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Um die Welt in Inlineskates
Diesem Rollschuhfahrer drohte gar das Militärgefängnis

Ein Fallschirmspringer mit einer Kamera springt aus einem Flugzeug über einer weitläufigen Stadtlandschaft.
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Matthias Stelzmüller ist ein Reisender auf Rädern. Die Welt entdeckt er rollend, auf seinen Inlineskates, die PS gibt er selbst vor. Immer wieder zieht er los, in die entlegensten und aufregendsten Winkel der Erde. Er war auf Feuerland in Chile, in Peru, Ecuador. In Südafrika, Namibia, Madagaskar. In China, Malaysia, Sri Lanka. Sogar in der Antarktis ist er schon gewesen, ist auf speziellen Snowskates gar einige Hundert Meter über Schnee gesaust.

Über 70 Länder hat der Österreicher bereits befahren, seine Abenteuer dokumentiert er in Werbefilmen oder Texten für Reisemagazine. Die Neugierde ist sein ständiger Begleiter, und der 33-Jährige sagt: «Auf Skates entdeckst du Dinge, die als Fussgänger, Bus- oder Autofahrer nicht zu entdecken sind.» Tausende Kilometer hat er abgespult, oft geht er dorthin, wo die meisten Leute nie hingehen würden.

Die wegweisende Kurzschlusshandlung

Stelzmüller ist zum Reisenden geworden, weil er kein Spitzensportler mehr sein wollte. 16-mal war er Staatsmeister im Short Track, dieser vor allem in Asien populären Kurzvariante des Eisschnelllaufens. Er hatte schon an Europa- und Weltmeisterschaften teilgenommen, als er mit 22 zu Beginn einer Saison in Budapest trainierte und realisierte, dass seine Kufen nicht wie gewünscht funktionieren. Eine halbe Stunde kurvte er übers Eis, dann verliess er die Halle durch den Hinterausgang, gönnte sich erstmals seit einigen Jahren einen Burger bei McDonald’s und hörte auf. Ohne jemandem etwas zu sagen.

Ein Inline-Skater zieht eine Pferdekutsche mit zwei Passagieren auf einer Landstrasse.

Die Kurzschlussreaktion setzte eine Maschinerie in Gang, die sich bis heute unaufhaltsam dreht. Am Tag nach dem Rücktritt gründete Stelzmüller ein Unternehmen, er ermöglichte es Hobbysportlern, mit Spitzenathleten trainieren zu können. 20 nationale Meister, zwölf Olympiateilnehmer und gar sieben Weltmeister aus Nischensportarten gehörten zum Portfolio, «doch ich realisierte, dass diese Cracks kaum jemand kannte».

Person auf Schlittschuhen hält ein Banner mit der Aufschrift ’My 7th Continent’ auf einem Schiff in der Antarktis.

«Das hat mich erschüttert», sagt der Wiener. Schuld daran seien die Medien, die kaum über Randthemen berichten würden, und so gründete Stelzmüller das Magazin «Daily Sports» – ein ausschliesslich über Werbung finanziertes Sportheft, das konsequent auf Artikel über Fussball und Ski alpin verzichtete. Es funktionierte überraschend gut, doch die Coronakrise versetzte dem Projekt den Todesstoss.

Parallel dazu arbeitete Stelzmüller als Reisejournalist. Als seine Chefin darauf aufmerksam wurde, dass er viele Städte mit Inlineskates erkundete, animierte sie ihn, darüber zu schreiben. «Das Ganze wurde grösser und grösser», erzählt Stelzmüller, längst hat er sich in der Szene einen so guten Namen gemacht, dass er von Fluglinien oder Tourismusverbänden eingeladen wird. Sogar die Elite-Universität Harvard ist auf ihn zugekommen, er durfte auf dem Campus einen Gastvortrag über seine Aktivitäten halten. «Nie hätte ich gedacht, dass mich meine Leidenschaft fürs Skaten nach Harvard führen wird – aber es zeigt, dass mit Herzblut selbst das Unmögliche möglich wird.»

Chaos in Vietnam, Freude auf den Philippinen

Skate the World heisst seine Firma, «mein Ziel ist es, Abenteuerlust, Entdeckungsreisen und Sportlichkeit zu vereinen», sagt Stelzmüller. Er nutzt das Skaten nicht zuletzt dazu, Grenzen zu überwinden und Stereotypen zu hinterfragen. «Viele Menschen fürchten sich vor fremden Kulturen oder vor dem, was sie nicht kennen. Aber wo viel Schatten ist, gibt es meistens auch viel Licht. Oft ist es gerade an vermeintlich unangenehmen Orten viel besser, als man denkt.»

Ein Inline-Skater fährt auf einer belebten Strasse neben Autos. Im Hintergrund sind Verkehrsschilder und Palmen zu sehen.

In Vietnam etwa sei es auf den ersten Blick unmöglich, sich mit Skates fortzubewegen, «da herrscht das totale Verkehrschaos, jeder macht, was er will und fährt kreuz und quer. Ampeln sind dort nur Dekoration. Und doch hat jedes Auto und Motorrad den Weg an mir vorbei gefunden, wenn ich über eine Kreuzung fuhr – es geht also auch ohne Regeln.» In Chile wiederum habe eine Gruppe Skater jeweils eine Spur auf der Hauptstrasse für sich beansprucht, «die Polizei akzeptiert das einfach».

Gar zum Hilfsprojekt entwickelte sich sein Trip auf die Philippinen. Ein Mann schrieb ihn an, der schon als Zwölfjähriger Mitglied einer Drogenbande war, nur dank dem Inlineskaten sei er von der Sucht losgekommen. Stelzmüller fuhr 1000 Kilometer durchs Land und traf sich mit ihm, beim nächsten Besuch brachte er 50 Paar Skates mit und half, einen Wettkampf zu organisieren. Mittlerweile geben in der Gegend Trainer Unterricht. Stelzmüller wird im Herbst wieder hinreisen und zusätzliche Ausrüstung mitbringen.

Erwachsener Mann auf Rollschuhen gibt zwei sitzenden Schulkindern ein High-Five. Weitere Kinder im Hintergrund.

Oft höre er von Leuten, er solle diesen oder jenen Ort meiden, es sei zu gefährlich. Stelzmüller ignoriert die Warnungen immer wieder. In Addis Abeba jedoch wurde es heikel: Auf einer sechsspurigen Strasse schlängelte er sich im kilometerlangen Stau zwischen den Autos hindurch, als er im Augenwinkel einen äthiopischen Soldaten sah, der wild umherfuchtelte und immer lauter wurde.

Stelzmüller fuhr einfach davon, beim nächsten Checkpoint aber warteten sieben Männer in Uniform, die Gewehre auf ihn gerichtet. «Sie brüllten mich an und räumten meinen Rucksack aus, aber ich verstand kein Wort», sagt er, und ergänzt, eine Frau habe ihn vor Schlimmem bewahrt. «Sie übersetzte und versicherte mir, wenn die Soldaten mich ins Militärgefängnis bringen würden, komme sie mit.» Stelzmüller wurde mulmig, zumal keiner wusste, wo er war. Offenbar skatete er in der Nähe des präsidialen Sperrgebiets, und weil am Helm eine Kamera befestigt war, wurde er für einen Spion gehalten. Nach zwei Stunden, in denen auf ihn eingeredet wurde, durfte er weiterfahren.

Inlineskaten als verbindendes Element

Auch den Pilotenschein hat Stelzmüller erworben, sein Geld aber verdient er durch Beiträge von Sponsoren und mit den erwähnten Werbefilmen. Die Schweiz hält er für ein Skaterparadies; generell fährt er in fremden Städten meistens einfach los, ohne irgendwelche Karten zu studieren. In gewissen Ländern habe es grosse Löcher in den Strassen, «es fehlen teils Kanaldeckel – da muss ich höllisch aufpassen».

Passiert aber ist ihm nie etwas, jedenfalls nicht beim Skaten. In Indonesien liess er sich am Nacken massieren, die Behandlung war derart intensiv, dass er einen leichten Schlaganfall erlitt. Anderthalb Tage lang konnte er danach nicht sprechen, die Kopfschmerzen waren heftig. Bald aber erholte er sich wieder.

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Die Welt will Stelzmüller aus einer anderen Perspektive zeigen. Und so ist er für fast alles zu haben. Mit den Skates an den Füssen sprang er auch schon aus dem Flugzeug, landete damit auf der Wiener Reichsbrücke. Medien aus aller Welt berichteten darüber; weil der Verkehr in der Grossstadt lahmgelegt wurde, musste er aber auch Kritik einstecken.

Als Spitzensportler träumte Matthias Stelzmüller von der Olympia-Teilnahme. Sie ist ihm verwehrt geblieben, und so fragte er sich noch als Aktiver, ob er durch die Schinderei im Training etwas verpasst habe in seiner Jugend. Falls ja, hat er längst alles nachgeholt.