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Grüne Welle in Deutschland
Wie lange hält der Baerbock-Hype?

Sie trägt derzeit die Hoffnungen vieler: Annalena Baerbock, 40, Co-Chefin und Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen für die Bundestagswahl im Herbst.
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Der Hype der deutschen Medien um Annalena Baerbock kannte zuletzt kaum Grenzen. Seit die 40-Jährige als erste grüne Kanzlerkandidatin auftritt, hagelt es journalistische Liebesbezeugungen, die sich über ihre – bisher mehr vermuteten als erwiesenen – Fähigkeiten vor Bewunderung nur so überschlagen.

Die grossen Magazine «Spiegel» und «Stern» stellten Baerbock auf ihren Titelblättern wie eine Erlöserin dar. Im Berliner «Tagesspiegel» meinte eine ansonsten kluge junge Kommentatorin ernsthaft, die Frage sei weniger, ob die Kandidatin Kanzlerin könne, sondern ob Deutschland für eine wie sie schon bereit sei.

Von allen Fernsehsendern wurde Baerbock interviewt, und wenn sie wie in der Talksendung von Anne Will die Fragen einigermassen souverän parierte, schwärmten Journalisten danach, dass sie Angriffe kontere wie eine «Grossmeisterin im Fechten». Eine Nummer kleiner ging nicht.

Besser hätte den Grünen der Start in den Wahlkampf jedenfalls nicht gelingen können. Nach aussen hin in völliger Harmonie hatten Baerbock und Robert Habeck vorletzte Woche die junge Frau als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl präsentiert. Zur gleichen Zeit kämpften die Chefs der beiden christdemokratischen Parteien erbittert um den Platz an der Spitze: Der sehr beliebte Markus Söder von der CSU konnte sich dabei gegen den ziemlich unbeliebten Armin Laschet von der grossen CDU nicht durchsetzen.

Jung, Frau, strahlend, frisch gegen: alt, Mann, abgekämpft, müde.

Der Kontrast, dazu noch am selben Tag, hätte grösser kaum sein können: Die Grünen stellten mit Baerbock eine Siegerin vor, die das Versprechen «endlich anders» mit Leben füllte: jung, Frau, strahlend, frisch. Der Gedanke, Deutschland könnte eine moderne Mutter als Kanzlerin bekommen, beflügelte die Fantasien weit über die grüne Kernklientel hinaus.

Armin Laschet, der 60-jährige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, wirkte dagegen wie ein Überlebender: ein etwas grauer, sattsam bekannter älterer Mann, der schon müde schien, bevor der Wahlkampf so richtig begonnen hat – belächelt von Söder, verspottet von dessen Anhängern, angezählt von den Medien.

In den Meinungsumfragen bildeten sich die offensichtliche Stimmungskluft und der beginnende Hype um Baerbock sofort ab – und verstärkten sich dadurch zusätzlich: Erstmals überhaupt überholten die Grünen bei einigen Instituten die Christdemokraten und sprangen von 22 auf bis zu 28 Prozent – das sind Werte, wie sie die Partei ausserhalb Baden-Württembergs noch nie erreicht hat. Auch in der Frage, welche Person sich die Deutschen als Kanzlerin wünschen, lag Baerbock mit 30 Prozent auf einmal 17 Punkte vor Laschet. Allein in den ersten fünf Tagen nach ihrer Ernennung traten zudem 2200 Menschen ihrer Partei bei, mehr denn je.

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Einen derartigen Höhenflug, der auf die Wahl einer Kanzlerkandidatur folgte, gab es in Deutschland in jüngerer Zeit erst einmal: 2017, als die Sozialdemokraten statt des unbeliebten Parteichefs Sigmar Gabriel überraschend den Europapolitiker Martin Schulz auf den Schild hoben. Auch damals machte die SPD einen Sprung von 20 auf 30 Prozent, überflügelte Schulz Angela Merkel als erwünschte Kanzlerin und strahlte von den Titelblättern von «Spiegel» und «Stern». Drei verlorene Landtagswahlen später war der Höhenflug vorbei, der Jammer am Wahltag gross.

Hält das Hoch diesmal länger, vielleicht sogar bis zum 26. September? Viele Beobachter sind eher skeptisch. Zum einen beruht der grüne Erfolg in den Umfragen bisher kaum auf Baerbocks eigenen Leistungen, sondern projiziert nur Hoffnungen und Sehnsüchte auf eine neue Figur. Die demoskopische Stärke der Grünen verdankt sich weniger dem Baerbock-Effekt als der Laschet-Schwäche der Union. Wäre Söder der Unionskandidat geworden, so die Experten, würden die Grünen immer noch zurückliegen.

Ja nicht konkret werden, ja keine Wähler mit Verboten oder Zumutungen erschrecken, lautet derzeit Baerbocks Devise.

Wie damals Schulz versprüht zum anderen auch Baerbock im Moment viel hehre Worte, wird aber kaum je konkret: In den politischen Inhalten ja nicht zu explizit werden, lautet ihre Devise, ja nicht zu viel Angriffsfläche bieten. Das wird sich nicht lange durchhalten lassen. Und wenn den Deutschen einmal klar wird, wie ambitioniert – oder, je nach Standpunkt, radikal – die grünen Pläne bei Klimaschutz, Ausbau des Sozialstaats auf Pump und pazifistischer Aussenpolitik sind, dürfte Baerbock mehr Wind ins Gesicht blasen als jetzt.

Allerdings gibt es auch zwei Umstände, die den Grünen erheblich günstiger gesinnt sind als damals Schulz’ SPD: Zum einen muss sich Baerbock nicht mehr gegen Merkel durchsetzen. Und im Kampf um deren Wähler der Mitte könnte es der christdemokratische Mitte-Politiker Laschet paradoxerweise eher schwerer haben als die ziemlich linke Frau Baerbock.

Sicher ist, dass die Deutschen in den Wochen vor der Wahl anders auf Baerbock schauen werden als heute.

Zum anderen werden die Grünen spätestens seit 2018, als die jugendlichen Klimaproteste die Strassen zu fluten begannen, von einer ökologischen Grundströmung getragen, die gesellschaftlich zunehmend mehrheitsfähig scheint. Eine solche soziale Bewegung, die Milieus und Parteien übergreift, hatte der SPD vor vier Jahren gefehlt.

Sicher ist in jedem Fall, dass die Deutschen in den entscheidenden Wochen vor der Wahl auf eine mögliche Kanzlerin Baerbock erheblich anders schauen werden als heute. Die Frische ihrer Person wird sich zu einem guten Teil verbraucht, die Auseinandersetzung über ihre spärlichen Erfahrungen eingesetzt haben. Wie viel dann vom Hype noch übrig bleibt, muss sich erst zeigen.