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Tamara Funiciello im Interview
Nach «Lesben»-Aussage: «Meine Worte haben Leute verletzt, das tut mir leid»

Nationalrätin Tamara Funiciello, SP-BE, im Bundeshaus in Bern am 21. September 2023.
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Sie interessiere sich nicht für Fussball, aber für «Lesben, die Sport machen», sagte SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser in einem feministischen Sessionsrückblick im Oktober. Und Tamara Funiciello legte nach. Sie werde im Sommer, wenn die Fussball-EM stattfinde, «Lesben beim Fussball zusehen».

Die Aussagen sorgten für Aufregung in Kreisen von Fussballerinnen. Am Sonntag veröffentlichte diese Redaktion ein Interview mit Nationalspielerin Meriame Terchoun. Die 29-jährige Zürcherin fand deutliche Worte und kritisierte Rosenwasser und Funiciello scharf.

Nun nimmt Funiciello Stellung zu ihren Aussagen. Auch Rosenwasser tat das, sie äusserte sich in einer Kolumne in der «Republik».

Tamara Funiciello, Sie möchten sich für Ihre Aussagen entschuldigen.

Ja. Meine Worte haben Leute verletzt, und das tut mir leid. Ich war zu wenig darauf sensibilisiert, wie diese Aussage aufgenommen werden kann, selbst wenn ich sie nicht so gemeint habe. Meriame Terchoun sagte, sie erwarte, dass Politikerinnen Verantwortung übernähmen. Damit hat sie absolut recht.

Sie sind selbst lesbisch, darum sorgte die Aussage für Aufsehen.

Ja. Ich komme auch aus dem Sport, habe lange Landhockey gespielt, war an Europameisterschaften dabei. Es gab kaum geoutete Spielerinnen, es war verpönt, lesbisch zu sein, Leute wurden zwangsgeoutet. Ich lernte, dass Lesbischsein etwas Schlechtes sei. Ich musste den Sport verlassen, um zu meiner Liebe stehen zu können. Im Fussball ist das anders, er ist einer der wenigen Safer Spaces, die queere Frauen haben. Es gibt viele Fussballerinnen, die ihre Liebe offen und politisch selbst thematisieren, wie zum Beispiel Megan Rapinoe, Lucy Bronze, Marta …

… oder in der Schweiz Ramona Bachmann oder Lara Dickenmann.

Dass es solche Vorbilder im Fussball gibt, ist wunderschön. Genau darauf zielte meine Aussage ab. Auf die Vorfreude, diese Vorbilder live erleben zu dürfen. Sie war aber unsensibel formuliert, und dafür möchte ich mich entschuldigen.

Mit der Aussage bedienten Sie sich klassischer Stereotype, die Frauen, die Fussball spielen, während ihrer ganzen Karriere begleiten.

Das war mir in diesem Moment zu wenig bewusst. Ich wollte die Leistungen der Spielerinnen nicht schmälern, gleichzeitig möchte ich den Mut der Frauen, die bereit sind, Vorbilder zu sein, als Spielerinnen, aber auch als queere Personen, nicht kleinreden. Lesben sind in der Gesellschaft meist unsichtbar, wir müssen uns immer wieder outen, jeden Tag, wir haben kaum sichtbare Vorbilder.

«Wie kann man nur hassen, dass Menschen sich lieben?»

Können Sie die Kritik von Meriame Terchoun nachvollziehen?

Ja. Ich habe es aus einem anderen Blickwinkel angeschaut. Für mich stand die Repräsentation im Zentrum. Für Meriame Terchoun ist wichtig, dass Frauenfussball thematisiert wird, unabhängig davon, wen die Spielerinnen lieben. Das sind beides wichtige Anliegen. Es ist schade, werden sie gegeneinander ausgespielt. Das hat damit zu tun, dass grundsätzlich zu wenig über Frauen geschrieben wird. Was mir Sorgen macht, ist eine andere Aussage in ihrem Interview: Sie sagte, dass sie Kolleginnen habe, die Morddrohungen erhalten hätten, weil sie lesbisch seien.

Solche Kommentare kennen Sie aus Ihrem Alltag wahrscheinlich auch.

Ja. Manchmal mitten auf der Strasse am helllichten Tag. Wen und wie wir lieben, ist immer noch ein Thema und ein Grund für Gewalt.

Müssen Sie darum nicht eine Verbündete sein von Fussballerinnen, die dafür kämpfen, ernst genommen zu werden?

Ich setze mich seit Jahren an vorderster Front dafür ein, dass Frauen gehört, gesehen und ernst genommen werden. Egal ob im Fussball, in der Politik oder in der Wirtschaft, ob lesbisch, queer oder hetero. Ich setze mich gegen Ungleichheiten ein – auch im Sport, sei es bei den Löhnen oder bei den Chancen. Und natürlich bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer und homophober Gewalt. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, erleben noch mehr davon. Mit meiner Aussage ging es mir darum, zu zeigen: Wir sehen euch, stehen hinter euch und feiern euch dafür, dass ihr hinsteht und für uns Vorbilder seid, weil wir wissen, was euch das kostet.

Meriame Terchoun, Schweizer Fussballspielerin, im roten Trikot im Stadion Letzigrund, Zürich, vor dem EM-Qualifikationsspiel Schweiz gegen Türkei.

Meriame Terchoun sagte auch: Wenn ein Mann Ihre Aussagen gemacht hätte, gäbe es einen Skandal.

Wichtig ist, dass man Verantwortung übernimmt, lernt und danach handelt, unabhängig vom Geschlecht. Das tue ich.

Sind Sie sich überall einig mit Terchoun?

Was mir Sorgen macht, ist, dass sie sagte, dass das Wort Lesbe bei den Jungen ein negatives Stigma habe. Das darf nicht sein! Lesbe ist kein Schimpfwort. Wie kann man nur hassen, dass Menschen sich lieben? International erleben wir gerade brutale Rückschritte bei den Rechten von queeren Menschen. In unserem Parlament war ich an vorderster Front im Einsatz für die Ehe für alle. Man sagte mir in der Debatte: «Wenn Frauen Frauen heiraten dürfen, dann darf man auch Goldfische heiraten.» Dagegen müssen wir Position beziehen.

Sie haben Ihr eigenes Coming-out angesprochen, 2019 im Magazin des «Tages-Anzeigers». Wie war es damals?

Als ich mich 2019 öffentlich geoutet habe, hatte ich Angst. Ich wusste nicht, was die Öffentlichkeit damit macht. Meine damalige Partnerin und ich sagten uns: Wenn es eskaliert, dann gehen wir. Es ging dann einigermassen gut, weil wir alles aufgleisten und viel Support hatten. Was aber nicht heisst, dass ich nicht homophobe Kommentare und Hassnachrichten erhalten habe. Und ich kam zum Schluss: Es hat sich gelohnt.

Wie?

Einige Tage später sass ich in einem Zug, als eine junge Frau sich neben mich setzte und sagte: «Ich auch. Und ich habe es nie jemandem gesagt.» Da wurde mir bewusst, dass ich die erste Person war, bei der sie sich geoutet hat. Meine Sichtbarkeit half ihrer Sicherheit und ihrem Selbstbewusstsein.

Sie selbst interessieren sich weniger für Männerfussball, dafür sind Sie aber grosser Fan des Frauenfussballs. Was packt Sie?

Ich finde, die Frauen spielen anders. Mir gefällt dieses Kollegiale, das die Frauen an den Tag legen, auf und neben dem Platz.

Was spielen Charaktere wie Meriame Terchoun für eine Rolle, die ihre Meinung sagen und sich auch politisch positionieren?

Ich las das Interview und dachte: Yes, danke! Dass die Spielerinnen Position beziehen und nicht einfach still sind, ist wichtig. Sie wissen: Wenn wir nicht Position beziehen, sind wir die Ersten, die verlieren. Nehmen wir Megan Rapinoe, die sich weigerte, zu Donald Trump zu gehen: Das brauchen wir in diesen dunklen Zeiten. Frauen, die Position beziehen. Und darum bin ich froh, hat Meriame Terchoun das alles gesagt. Damit wir gemeinsam besser werden können.

Letztes Jahr wollte der Bund zuerst nur vier Millionen Franken für die Frauen-EM in der Schweiz sprechen, während er für die Männer-EM 2008 80 Millionen Franken gesprochen hatte.

Ich sitze selbst in der Finanzkommission. Der Druck, der nötig war, um diesen Entscheid zu korrigieren, war gewaltig. Dass die Chance, die diese EM der Schweiz bietet, lange nicht gesehen wurde, finde ich problematisch. Ich bin voller Hoffnung, dass sich das spätestens in diesem Sommer ändert.