Auswertung der WahlresultateDer Frauenanteil im Parlament sinkt – wegen der SVP
Das Parlament wird nicht nur rechter, sondern auch wieder männlicher. Und das, obwohl noch nie so viele Frauen kandidiert haben. Politikerinnen reagieren unterschiedlich auf das Resultat.
Es ist genau das eingetroffen, was SP-Nationalrätin Tamara Funiciello vor der Wahl prophezeit hatte: «Der Frauenanteil im Nationalrat wird abnehmen, weil die Rechte gewinnt.»
Vor vier Jahren erreichte der Frauenanteil in der Grossen Kammer mit 42 Prozent eine historische Höchstmarke. Doch nun sinkt er schon wieder auf 38,5 Prozent. So gingen unter anderem in Graubünden, im Aargau und in Genf Frauensitze neu an einen Mann. Das ist vor allem dem besseren Abschneiden der SVP geschuldet, welche die Fraktion mit dem tiefsten Frauenanteil stellt – und damit im Parlament linke Frauen durch rechte Männer ersetzen wird.
Im Ständerat liegt der Anteil – vorerst – bei 29 Prozent, also etwas höher als vor vier Jahren. Aber in der Kleinen Kammer sind erst 31 von 46 Sitzen vergeben. Wer die restlichen 15 bekommt, wird in zweiten Wahlgängen entschieden. In fünf Kantonen haben Frauen realistische Chancen, gewählt zu werden. Im besten Fall nimmt der Frauenanteil also noch leicht zu, im schlechtesten Fall sinkt er wieder.
«Die Frauenwahl 2019 hatte klar mit der politischen Themenlage zu tun», sagt Cloé Jans, Politologin des Forschungsinstituts GFS zum Rückgang. Gleichstellung und Feminismus dominierten damals unter anderem dank dem grossen Frauenstreik die Schlagzeilen. Dieses Jahr hätten hingegen die Wirtschaftslage, Krieg und Migration dominiert, die traditionell männlich konnotiert seien.
Dabei sah die Ausgangslage für mehr Frauen im Parlament eigentlich gut aus. Laut einer Auswertung der überparteilichen Organisation «Helvetia ruft!» waren noch nie mehr Frauen auf den Hauptlisten der Parteien vertreten als dieses Jahr. Im Vergleich zu 2019 stieg der Anteil von 41 auf 45 Prozent.
«Wir gingen aktiv auf die Kantonalparteien zu und zeigten ihnen auf, wo sie sich bezüglich Frauenvertretung noch verbessern konnten», sagt Kathrin Bertschy, GLP-Nationalrätin und Co-Präsidentin von «Helvetia ruft!» Damit hatte die Organisation besonders bei der politischen Mitte Erfolg. «Im Vergleich zu ihren Vorgängerparteien CVP und BDP hat Die Mitte ihren Frauenanteil um sechs Prozentpunkte erhöht, die GLP um fünf», sagt Bertschy. Wenig bewirken konnten sie hingegen bei der SVP. Diese verbesserte sich im Vergleich zur Wahl 2019 gerade mal um einen Prozentpunkt und trat mit knapp mehr als einem Viertel Frauen auf der Liste an.
Dementsprechend tief ist der Anteil gewählter Frauen bei der SVP. Schon vor vier Jahren lag diese im Vergleich der grossen Parteien abgeschlagen am Ende. Und jetzt ist ihr Frauenanteil im Parlament sogar noch von 22 Prozent auf 19,7 Prozent gesunken.
Als grosse Siegerin der Wahlen ist nun aber gerade die SVP entscheidend. In einigen Fällen bedeutete das auch, dass neu ein Mann den Platz einer Frau einnimmt. Kein grundsätzliches Problem findet das SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr: «Wichtiger als das Geschlecht der Gewählten ist, dass diese sich engagieren – und dass sie wissen, wovon sie sprechen.» Das Geschlecht allein sei noch keine Kompetenz.
«Vorbilder sind wichtiger als Quoten.»
Doch auch Gutjahr sagt, dass es schön wäre, wenn sich noch mehr Frauen in der Politik engagieren würden. Dafür brauche es auch heute häufig noch mehr Überzeugungsarbeit als bei Männern. «Im persönlichen Gespräch mit möglichen Kandidatinnen merke ich immer wieder, dass viele sich die Politik nicht zutrauen», sagt Gutjahr. Gerade da seien Vorbilder aber wichtiger als Quoten: «Politik ist nicht immer einfach, aber ich sage ihnen immer: Wenn ich das kann, können sie das auch.»
Vorbilder seien sicher wichtig, findet Tamara Funiciello, die Co-Präsidentin der SP-Frauen. Doch damit mehr Frauen in die Politik kämen, müsse diese auch frauenfreundlicher werden: «Der Ton in den Debatten ist immer noch sehr männlich geprägt. Ausserdem braucht es einen besseren Schutz vor digitaler Gewalt und eine bessere Vereinbarkeit von Politik und Familie.» So seien Politikerinnen besonders häufig von Hass im Netz betroffen. Gerade für junge Mütter sei es teils schwierig, am Parlamentsbetrieb teilzunehmen.
Insgesamt, also über beide Kammern betrachtet, halten Frauen 86 der bisher 231 vergebenen Sitze. Das ergibt einen Frauenanteil von 37,2 Prozent. Im europäischen Vergleich ist die Schweiz damit weder schlecht noch richtig gut platziert. Andorra ist aktuell das einzige Land, in dem im Parlament Gleichstellung herrscht.
Funiciello sagt, sie werde dann zufrieden sein mit dem Frauenanteil im Parlament, wenn dieser auch in der Schweiz 50 Prozent betrage. «Es gibt immer riesige Diskussionen darum, dass alle Kantone und Sprachregionen entsprechend in der Politik vertreten sind. Warum sollten wir es da ausgerechnet beim Geschlecht nicht so genau nehmen?»
Auch Kathrin Bertschy ist der Meinung, dass eine «gute Qualität an Demokratie» dann erreicht sei, wenn die Geschlechter zu gleichen Teilen im Parlament vertreten seien. «Die vergangene Legislatur hat gezeigt, weshalb Frauen in der Politik so wichtig sind. Wir konnten unsere Perspektiven einbringen und damit unter anderem das veraltete Sexualstrafrecht reformieren oder ein nationales Forschungsprogramm zu Gendermedizin lancieren», sagt Bertschy.
In der kommenden Legislatur würden die Perspektiven von Frauen unter anderem wichtig sein in der Diskussion um Kita-Finanzierung, Gewaltprävention und die Individualbesteuerung. «Das sind alles Themen, von denen Frauen tendenziell anders betroffen sind als Männer», sagt Bertschy.
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