Selenskis WEF-Rede«Der Ukraine läuft die Zeit davon»
Zu Beginn des diesjährigen WEF hat Wolodimir Selenski stärkere Sanktionen gefordert. Firmen und Staaten müssten den Druck auf Russland erhöhen, so der ukrainische Präsident.
Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis profitierte bei seinem Auftritt beim World Economic Forum vom Selenski-Effekt. Denn schon bei Cassis’ Grusswort war die grosse Kongresshalle, die über 1200 Menschen fasst, bis auf wenige Plätze gefüllt.
Kaum erschien der ukrainische Präsident auf dem riesigen Bildschirm der Bühne, brandete Applaus auf. Bei seiner Rede beliess es der ukrainische Präsident bei seinem bewährten Set-up: Im olivgrünen T-Shirt am Schreibtisch sitzend, mit zwei ukrainischen Fahnen im Hintergrund, wandte er sich an die globale Elite des WEF.
Auch Selenskis Botschaft hielt sich an das bekannte Playbook: Er forderte die Staaten und Firmen auf, den Druck auf Russland zu erhöhen. «Wir brauchen stärkere Sanktionen, etwa ein Ölembargo oder ein Embargo für den russischen IT-Sektor», sagte er.
Selenski nahm auch die Wirtschaftsführer in die Pflicht. Er forderte die Unternehmen auf, ihre Aktivitäten in Russland einzustellen. «Sie können ihr Geschäft von der Ukraine aus betreiben», warb der ukrainische Präsident.
Waffen und Wiederaufbau
In Sachen Waffenlieferungen erneuerte er seine Mahnung: «Ich weiss nicht, wie viel Zeit Europa und die Welt haben», so Selenski, «aber der Ukraine läuft die Zeit davon.» Diese Aussage scheint auf jene Kräfte gemünzt gewesen zu sein, die beim Thema Waffenlieferungen noch zurückhaltend sind – wie der deutsche Co-Vorsitzende der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil, der im Saal der Rede zuhörte.
Ein Thema der Rede war der Wiederaufbau des Landes. Selenski bezifferte die bisher erlittenen Schäden auf drei Billionen Dollar. Grosse Hoffnungen setzt er auf die geplante Wiederaufbaukonferenz, welche die Schweiz im Juli in Lugano organisieren will. Alle befreundeten Staaten, aber auch Firmen sollen dort ihren Beitrag vorstellen, so Selenski.
Lösung für Getreideproblem nicht in Sicht
Ein grosses Problem für die Ukraine ist, dass Russland dem Land den Zugang zum Schwarzen Meer blockiert. Das erschwert es enorm, die Getreideernte zu exportieren. Dabei ist Ukraine einer der grössten Getreideexporteure, der vor allem Länder in Afrika wie Ägypten beliefert.
Auf die Frage Schwabs, wie das Problem gelöst werden könne, antwortete Selenski, dass die Staatengemeinschaft versuchen solle, einen Seekorridor freizubekommen, um Getreideexporte zu ermöglichen.
Wie das allerdings gelingen soll, dazu sagte er nichts. Es erscheint kaum möglich, dass Russland den Würgegriff um das Land lockert. Und die Nato dürften kaum mit ihrer Marine den Weg für Getreideschiffe freischiessen, um diesen Seekorridor freizubekommen.
Selenski beklagte zudem, dass Russland massenhaft Getreide stehle und ausser Landes «schmuggle». Er rief die Staatengemeinschaft dazu auf, mitzuhelfen, den Verkauf des gestohlenen Getreides zu unterbinden.
Freundliche Worte von Schwab
Auch wenn Selenski nur per Video zugeschaltet war, für den ukrainischen Präsidenten war es ein Heimspiel. Nach seiner Rede stand der Saal auf und spendete ihm Standing Ovations. «Mein Wunsch an Sie ist, dass Sie das Gefühl der Einheit nicht verlieren», warb Selenski.
Und WEF-Gründer Klaus Schwab versicherte: «Ich schliesse diese Session damit, dass wir alle mit Ihnen vereint sind.»
Doch so freundliche Worte hatten die WEF-Gastgeber in der Vergangenheit auch für Politiker wie Wladimir Putin oder Chinas Präsidenten Xi Jinping.
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