Höhenflug der deutschen Grünen«Wir haben die Chance, das Unwahrscheinliche möglich zu machen»
Beflügelt vom Triumph in Baden-Württemberg, stellen die Grünen im Herbst auch in Berlin die Machtfrage. Bleibt die knifflige Frage, wer die Partei in die Wahl führen soll.
Ein «herausragendes Ergebnis» einer herausragenden Persönlichkeit sei Winfried Kretschmanns Wahlsieg in Baden-Württemberg gewesen, sagte Robert Habeck. Der Co-Parteichef der Grünen freute sich am Montag in Berlin über einen «super Start ins Superwahljahr». Man werde die kommenden Monate «selbstbewusst und ernsthaft» angehen.
Der 51-Jährige strich heraus, dass die Grünen inmitten einer «krisenhaften Zeit» dazugewonnen hätten, während die Christdemokraten eingebrochen seien und die Sozialdemokraten stagnierten. «Unsere Dynamik setzt sich fort.» Erstmals seien sie in Baden-Württemberg auch bei den älteren Menschen die stärkste Partei gewesen, an vielen Orten auch auf dem Land.
Schritt für Schritt, meinte Habeck, erreichten die Grünen so das angestrebte Ziel, von der Öko-Nische immer weiter in die Breite der Gesellschaft auszugreifen. In Baden-Württemberg hätten sich laut Umfrage nicht zufällig fast drei von fünf Wählerinnen und Wählern gewünscht, dass die Grünen künftig auch im Bund regierten.
Den Ministerpräsidenten lobte Habeck als einen Politiker, von dem «wir alle» viel lernen könnten: «tief zu denken etwa und seine Politik aus Grundsätzen abzuleiten». Das Lob der Grünen-Spitze, in das auch die zweite Co-Chefin, Annalena Baerbock, einstimmte, war insofern bemerkenswert, als das Verhältnis mit Kretschmann in der Vergangenheit durchaus konfliktreich war.
Der 72-Jährige gewann seine Wahlen stets als pragmatischer Konservativer mit ökologischem Anliegen, nicht als Linker wie viele Grüne im Bundestag oder in der Partei. Forderte Kretschmann aus Sorge um die einheimische Industrie eine Kaufprämie für Autos mit modernen Verbrennungsmotoren, jaulten die Grünen in Berlin zuverlässig auf. Umgekehrt schüttelte Kretschmann nur den Kopf, wenn in Berlin wieder einmal das Recht aufs «Häuslebauen» oder anderes infrage gestellt wurde.
Seit Baerbock und Habeck 2018 die Führung übernahmen, hat sich das Verhältnis zu Kretschmann jedoch entspannt. Die neue Spitze ist selbst erheblich pragmatischer gesinnt als die alte und hat manche ideologischen Zöpfe abgeschnitten. Sie nutzt Kretschmanns Erfolg lieber für eigene Zwecke, als sich an dessen Eigensinn abzuarbeiten.
Die Ampel mit SPD und FDP als neue Option
Während die Grünen im Bundestag seit 16 Jahren in der Opposition schmoren, regieren sie aktuell in 11 der 16 Bundesländer in den unterschiedlichsten Konstellationen mit. Kretschmann ist es zu verdanken, dass in Baden-Württemberg nochmals eine neue Variante dazukommen könnte: eine von den Grünen geführte «Ampel-Koalition» mit SPD und FDP, die insbesondere den Charme hätte, die CDU in die Opposition zu schicken.
Noch geben die Umfragen für ganz Deutschland weder Mehrheiten für eine von den Grünen geführte Ampel-Koalition noch für ein entsprechendes Linksbündnis her. Schrumpft die CDU weiter, kann sich das in den kommenden Monaten aber ändern. Für die Grünen hätte die Ampel den Vorteil, dass die Partei dank des Einbezugs der FDP dem Links-rechts-Lagerwahlkampf entkäme, in den die CDU sie gerne drängen möchte.
Kanzlerkandidatin Baerbock?
Habeck und Baerbock kündigen schon lange an, dass die Grünen im Herbst mit der Union um Platz 1 kämpfen wollen – also auch um das Kanzleramt. Selbst nach dem jüngsten Triumph bleibe man aber «der Underdog», so Habeck. Wie die gesellschaftliche Stimmung im Herbst sein werde, könne freilich niemand wissen. «Deswegen ist alles möglich. Wir haben die Chance, auch das Unwahrscheinliche möglich zu machen.»
Zuerst muss das harmonische Führungsduo allerdings die überaus knifflige Frage beantworten, wer von ihnen Kanzlerkandidatin oder -kandidat werden soll. Viele Beobachter erwarten, dass die Grünen mit der 40 Jahre jungen Baerbock in den Wahlkampf ziehen, weil sie neben Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet / Markus Söder (CDU/CSU) die einzige Frau und in allen Themen verhandlungssicher sei. Allerdings ist Habeck der weitaus originellere und weitsichtigere Politiker. Der Entscheid, der in jedem Fall auch Enttäuschungen mit sich bringen wird, soll zwischen Ostern und Pfingsten fallen.
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