ebenso wenig, dass Schwingen auf einmal Massen fasziniert. Oder dass die Schweizer Leichtathletik Medaille um Medaille gewinnt.
Unvergessene Triumphe prägen den Schweizer Sport im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, aber auch ikonische Bilder: von einer Jubelgeste im Fussball, welche die Nation in Aufruhr versetzt; oder von einem Tuch, das verhaftete Funktionäre in Zürich vor Blicken schützt.
2003 – Roger Federers erster Wimbledon-Sieg
![Roger Federer von der Schweiz küsst die Wimbledon-Trophäe nach seinem Sieg über Mark Philippoussis im Herren-Einzelfinale am 6. Juli 2003.](https://cdn.unitycms.io/images/A-Tgggc8K4WB5weRUsXhD4.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=ER5J7rJv5pU)
Die halbe Nation sitzt am 6. Juli 2003 vor dem Fernseher, als Roger Federer im Wimbledon-Final den Australier Mark Philippoussis 7:6, 6:2, 7:6 wegfegt. Hat er während des einseitigen Spiels seine Nerven im Griff, so überwältigen ihn danach die Emotionen. Die goldene Trophäe in den Händen, beginnt er im Siegerinterview zu weinen. Die Tränen werden ihn während seiner ganzen Karriere begleiten und zeigen, wie sehr ihm dieser Sport am Herzen liegt.
Federer führt das Welttennis in eine goldene Ära und zieht die beiden jüngeren Rafael Nadal und Novak Djokovic mit. Während fast zwanzig Jahren begeistert er die Schweizerinnen und Schweizer mit seinen Siegeszügen rund um den Globus. Er wird zum perfekten Botschafter für unser Land: weltgewandt, aber doch auf dem Boden geblieben, bescheiden, diszipliniert, passioniert und vielsprachig.
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Als er am 23. September 2022 am Laver-Cup in London sein letztes Spiel bestreitet, mit 41 Jahren, 20 Grand-Slam-Titeln, 103 Turniersiegen und 310 Wochen als Nummer 1, sitzt die halbe Schweiz vor dem Fernseher und weint.
2010 – Schwingen wird salonfähig
Es ist ein nebliger Sonntagmorgen in Frauenfeld, Kilian Wenger kämpft gegen Überschwinger Jörg Abderhalden, er bodigt ihn, 50’000 in der Arena flippen aus. Bald darauf scheint die Sonne, und der Wetterwechsel steht symbolisch für den Wandel, der damit im Schwingsport eingeläutet wird.
Ein paar Stunden später an diesem 22. August 2010 ist Wenger Schwingerkönig. Der Berner ist 20, ein Modellathlet; die Frauen schwärmen für ihn, die Männer bewundern ihn, die Kinder eifern ihm nach. Auf einmal verzeichnen viele Schwingclubs einen starken Mitgliederzuwachs. Vor allem mischen fortan massenhaft Sponsoren mit im Sägemehl, die Werbeeinnahmen der Athleten steigen nach Wengers Coup stark an, aus einem tiefen sechsstelligen Betrag werden 3,25 Millionen.
![Kilian Wenger wird auf Schultern getragen, jubelnde Menge im Hintergrund.](https://cdn.unitycms.io/images/B6ReKcGAqtL8-72AxyQNGB.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Fdwdar4ypzk)
Mit seinem Triumph befreit Wenger das Schwingen vom Image des Bauernsports. Noch 1998 schaltete das Schweizer Fernsehen am Eidgenössischen in Bern vor dem Schlussgang zur Formel 1 um, mittlerweile werden pro Saison diverse Feste in voller Länge übertragen, einige gar auf dem ersten Kanal.
Kurz: Schwingen ist salonfähig geworden und zieht längst nicht mehr nur ein stark konservatives Publikum an. Und so kommt es, dass selbst das Coming-out von Curdin Orlik ohne Nebengeräusche verläuft. Im März 2020 macht der Berner Hüne seine Homosexualität öffentlich. Orlik sagte zwei Jahre danach, er habe aus der Schwingszene nur positive Reaktionen erhalten.
2011 – Der Startschuss zum Leichtathletik-Boom
Nie kam die Schweizer Leichtathletik seit der Jahrtausendwende einer Olympiamedaille näher als im letzten Sommer: Vier 4. Plätze folgten auf neun Medaillen an der EM zuvor. Und später gewann die U-20-Sprintstaffel der Frauen an der WM Silber – auch eine Premiere.
Swiss Athletics ist heute Spitze – stand 2004 aber vor dem Konkurs. Die Rettung war die EM 2014 in Zürich. Der jüngste Erfolg hat direkt mit der damaligen Zusammenarbeit von Verband, EM-OK und Weltklasse Zürich zu tun. Entscheidend aber: Die UBS stieg nur unter der Prämisse der Nachhaltigkeit dieser EM ein.
![Sprinterinnen bereiten sich auf den 100-Meter-Final der Frauen bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio vor.](https://cdn.unitycms.io/images/CpA-HSh3Kdn8Q6v7X-xGaG.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=iF7CR1NHqPA)
So entstand 2011 das Nachwuchsprojekt UBS Kids Cup, das sich die Bank und Weltklasse Zürich seither Millionen kosten lassen. Es entwickelte sich schnell zur Erfolgsgeschichte, obwohl Laufen, Springen und Werfen längst aus dem Schulturnen verschwunden waren. Die Formel des Cups: Die Besten der Regionen qualifizieren sich für den Kantonalfinal, die wiederum Besten für den Final.
Die Mehrkampf-Asse Simon Ehammer und Annik Kälin, auch Stab-Europameisterin Angelica Moser, die Hürden-Rekordhalter Ditaji Kambundji und Jason Joseph gehören zur Generation Kids Cup. Fast hundert Medaillen an internationalen Nachwuchs-Events hat es seither gegeben. Nie war die Basis breiter.
2015 – Der Anfang vom Ende der Blatter-Ära bei der Fifa
Der 27. Mai 2015 markiert den Anfang vom Ende der Ära Sepp Blatter: Um fünf Uhr morgens warten drei gut informierte amerikanische Journalisten im Hotel Baur au Lac in Zürich, eine Stunde später fährt die Kantonspolizei vor. Sie durchsuchen Zimmer und verhaften sieben Funktionäre, darunter Jeffrey Webb, einen Vizepräsidenten der Fifa.
Die Aktion, vom US-Justizministerium orchestriert, wirft den Verhafteten vor, seit 1991 Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen zu haben. Das Bild des schön gebügelten Tischtuchs (oder ist es doch ein Bettbezug?), das als Sichtschutz dient, geht um die Welt.
![Polizisten verhaften Fifa-Funktionäre vor dem Hotel Baur au Lac in Zürich, im Mai 2015. Ein Mann hält ein Tuch als Sichtschutz.](https://cdn.unitycms.io/images/DzCEubOV4GW8jRPxUEcj0t.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=ASat-3TW-y4)
Fifa-Präsident Sepp Blatter will sich von den ganzen Querelen nichts anmerken lassen, zwei Tage später wird er im Zürcher Hallenstadion in seinem Amt bestätigt. Vier Tage darauf wird aber auch dem Walliser Machthaber alles etwas zu viel – er tritt zurück. Im Herbst 2015 eröffnen Schweizer Behörden ein Verfahren gegen ihn wegen einer Zahlung von 2 Millionen Franken an Michel Platini, beide werden von der Fifa für Jahre gesperrt.
Transparenter macht diese Episode den Weltfussballverband nicht. Der neue Walliser Machthaber Gianni Infantino schaltet und waltet nach Belieben, vergibt die WM 2034 quasi im Alleingang nach Saudiarabien. Das Baur au Lac ist hingegen nicht mehr so beliebt bei Fifa-Funktionären.
2018 – Ein neuer Stern namens Marco Odermatt
Er sinkt auf die Knie, vergräbt sein Gesicht in den Händen und weint hemmungslos. Es ist der 6. Februar 2018. Am Himmel der Skiwelt ist ein Stern aufgegangen, einer mit fünffacher Strahlkraft. In Davos hat Marco Odermatt den Riesenslalom der Junioren-WM für sich entschieden, es ist Goldmedaille Nummer 5 nach Abfahrt, Super-G, Kombination und Teambewerb. Keinem Skifahrer ist das je gelungen. Odermatt, gerade 20 geworden, sagt: «Der Weg an die Weltspitze ist noch weit.»
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Einen Monat später fährt er beim Weltcupfinal in Are in Abfahrt, Super-G und Riesenslalom in die Top 15, im März 2019 steht er in Kranjska Gora auf dem Weltcuppodest, im Dezember des nächsten Winters gewinnt er in Beaver Creek sein erstes Rennen. Bis heute sind 43 dazugekommen, Pirmin Zurbriggens bisherige Schweizer Bestmarke von 40 Triumphen hat er im Dezember übertroffen.
2022/23 knackt Odermatt Hermann Maiers Fabelmarke von 2000 Weltcuppunkten in einer Saison, im vergangenen Winter gewinnt er zum dritten Mal in Folge den Gesamtweltcup. Odermatt ist Olympiasieger und dreifacher Weltmeister. Das lässt den Nidwaldner mit seinen erst 27 Jahren sagen: «Ich habe nur noch ein Ziel.» Er will endlich die Hahnenkammabfahrt von Kitzbühel gewinnen.
2018 – Der Doppeladler: Ein Stück Fussballgeschichte
Politik hat nichts zu suchen im Sport, heisst es oft. Dieses Spiel war voller Politik.
WM 2018, ein Juniabend in Kaliningrad, Schweiz - Serbien, die Stimmung aufgeladen, und zwar seit dem Zeitpunkt, als feststand, dass diese Teams auf dieser Bühne aufeinandertreffen würden.
In Serbien fragte der Aussenminister, gegen wen man eigentlich spiele, gegen die Schweiz, Albanien oder Pristina? In Kaliningrad pfiffen und buhten die Serben, wenn Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri den Ball hatten. Sie riefen: «Tötet die Albaner! Kosovo ist Serbien!»
Das Nationalteam gewann durch Tore von Xhaka und Shaqiri 2:1, beide zeigten den Doppeladler. Stephan Lichtsteiner machte auch mit, der Captain des Teams.
![Xherdan Shaqiri jubelt nach seinem Tor für die Schweiz gegen Serbien bei der WM 2018 in Kaliningrad.](https://cdn.unitycms.io/images/63oP_ppsaPR86q4-FjS93D.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=3Vivi3MfzDo)
Die Schweiz stritt, meinte und mahnte sofort. Was ist da eben passiert? Eine Dummheit? Eine Provokation oder noch mehr? Und überhaupt: Können Menschen, die nicht die Geschichten der Familien Xhaka und Shaqiri haben, nachvollziehen, was in den beiden Fussballern vorging?
Bald ging es sogar um Grundsätzliches. Um richtige Schweizer und falsche. Um solche, die nicht nur einen Pass haben, sondern zwei. Um solche, die die Hymne singen, und solche, die es nicht tun.
Die Gesten bleiben im kollektiven Gedächtnis. Immer dann, wenn WM oder EM ist oder die Schweiz sonst gegen Serbien spielt, da war doch was, genau, der Doppeladler. Ein Stück Fussballgeschichte. Oder gar ein Stück Schweizer Geschichte?
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2020 – Die Magglingen-Protokolle: Übles Zeugnis für den Sport
Es waren Dokumenten des Schreckens, ein übles Zeugnis für den Schweizer Sport: Im Jahr 2020 erschienen in verschiedenen Zeitungen Berichte über misshandelte, erniedrigte und unterdrückte Sportlerinnen beim Schweizerischen Turnverband (STV). Diese gipfelten in einer Recherche des «Magazins», seither als «Magglingen-Protokolle» bekannt. Vielsagender Titel: «Wie Turnerinnen in Magglingen gebrochen werden».
Der Fall schreckte auch die Politik auf. Die inzwischen scheidende Sportministerin Viola Amherd kündigte eine Aufarbeitung an und forderte den STV auf «aufzuräumen». Eine neue Führung tat wie geheissen, trennte sich vom Geschäftsführer, vom Chef Spitzensport und etwas später auch vom Nationaltrainer der Frauen. Zudem schuf sie eine unabhängige Ethikkommission und neue Rahmenbedingungen: War es früher nötig, dass Mädchen mit 14 ins Nationalkader nach Magglingen wechselten, müssen sie heute volljährig sein.
![Karikatur zeigt einen Turner in einem Swiss-Olympic-Trikot, der mit einem «Jugendschutz»-Band springt. Drei Kampfrichter zeigen rote Karten.](https://cdn.unitycms.io/images/4TC-RZuzKJWA3tmGAatyNe.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=GTdo45fGgQQ)
Ein von Amherd in Auftrag gegebener Expertenbericht förderte Missstände auch in anderen Sportarten zutage. 970 Sportlerinnen und Sportler nahmen im Rahmen der Untersuchung an einer repräsentativen Umfrage teil, wobei satte 16 Prozent angaben, dass sie regelmässig beschimpft wurden. In Sportarten von Swiss Swimming erlebte teilweise mehr als ein Viertel der Athletinnen und Athleten sexuell anzügliche Bemerkungen.
Der Untersuchungsbericht gab Swiss Olympic und dem Bundesamt für Sport eine Mitschuld. Vorwürfen sei zu lange zu zögerlich nachgegangen worden. Die Schaffung der unabhängigen Meldestelle Swiss Sport Integrity im Jahr 2022 ist eine Folge davon.
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