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Meinung

Analyse zu den deutschen Grünen
Kann Annalena Baerbock Angela Merkel ablösen?

Angriff aufs Kanzleramt: Die 40-jährige Parteichefin Annalena Baerbock wird erste Kanzlerkandidatin der Grünen.
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Der Kontrast war zuletzt so grell, dass es schmerzte: Hier die Christdemokraten, die sich in der Frage, wer ihre Macht bei der kommenden Wahl sichern soll, brutal zerlegen. Da die Grünen, vom Mitregieren in Berlin seit 16 Jahren entwöhnt, die ohne Krampf und Kampf Schritt für Schritt zurück zur Macht drängen. Auf einmal wirkt die Chaospartei von einst so diszipliniert und staatstragend, wie man es CDU und CSU immer nachsagte.

Verkehrte Welten also. Aber, was die grüne Kanzlerkandidatur anging, am Montag dann doch die erwartete, logische, konventionelle Wahl: Annalena Baerbock wird die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen.

Logisch war die Wahl, weil zum einen bei den Grünen Frauen traditionell Vorrecht geniessen, wenn eine Doppelspitze nicht möglich ist. Zum anderen hatte sich die 40-jährige Baerbock zuletzt aus eigener Kraft immer mehr in den Vordergrund geschoben. Sie wirkte unter Druck nervenstärker und in den Details kompetenter als ihr Mit-Chef Robert Habeck. In der Partei ist sie beliebt und vernetzt wie keine zweite. Und der Philosoph Habeck, vor drei Jahren noch der grosse, aufstrebende Star der Grünen, war bereit, sich Baerbocks Machtanspruch nicht zu widersetzen.

Stellt sich als Nummer zwei hinter Baerbock: Der 51-jährige Co-Chef der Grünen, Robert Habeck.

Es gibt Stimmen in- und ausserhalb der Partei, die finden, die Grünen hätten es sich mit dieser Wahl zu leicht gemacht: Sie bedienten lieber mit Baerbock das eigene Milieu, als mit dem originelleren Habeck zu versuchen, Wählerinnen und Wähler über die eigene Kernklientel hinaus anzusprechen.

Ob der Vorwurf zutrifft, wird man im Wahlkampf sehen können. Jedenfalls sollten sich die Grünen nicht darauf verlassen, dass die Christdemokraten auch in fünf Monaten noch so kopflos und zerstritten agieren, wie sie es gerade tun. CSU-Chef Markus Söder oder CDU-Chef Armin Laschet jedenfalls wären beide auf ihre Weise schwierige Gegner für Baerbock. Und welche politische Grosswetterlage im Herbst herrschen und nach welchen Tönen und Qualitäten sie verlangen wird, kann in Zeiten der Pandemie niemand wissen.

«Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere.»

Annalena Baerbock am Montag in Berlin

Dass die Grünen im Wahlkampf erster Verfolger von CDU/CSU sein werden, scheint derzeit jedoch ziemlich wahrscheinlich. Als einzige Frau, als junge noch dazu, wird Baerbock unter den Spitzenkandidaten frisch und unverbraucht erscheinen. «Ich trete an für Erneuerung», sagte sie am Montag. «Für den Status quo stehen andere.»

Laschet oder Söder, aber auch Olaf Scholz, der Kanzleranwärter der Sozialdemokraten, alle um die 60 Jahre alt, regieren seit langem, sei es im Bund oder in den Ländern. Im Vergleich zu diesen Schwergewichten wird das Publikum natürlich auch feststellen, wie leicht Baerbocks Rucksack in dieser Hinsicht ist: Führungsverantwortung ausserhalb der eigenen Partei trug die Grüne bisher nie.

Auch politisch dürften die Angriffe auf die Grünen im Wahlkampf zunehmen. Bisher genossen Baerbock und Habeck viel mediales Wohlwollen, weil sie weniger moralisch und ideologisch auftraten als ihre Vorgänger und nicht nur davon sprachen, die Grünen zur breiten gesellschaftlichen Mitte öffnen zu wollen, sondern es auch taten. Der Klimaschutz, ihr Paradethema, wird sowieso gerade zum politischen Allgemeingut.

Milliardenschwere Vorschläge zum Ausbau des Sozialstaats

Leicht angreifbar ist Baerbocks Partei hingegen bei ihren milliardenschweren Vorschlägen zum Ausbau des Sozialstaats: Da figuriert nicht nur jene Steuer auf hohe Vermögen, die den Grünen den Wahlkampf 2013 verhagelt hatte, sondern auch die Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze zugunsten einer mehr oder weniger bedingungslosen «Garantiesicherung». Und eine ähnliche Absicherung für die Kinder soll noch dazukommen.

Schliesslich stellt sich die Frage, wie Baerbock überhaupt Kanzlerin werden könnte. Dass die Grünen am 26. September vor den Christdemokraten liegen, ist – dem gegenwärtigen Aufruhr zum Trotz – eher unwahrscheinlich: Deutschland ist nicht Baden-Württemberg, die ziemlich linke Baerbock kein Winfried Kretschmann, der die bürgerlichen Wähler seines Landes als eine Art grüner Christdemokrat verführt hat.

Auf eine Kanzlerin namens Annalena Baerbock sollte man nicht unbedingt wetten.

Bleiben fürs grüne Kanzleramt also noch Bündnisse jenseits der Union: eine linke Koalition mit SPD und Linkspartei oder die sogenannte Ampel, mit SPD und FDP. Beide müssten zum einen eine deutliche Mehrheit haben, um überhaupt stabil zu sein. Nicht jede rechnerische Mehrheit ist, zum anderen, auch politisch realisierbar. An der Regierungsfähigkeit der Linkspartei gibt es erhebliche Zweifel. Und mit der FDP zu regieren würde, gerade was den geplanten Ausbau des Sozialstaats angeht, viel schwieriger werden als mit der Union – wenn nicht sogar unmöglich.

Kurz: Es ist immer noch wahrscheinlich, dass die Grünen im Herbst Teil der neuen deutschen Regierung werden – als Juniorpartnerin der Union. Auf eine Kanzlerin namens Annalena Baerbock sollte man nicht unbedingt wetten.