Gipfeltreffen in BrüsselBiden will Nato und EU in eine Allianz gegen China einbinden
Bei seiner Europatour möchte der US-Präsident die alten Verbündeten wieder für eine enge Zusammenarbeit gewinnen. Das könnte auch für die Schweiz Folgen haben.
Joe Biden eilt bei seinem ersten Europabesuch als US-Präsident von Gipfel zu Gipfel. Nach dem G-7-Treffen in Cornwall folgt am Montag die Begegnung mit den Nato-Verbündeten und am Dienstag der Gipfel mit der EU-Spitze, also mit Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Es gibt viel zu reparieren und zurechtzurücken nach den vier Jahren mit Donald Trump. Das gilt auch für den Schlusspunkt in Genf, wo Joe Biden am Mittwoch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammenkommt.
In der Schweiz liegt der Fokus auf dem Gipfeltreffen am Genfersee. Dabei dürften die Weichenstellungen in Cornwall und dann in Brüssel mehr Auswirkungen haben auf die Schweiz als der Showdown zwischen Biden und Putin. Angefangen bei der geplanten Mindeststeuer von 15 Prozent im Kampf gegen die Steueroptimierer unter den globalen Konzernen, die am G-7-Treffen als Ziel abgesegnet und von der EU-Spitze begrüsst wurde.
Biden hat vor nicht langer Zeit die Schweiz als eine der Steueroasen explizit erwähnt. Die Schweiz könnte nach dem Ende des Bankgeheimnisses einmal mehr unter Druck geraten.
China als Bedrohung
«Amerika ist zurück», und zwar als verlässlicher Partner: So zumindest lautet die offizielle Botschaft der Europatournee Bidens. Oben auf der Agenda des US-Präsidenten ist China. Die Nato dürfte in einer neuen Strategie für 2030 der möglichen Bedrohung durch China erstmals grösseren Platz einräumen. Biden möchte auch die EU in eine gemeinsame Strategie gegenüber unfairen Handelspraktiken der zunehmend autoritären Supermacht mit ihren aggressiven Staatsunternehmen einbinden.
Nicht alle in der EU wollen sich jedoch in eine Konfrontation einspannen lassen. Brüssel hat zwar 2019 China erstmals auch als strategischen Rivalen definiert. Gleichzeitig hat die EU noch kurz vor Bidens Amtseinführung und unter Druck von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel Verhandlungen über ein Investitionsabkommen mit China abgeschlossen. Das ist in Washington nicht gut angekommen. Immerhin liegt die Ratifizierung inzwischen auf Eis, unter anderem, weil China Einreisesperren gegen kritische EU-Parlamentarier verhängte.
Wenn sich EU und USA in der Chinapolitik einigen, wird die Schweiz sich neu positionieren müssen.
Für Deutschland und andere EU-Staaten ist China als Exportmarkt wichtiger als für die USA. Mitgliedsstaaten wie Viktor Orbans Ungarn suchen die Nähe Pekings aus ideologischen Gründen. Die Führung in Peking hat es bisher ganz gut verstanden, die Europäer auseinanderzudividieren. In der Ära von Donald Trump und dessen Alleingängen gegenüber Peking war das auch einfacher.
Der neue US-Präsident will die Europäer hingegen in seine Allianz der Demokratien einbinden. Sein Zeitfenster könnte sich allerdings nach den US-Zwischenwahlen 2022 rasch wieder schliessen. Das wissen auch die Europäer. Dass Biden von der reinen Konfrontation der Trump-Ära gegenüber China abgerückt ist, könnte eine Einigung einfacher machen. Neben der Rivalität in Handelsfragen sieht Biden ähnlich wie die Europäer auch Bereiche der Zusammenarbeit mit China, etwa im Kampf gegen den Klimawandel.
Biden dürfte zusammen mit der EU-Spitze eine gemeinsame Plattform in Handels- und Technologiefragen beschliessen. Es geht darum, die Produktion von Batterien und Halbleitern zurückzuholen oder bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz den Anschluss nicht zu verlieren. Europäer und Amerikaner wollen nicht länger zuschauen, wie China kritische Infrastrukturen wie Häfen aufkauft oder die 5G-Technologie dominiert.
Wenn sich EU und USA beim Gipfel in Brüssel bei solchen Punkten einigen, wird auch die Schweiz sich neu positionieren müssen. In der Schweiz hat man einst das erste Freihandelsabkommen mit Peking gefeiert, das China heute auch als vorteilhaftes Sprungbrett in Europa nutzt.
Getrübte Freude
Ganz unbefangen und naiv wird die Liebe der Europäer für Biden allerdings nicht sein. Was, wenn 2024 Trump oder ein nationalistischer Gesinnungsgenosse ins Weisse Haus zurückkehrt? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gehört zu denen, die vor diesem Szenario warnen und auf strategische Autonomie der Europäer pochen. Einiges hat sich zudem unter Biden nicht geändert. So hat der US-Präsident das Datum für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ohne Rücksprache mit den Nato-Verbündeten festgelegt.
Biden hat die Europäer auch mit der Kehrtwende im Streit um die Freigabe der Patente für Impfstoffe auf dem falschen Fuss erwischt. Anders als von den Europäern erhofft, hat die neue US-Regierung die von Trump verhängten Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der EU bisher nicht aufgehoben. Einzig im jahrelangen Handelsstreit um Subventionen für die Flugzeugbauer Boeing und Airbus zeichnet sich eine Lösung ab.
Am Dienstagnachmittag wird Biden nach Genf weiterreisen. Es ist bewusste Regie, dass der US-Präsident zuerst Freunde und Verbündete trifft, bevor er mit dem russischen Präsidenten zusammenkommt. Anders als sein Vorgänger Trump wird Biden beim Treffen mit Wladimir Putin Klartext sprechen und russische Destabilisierung in der Ukraine sowie Desinformationskampagnen im Internet anprangern.
Fehler gefunden?Jetzt melden.