US-Truppenabzug aus AfghanistanBiden bringt zu Ende, was Trump begonnen hat
Die Entscheidung des US-Präsidenten, den Militäreinsatz in Afghanistan zu beenden, sorgt in Washington für viel Kritik. Doch aus Bidens Sicht ist sie überfällig.
Als seine Rede im Weissen Haus zu Ende war, liess sich Joe Biden hinüber nach Arlington fahren, auf die andere Seite des Potomac River. Zum Militärfriedhof, wo so viele der amerikanischen Soldaten liegen, die in Afghanistan gestorben sind. Es war eine Geste an die Hinterbliebenen, es war aber auch ein Zeichen an all jene Amerikaner, die schon seit einiger Zeit am Sinn des längsten Kriegs in der Geschichte des Landes zweifeln – und am Preis, den dieser Krieg gefordert hat. Biden ist einer dieser Zweifler.
Seit Herbst 2001 sind US-Soldaten in Afghanistan stationiert, um gegen die Terroristen der al-Qaida und die islamistischen Taliban zu kämpfen. Nun will Biden den Einsatz beenden. Bis zum 11. September, dem 20. Jahrestag der Terroranschläge, sollen die letzten Truppen aus dem Land abgezogen werden. «Es ist Zeit, dass die amerikanischen Soldaten nach Hause zurückkehren», sagte Biden am Mittwoch. Er trat dabei im Treaty Room des Weissen Hauses auf, im selben Raum, in dem George W. Bush einst den Beginn des Kriegs verkündet hatte.
Ein Abzug ohne Wenn und Aber
In seiner Rede schlug Biden keine triumphalen Töne an, nicht so wie damals Bush, der nach dem Sturz von Saddam Hussein im Irak deklamiert hatte: mission accomplished. Wie sollte er auch? Mehr als 2300 US-Soldaten sind in Afghanistan gestorben, 20’000 sind verwundet heimgekehrt, aber von einem Sieg kann keine Rede sein. «Wir sind nach Afghanistan gegangen wegen eines schrecklichen Angriffs, der sich vor zwanzig Jahren zutrug», sagte Biden. «Das kann nicht die Erklärung dafür sein, warum wir 2021 immer noch dort sind.»
In Washington ist die Kritik an Bidens Entscheidung beträchtlich. Sie entzündet sich zum einen daran, dass der Präsident für den Abzug ein konkretes Datum nennt. Es war Donald Trump, der den Taliban ein Ende des Einsatzes bis zum 1. Mai zugesagt hatte. Biden hatte diese Frist nach seinem Amtsantritt verschoben – nun aber nur unwesentlich verlängert. Die Kritik zielt jedoch auch darauf, dass Biden die Heimkehr der derzeit noch 3500 US-Soldaten an keinerlei Bedingungen knüpft, was das Verhalten der Taliban und die Sicherheitslage im Land betrifft.
«Eine schreckliche Botschaft»
Die lautesten Reaktionen kamen von den Republikanern, die Bidens Vorgehen für «teuflisch gefährlich» oder – wie im Fall des Senators Lindsey Graham – als «dumm wie Dreck» bezeichneten. Ein Abzug ohne Wenn und Aber, dazu noch auf den symbolträchtigen 11. September hin: «Das sendet eine schreckliche Botschaft an die Taliban», sagte Mike Rogers, der frühere Chef des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus. Für die islamistischen Rebellen sei das ein Freipass – und für alle Feinde Amerikas ein Propagandasieg.
Es sind nicht nur Bidens übliche Gegner, die das so sehen. Auch in Fachkreisen, in den Washingtoner Thinktanks und in linksliberalen Medien ist viel Skepsis zu hören. Bidens Entscheidung führe ziemlich sicher zu einem «Desaster», kommentierte die «Washington Post». Die gewählte afghanische Regierung könnte kollabieren, alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte würden zunichtegemacht – und die Chance, dass am Hindukusch erneut eine Brutstätte für Terroristen entstehe, sei gross.
Biden hat auf diese Einwände eine simple Antwort. Die Idee, das Ende des Einsatzes von Versprechen der Taliban abhängig zu machen, habe man nun zwei Jahrzehnte verfolgt, sagte ein ranghoher US-Regierungsvertreter zu Journalisten. Der Präsident halte diesen Ansatz für gescheitert. «Es ist ein Rezept dafür, für immer in Afghanistan zu bleiben.»
Neue Prioritäten
Bidens Haltung gegenüber den US-geführten Kriegen in Nahost hat sich mehrfach geändert, wurde aber mit den Jahren zunehmend kritischer. Als Vizepräsident von Barack Obama hatte er sich 2009 vergeblich gegen eine Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan ausgesprochen. In seinem Wahlkampf versprach Biden – wie schon sein Vorgänger –, die «endlosen Kriege» in dieser Region zu beenden. Nun will er umsetzen, was Trump begonnen hatte.
Damit nimmt der Demokrat ein Empfinden auf, das in der US-Bevölkerung verbreitet ist (lesen Sie dazu auch den Artikel Bloss raus aus dem Krieg). In den Umfragen haben die meisten bewaffneten Auslandseinsätze mehr Gegner als Befürworter. Und seit Biden im Weissen Haus sitzt, hat er klargemacht, dass die strategischen Prioritäten der USA in anderen Weltgegenden liegen – besonders in Ostasien. «Wir müssen uns nun», sagte der Präsident, «auf die Herausforderungen der Zukunft konzentrieren.»
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