Wahlparteitag der GrünenBaerbock und Habeck behaupten ihren Mitte-links-Kurs
Alle Forderungen zur Radikalisierung des ökologischen und sozialpolitischen Programms wurden deutlich abgelehnt – auch ein höherer CO₂-Preis.
Radikal, aber realistisch wollen die neuen deutschen Grünen sein. Streitlustig, aber geeint. Revolutionär und doch staatstragend. Robert Habeck und Annalena Baerbock gefällt es, ihre Partei als eine zu beschreiben, die Widersprüche versöhnt, um ihre eigene rebellische Vergangenheit mit einer glänzenden Regierungszukunft zu verbinden.
Wie weit sie beim Gang in die links-grüne Mitte schon gekommen sind, zeigte der dreitägige digitale Parteitag, bei dem die Grünen am Wochenende ihr Programm für die Bundestagswahl im Herbst beschlossen: Staatstragender hätte sich die Partei kaum präsentieren können.
Die ganze Parteispitze legte sich ins Zeug
3300 Anträge zur Änderung des Programms waren vorgelegen, Hunderte von ihnen wollten zentrale Punkte deutlich verschärfen. Über rund 80 Anträge stimmten die 800 Delegierten schliesslich ab, weil man sich nicht auf einen Kompromiss verständigen konnte. Und siehe da: Alle Anträge wurden abgelehnt, meist mit überraschend deutlichen Mehrheiten.
Wahlalter 14 hatte genauso wenig eine Chance wie noch höhere Mindestlöhne, Spitzensteuersätze oder Arbeitslosengelder. Ein noch tieferes Tempolimit wurde genauso abgelehnt wie die Enteignung von Immobilienkonzernen, ein Verbot jeglichen Autobahnbaus oder von Verbrennungsmotoren schon 2025. Der Wunsch, das Wort «Deutschland» aus dem Titel des Programms zu streichen, wurde schon vor der Abstimmung zurückgezogen.
Der Erfolg der Parteispitze gegen Maximalforderungen, die diese als nicht umsetzbar und schädlich im Wahlkampf erachtete, war total. Vor allem Habeck hatte sich dafür kräftig ins Zeug gelegt, aber auch die Realo-Schwergewichte Cem Özdemir und Renate Künast oder die Linken Toni Hofreiter und Jürgen Trittin.
CO₂-Preis: «Nicht zu schnell einsteigen»
Der 20-jährige Jakob Blasel, einer der Gründer der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung, hatte für einen deutlich höheren CO₂-Preis geworben, weil sich ohne ihn das Pariser Klimaschutzabkommen nicht einhalten lasse. Habeck warnte vehement vor einem allzu «krassen Sprung» von 25 auf 80 und später auf 140 Euro pro Tonne: «Wenn wir zu schnell einsteigen, dann verlieren wir das Projekt Energiewende und die Mehrheit, die wir dafür brauchen.» Am Ende gaben Habeck 473 Delegierte recht, Blasel nur 219.
Man müsse aufpassen, mit ambitioniertem Klimaschutz niemanden zu überfordern, mahnte die Parteispitze immer wieder. Um die Zumutungen, die der Übergang in eine ökologische Marktwirtschaft mit sich bringe, abzufedern, sei ein umfassender sozialer Ausgleich nötig. Man werde dafür genauso entschlossen kämpfen wie für den Klimaschutz, versprach Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
Baerbock, die am Samstag eine eher bemühte als interessante Rede hielt, und Habeck, der oft glänzte, wurden von der Parteibasis nicht nur inhaltlich, sondern auch formal bestätigt: 98,5 Prozent stellten sich hinter sie. Es gab nur 6 Gegenstimmen.
Die Nomination der 40-jährigen Baerbock als erste grüne Kanzlerkandidatin hatte vor acht Wochen eine regelrechte Euphorie ausgelöst: Die Grünen überholten in vielen Umfragen die Christdemokraten als stärkste Partei, Baerbock galt auf einmal als beliebteste und fähigste Anwärterin auf die Kanzlerschaft.
Teilweise haarsträubende eigene Fehler und gezielte Attacken der politischen Gegner haben die Hochstimmung aber längst wieder vertrieben: In den jüngsten Umfragen liegen die Grünen wieder rund 6 Punkte hinter CDU und CSU. Baerbocks persönliche Werte stürzten regelrecht ab: in der Umfrage der ARD um 12 Punkte, in der des ZDF um 15. Sie rangiert nun deutlich hinter Armin Laschet von der CDU und dem Sozialdemokraten Olaf Scholz.
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