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Die neuen «Amerika-Versteher»
Die Grünen fordern eine «moralischere» deutsche Aussenpolitik

Wie blickt Deutschland in die Welt? Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, spricht, Kanzlerin Angela Merkel hört zu.
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Der erste deutsche Aussenminister der Grünen warnte seine Partei gleich: «Es gibt keine grüne Aussenpolitik, sondern nur deutsche Aussenpolitik.» Joschka Fischer, der einstige linksradikale Strassenkämpfer und Turnschuhpolitiker, konfrontierte die Grünen 1999 dann auch gleich mit der harten Realität.

Für die Beteiligung Deutschlands am Nato-Krieg um Kosovo warb Fischer mit dem neu aufgelegten Bekenntnis «Nie wieder Auschwitz». Der Widerstand seiner traditionell pazifistisch und anti-amerikanisch gestimmten Partei fiel heftig aus, doch am Ende setzte er sich durch. An der Seite der USA wurden seine Grünen damals aussenpolitisch erwachsen.

Die Menschenrechte im Zentrum

Nach 16 Jahren in der Opposition möchten die Grünen im Herbst endlich wieder regieren. Als Kanzlerin hätte Annalena Baerbock direkten Einfluss auf die Aussenpolitik. Aber auch als Juniorpartner könnten die Grünen womöglich wie 1998 das Aussenministerium besetzen.

Wie sähe eine grüne deutsche Aussenpolitik für die 2020er-Jahre also aus? Liest man das Wahlprogramm und hört dem Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck zu, zeigt sich ein klares Leitmotiv: Die Grünen wollen eine Aussen- und Sicherheitspolitik, die sich stärker an den universellen Menschenrechten und am Völkerrecht ausrichtet, als dies zuletzt unter Kanzlerin Angela Merkel und deren sozialdemokratischen Aussenministern der Fall war.

Deutsche Waffen für die Ukraine?

Aus Sicht der Grünen befindet sich die Welt heute in einem harten Wettbewerb der Systeme: zwischen liberalen Demokratien und autoritären Staaten wie Russland oder China. Man könnte fast von einer Schlacht zwischen Gut und Böse sprechen. Spöttisch nennen manche die Grünen deswegen bereits «Neocons» – in Erinnerung an die kriegerischen «Demokratieverbreiter» um den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush.

Wahr daran ist, dass die Grünen mit ihrem aussenpolitischen Kurs heute näher am neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden liegen als jede andere deutsche Partei. Wie die USA wollen sie gegenüber Russland und China härter auftreten – wenn auch nicht mit Panzern und Kriegsschiffen, sondern mit dem wirtschaftlichen Einfluss Deutschlands und der Europäischen Union.

Eine Debatte über den Umgang mit Russland angeregt: Robert Habeck, Co-Chef der Grünen.

Die russisch-deutsche Gaspipeline «Nord Stream 2» etwa lehnen die Grünen genauso kategorisch ab wie die Amerikaner. Habeck forderte nach einem Frontbesuch in der Ukraine kürzlich sogar, dass Deutschland dem von Russland attackierten Land «Defensivwaffen» liefern sollte, damit es sich besser selbst verteidigen könne. Auch eine spätere Nato-Mitgliedschaft der Ukraine schloss er nicht aus.

Habeck eröffnete damit eine Debatte – freilich um den Preis des alten grünen Tabus, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Nach heftiger Kritik aus allen Parteien, insbesondere aus der eigenen, kassierte Kanzlerkandidatin Baerbock den Vorschlag gleich wieder ein. Was China angeht, denken die Grünen laut über einschneidende deutsche Wirtschaftssanktionen nach, um Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, Tibet oder Hongkong zu ahnden.

Wirtschaftssanktionen gegen China

Eine solche Politik brächte nichts weniger als eine Kehrtwende: Merkels aussenpolitischer Kurs war stets stärker an Handelsinteressen und strategischer Stabilität orientiert als an «Moral». Als Juniorpartner eines christdemokratischen Kanzlers wie Armin Laschet könnten die Grünen eine solche Wende auch gar nicht durchsetzen.

Kritiker geben zu bedenken, dass eine forcierte Konfrontation mit Russland Deutschland alle diplomatischen Mittel aus der Hand schlagen würde, um in Konflikten wie dem in der Ukraine überhaupt noch glaubwürdig zu vermitteln. Statt neuer Sanktionen wünschen sich viele Politiker von CDU, CSU, FDP oder SPD schon länger eher die Aufhebung der alten.

China wiederum sei wirtschaftlich viel zu bedeutend, als dass sich Deutschland einfach abkoppeln könne. Man dürfe sich von Biden keinesfalls in einen neuen Kalten Krieg mit China hineinziehen lassen. Auch eine globale Klimaschutzpolitik, für die Grünen ein zentrales Anliegen, sei ohne Kooperation mit Peking gar nicht möglich.

«Wer so tut, als hätte eine Menschenrechtspolitik gegenüber China keinen Preis, ist nicht ehrlich.»

Franziska Brantner, Aussenpolitikerin der Grünen

Die Grünen hingegen scheinen durchaus bereit, auf deutsche Exporte und den damit einhergehenden Wohlstand zu verzichten, um die Demokratie in aller Welt zu fördern. «Wer so tut, als hätte eine Menschenrechtspolitik gegenüber China keinen Preis, ist nicht ehrlich», gab die grüne Aussenpolitikerin Franziska Brantner kürzlich im «Spiegel» zu.

Auch in der Sicherheitspolitik tun sich Widersprüche auf: Die Grünen bekennen sich zwar zur Nato, halten aber höhere deutsche Verteidigungsausgaben im Rahmen des vereinbarten «2-Prozent-Ziels» wahlweise für «anachronistisch» oder «absurd». Auch die «nukleare Teilhabe», also die Stationierung von US-Atombomben in Deutschland, sehen sie kritisch. Schliesslich soll nach dem Willen der Grünen die Welt ja eher früher als später eine «atomwaffenfreie Zone» werden. Beide Festlegungen passen nicht mit dem Ziel zusammen, aggressiven Ländern wie Russland und China stärker die Stirn zu bieten.

Wie weit Wunsch und Wirklichkeit einer strikt an den Menschenrechten orientierten Aussenpolitik auseinanderzuklaffen drohen, zeigte sich zuletzt auch in den Stellungnahmen zu Israel. Während die Grünen vor den Wahlen 2017 noch den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungsbau hart kritisiert und eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern angemahnt hatten, fiel Baerbock nach der jüngsten Konfrontation nur noch die Floskel ein, dass Israel natürlich jedes Recht auf Selbstverteidigung habe.