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2000–2025 im Rückblick
7 Momente, welche die Schweizer Politik im ersten Vierteljahrhundert geprägt haben

Collage mit Plakaten zum Frauenstreik, UBS-Logo, Maskenpflicht und Massenmigration.
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Sie begannen mit einer Hinwendung zu Europa, zur Welt gar - und wurden dann immer enger und selbstbezogener. Müsste man die ersten 25 Jahre der politischen Schweiz im neuen Jahrtausend zeichnen, man würde mit einem grossen Kreis rund um die Schweiz beginnen und mit einem kleinen Kreuz irgendwo tief im Landesinnern aufhören.

Diese Bewegung - von aussen nach innen - ist nicht schweizexklusiv, sie fand an vielen Orten in der Welt statt. Aber bei uns lässt sie sich an verschiedenen Momenten exemplarisch aufzeigen.

2002: Der UNO-Beitritt

Die Schweizer Flagge weht vor einem goldenen Emblem der Vereinten Nationen.

Im Kalten Krieg wollte die Schweiz noch nichts von den Vereinten Nationen wissen. 75 Prozent der Stimmenden und sämtliche Kantone sagten im März 1986 Nein zum UNO-Beitritt. Die Botschaft war so einfach wie deutlich: Wir bleiben für uns.

Als wenig später die Maurer fiel und sich die Welt neu orientieren musste, stand die Schweiz vor Schwierigkeiten. Zu wem gehören wir jetzt eigentlich? Wem wenden wir uns zu? Wo wollen wir dabei sein, wo nicht? Nach dem Kalten Krieg stellten sich schwierige und grosse Fragen. Fragen, an denen sich eine ganze Generation von Politikern aufrieb. Isolationistische Kräfte forderten, dass sich die Schweiz wieder auf sich selbst konzentriert, und gewannen damit die Abstimmung über den EWR-Beitritt 1992. Auf der anderen Seite standen grosse Teile der politischen Führung (und später auch der Bevölkerung), die sich eine stärkere Hinwendung zur Welt wünschten. 1998 wurde eine Volksinitiative zum UNO-Beitritt lanciert. Die Abstimmung fand im März 2002 statt. Damals war die Schweiz neben dem Vatikanstaat das einzige Land, das nicht der UNO angehörte.

Der Abstimmungskampf war hitzig, und er war grundsätzlich. Anders als noch 1986 engagierte sich der Bundesrat aktiv für einen Beitritt - und hatte Erfolg. Das Ja zur UNO (und das Ja zu den Bilateralen I zwei Jahre später) war ein Sieg für jene, die sich eine stärkere Öffnung der Schweiz wünschten. Je länger das neue Jahrtausend andauerte, desto seltener wurden diese Siege.

2007: Die Blocher-Abwahl

Christoph Blocher im Bundeshaus Bern am Rednerpult am 13. Dezember 2007 nach seiner Abwahl als Bundesrat, begleitet von Sicherheitsbeamten.

War Politik in der Schweiz je spannender als im Dezember 2007?

Kommt sie? Oder bleibt sie daheim? Sagt sie Ja? Sagt sie Nein? Die Schweiz sass gemeinsam vor dem Fernseher und wartete auf den Auftritt einer Politikerin aus Graubünden, die vorher nur Politnerds gekannt hatten. «In diesem Sinne erkläre ich Annahme der Wahl», sagte Eveline Widmer-Schlumpf zum Schluss ihrer Rede. Eine Hälfte der Zuschauer jubelte, die andere Hälfte schüttelte die Fäuste.

War Politik in der Schweiz je hässiger und emotionaler als in der Zeit nach der Abwahl von Christoph Blocher? War sie je böser? Widmer-Schlumpf wurde aus der SVP ausgeschlossen, sie war «die Verräterin», «die Hexe», und der politische Betrieb drehte sich für ein paar Jahre vor allem um sich selbst.

Aus einer etwas grösseren Distanz betrachtet, bildeten diese Jahre die oft schmerzhafte Übergangsphase zur stärkeren Einbindung der grössten Partei der Schweiz in die Landesregierung. Die SVP hätte aufgrund ihrer Wählerstärke schon länger Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat gehabt - doch erst mit der Wahl von Guy Parmelin im Dezember 2015 ist dieser Anspruch auch tatsächlich im System verankert.

Seither ist die Politik in der Schweiz normaler, ruhiger und konstanter geworden. Und auch etwas weniger spannend.

2008: Die UBS und das Ende des Bankgeheimnisses

Hans Rudolf Merz, Finanzminister der Schweiz, sitzend in seinem Büro in Bern vor einem grossen blauen Gemälde am 18. September 2008.

Die globale Finanzkrise 2008 war überall zu spüren, selbst im Bundeshaus in Bern. Die Schweiz lernte damals einen neuen Begriff kennen: «Too big to fail». Die UBS war «zu gross, um zu scheitern». Wäre sie während der Finanzkrise bankrottgegangen, hätte das unkontrollierbare Konsequenzen gehabt. Für kleine und grosse Betriebe in der Schweiz, für Sparerinnen und Sparer, ganz konkret für die Menschen. Also griff die Politik ein – und rettete die UBS mit insgesamt 6 Milliarden Staatshilfen.

Derart angeschlagen geriet die UBS wenig später noch weiter unter Druck. Die Steuerbehörden in den USA verdächtigten die Grossbank, US-Bürgern beim Hinterziehen von Steuern zu helfen, und verlangten Kundendaten von der UBS, die sie wegen des Bankgeheimnisses bisher nicht erhalten hatten.

«Sie werden sich die Zähne daran ausbeissen!», sagte der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP) über die Amerikaner und das Bankgeheimnis. Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen wir alle. Zuerst musste die UBS eine hohe Busse zahlen, danach die Kundendaten herausrücken, und schliesslich war auch das Bankgeheimnis Geschichte. Seit 2017 kennt die Schweiz den automatischen Informationsaustausch, heute übermitteln Schweizer Banken ihre Kundendaten an Behörden in über 100 Ländern.

2014: Der Bruch mit Europa

Plakat der Befürworter der SVP-Volksinitiative ’gegen Masseneinwanderung’ in Zürich, zeigt Baum mit roten Wurzeln und Text ’Masslosigkeit schadet! Masseneinwanderung stoppen JA’.

Die Öffnung zur Welt, die Öffnung zu Europa hatte Konsequenzen. 2002 trat die Personenfreizügigkeit mit der EU in Kraft – was die Schweiz als Einwanderungsland noch einmal attraktiver machte. 2006 betrug der positive Zuwanderungssaldo noch knapp 50’000, ein Jahr später waren es schon über 83’000, 2008 dann über 100’000 – ein Rekord bis dahin (der erst im Jahr 2023 wieder übertroffen werden sollte).

Thematisiert wurde dieser Zustrom fast ausschliesslich von der SVP – die darin den Grund für sämtliche Probleme in der Schweiz sah. Volle Züge, hohe Strompreise, ausgetrockneter Wohnungsmarkt – die Ausländer sind schuld. Als Lösung dafür präsentierte die SVP die «Initiative gegen Masseneinwanderung» – eine vage formulierte Vorlage, um die «Zuwanderung endlich wieder selbstständig zu steuern».

Richtig ernst genommen wurde die Initiative von kaum jemanden ausserhalb der SVP, die Umfragen hatten ein Nein vorausgesagt. Auch darum war das knappe Ja im März 2014 ein Knall, ein Schock für das politische Establishment.

Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative überschattet die Diskussionen über die Beziehung der Schweiz zur EU bis heute. Sie ist der Grund für die Furcht vieler Politikerinnen und Politiker vor einer erneuten Abstimmung zu Europa, die derzeit wieder beim neuen Vertragspaket mit der EU zu sehen ist. Und sie ist der Grund, warum die Schweizer Politik kaum eine Sprache findet, um über positive und negative Folgen der Zuwanderung aus Europa zu reden.

2017: Der Ausstieg aus der Atomkraft

Zwei Anti-Atomdemonstrantinnen mit gelben Hüten tragen eine ’Atomkraft? Nein Danke’-Flagge über eine grüne Wiese in Marthalen, Schweiz.

Früher, da nannte man sie die Atom-Doris: Energieministerin Doris Leuthard aus dem Aargau, dem AKW-Kanton. Doch dann geschah die Nuklearkatastrophe in Fukushima, und die ganze Welt begann, über Atomkraft zu reden. Auch die Schweiz handelte nach dem Unfall in Japan, und das erstaunlich schnell – im Mai 2011, nur zwei Monate nach Fukushima, beschloss der Bundesrat den schrittweisen Atomausstieg. Federführend dabei: Doris Leuthard.

2017 besiegelte die Bevölkerung mit einem Ja zur Energiestrategie 2050 den Ausstieg auch an der Urne. Seither dürfen keine neuen AKW mehr gebaut werden und die alten nur noch so lange laufen, wie sie als sicher gelten. 2019 wurde mit dem AKW Mühleberg das erste Atomkraftwerk abgestellt.

Allerdings ist in der Energiefrage (wie auch bei Gleichberechtigungsthemen, siehe unten) ein Backlash zu spüren. Seit dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Energieengpässen haben die Befürworter von Atomkraft wieder Auftrieb erhalten.

2019: Frauen auf der Strasse

Frauenstreik-Demonstration am 14. Juni 2019 in der Altstadt von Bern mit zahlreichen Menschen und Plakaten. Foto von Raphael Moser.

Es war eine der grössten und lautesten Demonstrationen, die die Schweiz je gesehen hat. Über eine halbe Million Frauen gingen am 14. Juni 2019 auf die Strasse, um für mehr Gleichberechtigung zu demonstrieren, für eine bessere Aufteilung der Care-Arbeit und gleiche Löhne für beide Geschlechter. Der Streik war eine Reprise des allerersten grossen Frauenstreiks von 1991, als ebenfalls eine knappe halbe Million Frauen der Arbeit fernblieben und für mehr Gleichberechtigung demonstrierten. «Wenn Frau will, steht alles still.»

Es war eine Demo mit politischer Relevanz. Kurz nach dem Streik fanden im Oktober 2019 die eidgenössischen Wahlen statt. Dabei wurden so viele Frauen wie noch nie in der Geschichte des Bundesstaats gewählt. Neu betrug der Frauenanteil im Nationalrat 42 Prozent – ein Allzeitrekord. Die folgende Legislatur war ein Echo auf den Frauenstreik. So wurden unter anderem Lohnanalysen eingeführt, um geschlechterspezifische Lohnunterschiede zu verkleinern. Das Parlament erarbeitete ein neues Sexualstrafrecht und stimmte einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zu.

Allerdings hielt der Effekt des Frauenstreiks nicht sehr lange an – nach der Coronapandemie wurden andere Themen wichtiger. Auch ging der Frauenanteil im Nationalrat bei den nächsten nationalen Wahlen im Jahr 2023 deutlich zurück.

2020: Corona

Drei Schulkinder in der ersten Klasse der Schule Blindenmoos in Schliern, tragen Masken. Im Hintergrund befindet sich eine Tafel mit Buchstaben. © Adrian Moser / Tamedia AG

Plötzlich machten die Menschen in der Schweiz (und an ganz vielen Orten auf der Welt) komische Dinge. Sie verabredeten sich zu Zoom-Partys, klatschten später auf dem Balkon für das heimische Pflegepersonal, stiessen sich Tag für Tag lange, weisse Stäbchen in die Nase; sie lernten, welche Berufe in der modernen Welt ersetzbar sind und welche eher nicht.

Manche hatten Angst um ihre Gesundheit, manche weniger. Manche leiden bis heute an den Folgen einer Krankheit, die man nicht richtig erklären konnte.

Corona, genau fünf Jahre her, war ein Stresstest für die Welt, für verschiedenste Systeme – wie die Schweizer Politik. Es war erstaunlich, wie schnell und widerstandslos das Parlament seine eigene Macht an den Bundesrat abgab. Genau so willig, wie grosse Teile der Bevölkerung den Empfehlungen der Regierung folgten und sogar noch strengere Regeln verlangten.

Die Pandemie veränderte – für eine kurze Zeit zumindest – das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung, teils recht radikal. Spuren davon sind heute nur noch vereinzelt zu sehen. Am meisten bei jenen Leuten, die sich während der Pandemie ausgeschlossen fühlten – weil sie sich beispielsweise nicht impfen lassen wollten. Bei diesen Menschen sind Verletzungen entstanden. Und ein Ärger, der noch nicht verraucht ist.

Bei der grossen Mehrheit ging der Übergang zurück zum normalen Leben, zum Courant normal, nach der Pandemie erstaunlich rasch. Beides – wie willig sich viele dem Ausnahmezustand beugten und wie schnell sie ihn wieder vergessen konnten – sind für sich genommen interessante Befunde.