Cassis spricht am WEF«Wir können in diesen dynamischen Zeiten nicht statisch bleiben»
In seiner Eröffnungsrede in Davos skizzierte Bundespräsident Ignazio Cassis drei mögliche Szenarien für die Zukunft der Globalisierung. Ausserdem nahm er Stellung zu Kritik an der Rolle der Schweiz im Ukraine-Krieg.
In seiner Eröffnungsrede am Wirtschaftsforum WEF hat Bundespräsident Ignazio Cassis vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise auch einen Blick auf Fragen zur Globalisierung geworfen. Es stelle sich nämlich die Frage, was das Risiko zunehmender Polarisierung für die Märkte, die Volkswirtschaften und den Wohlstand bedeuteten.
Der Krieg verändere vieles fundamental, sagte Cassis vor den WEF-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern in Davos. Er skizzierte drei mögliche künftige Szenarien für die Globalisierung.
Ein Szenario sei die «sektorielle Globalisierung». Wenn Blöcke gebildet würden, führe dies zu einer Entkopplung der Wirtschaftsräume, in welchem die Kreisläufe nur noch regional erschlossen seien. Das berge aber enorme Risiken, sagte Cassis. Darunter seien etwa die Gefahren einer zugespitzten Machtpolitik, kalter Handelskriege oder von blockierten Austausch. Dies habe zur Folge, dass es zu Wohlstandsverlusten komme.
Als weiteres Szenario sprach Cassis davon, die «Hyperglobalisierung» zurückzuschrauben. «Dies könnte vielleicht eine Übergangslösung sein», sagte Cassis. Ziel wäre es, Abhängigkeiten zu reduzieren, indem Ressourcen renationalisiert würden. Der Preis sei aber, dass Produkte teurer würden.
Das dritte Szenario ist für Cassis der gangbarste Weg. Da geht es um die Stärkung des Multilateralismus. Dieser müsse seine Kräfte schwergewichtig auf jene Fragen konzentrieren, die isoliert nicht lösbar seien, sagte Cassis, zum Beispiel zum Klimawandel, zu Pandemien oder zur extreme Armut.
«Wir können in diesen dynamischen Zeiten nicht statisch bleiben», sagte der Bundespräsident.
In falscher Sicherheit gewiegt
Bei seiner Rede stand jedoch der Ukraine-Krieg im Fokus. Man müsse jetzt schon an die Zeit nach dem Krieg denken. 40 Länder seien zur Wiederaufbaukonferenz im Tessin eingeladen worden. Die vergangenen Jahrzehnte seien für viele Jahrzehnte der Hoffnung gewesen, sagte Cassis in seiner Eröffnungsrede am Weltwirtschaftsforum WEF im Beisein von WEF-Präsident Klaus Schwab. Man habe geglaubt, die nach dem kalten Krieg geschaffene Ordnung habe Bestand. Es habe viele Fortschritte gegeben, auch für die Demokratie und die Freiheit, sagte Cassis.
Allerdings verleite dieses «trügerische Fundament vermeintlicher Sicherheit» dazu, die eigene Verletzlichkeit zu unterschätzen, sagte Cassis. Wer glaube, dass diese Errungenschaften konstant seien, laufe Gefahr, die Risiken von aufkeimendem Nationalismus, Machthunger und Protektionismus zu übersehen. Eine Krise sei der anderen gefolgt – die Finanzkrise, der Klimawandel, die Pandemie und schliesslich der Krieg in der Ukraine.
Schweiz in «kooperativer Neutralität»
Dieser «Aggressionskrieg» habe die Ukraine als souveränen Staat in Trümmer gelegt, sagte Cassis. Dass die Schweiz diesen Krieg scharf verurteilt habe, habe angesichts der Schweizer Neutralität viele überrascht, sagte Cassis. Es gebe aber bei einer solch «brachialen Verletzung» fundamentaler Werte keine neutrale Haltung. Denn diese Werte stünden für die Freiheit schlechthin. «Demokratie muss stärker sein als Gewaltherrschaft», sage der Bundespräsident.
Entsprechend stehe die Schweiz mit den Ländern zusammen, die diesem Angriff auf die Grundfesten der Demokratie nicht tatenlos zusehen würden. Der Schweiz entspreche diese «kooperative Neutralität». Das bedeute, sich als neutrales Land für die Stärkung von Grundwerten, die Sicherung von Friedensbemühungen und für eine regelbasierte und stabile Sicherheitsarchitektur einzusetzen.
Grenzen habe die Schweizer Neutralität aber wegen des Neutralitätsrechts, das es etwa verbiete, an Kriegen teilzunehmen, Mitgliedschaften in militärischen Allianzen einzugehen oder Truppen, Waffenlieferungen und Durchgangsrecht für Kriegsparteien zu ermöglichen.
Schweiz will vermitteln
Cassis richtete seinen Blick in seiner Rede vor den WEF-Teilnehmenden auch auf die Zeit nach dem Krieg. Die Schweiz sei bereit, als Vermittlerin Gespräche wieder zu ermöglichen und dafür Plattformen zu schaffen.
Zudem gehe es bereits jetzt darum, den Wiederaufbau der kriegsversehrten Ukraine zu planen. 40 Länder und 18 internationale Organisationen seien zur Wiederaufbaukonferenz vom Juli im Tessin eingeladen worden. Dort sollen sich die Hauptakteure ein erstes Mal über das «komplexe System des Wiederaufbaus» austauschen.
Die Schweiz biete zudem an, bei Folgeschritten erneut Gastgeberin zu sein. Selbst wenn der Krieg noch nicht absehbar sei, wäre es «unverzeihlich», nicht jetzt schon mit Überlegungen zur Zeit nach dem Krieg zu beginnen.
SDA/sep
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