Währung als sicherer HafenDer Franken wird deutlich stärker, aber die Nationalbank bleibt untätig
Nichts galt vor Corona als grössere Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft als eine rasche Aufwertung des Frankens. Jetzt trat genau das ein. Die fünf wichtigsten Einflussfaktoren.
Seit Mitte März ist der Preis des Euro von 1.11 um über 3 Rappen auf deutlich unter 1.08 Franken gefallen. Das klingt nach einem kleinen Betrag. Doch ist das beachtlich, wenn man bedenkt, dass der Europreis selbst in den schlimmsten Tagen der Corona-Krise im Frühling 2020 nur drei Rappen tiefer bei rund 1.05 Franken lag.
Ein tieferer Preis des Euro bedeutet umgekehrt eine Aufwertung des Frankens. Sie zeigt sich ebenfalls, wenn auch in geringerem Ausmass, in einem tieferen Kurs für den Dollar.
Eine Aufwertung des Frankens galt vor der Corona-Krise über ein Jahrzehnt lang als die grösste Gefahr für die Konjunktur in der Schweiz. Die wichtigsten fünf Punkte zur Bedeutung der jüngsten Entwicklung:
Warum der sichere Hafen trotz Boom Bedeutung hat
Zu einer raschen Aufwertung des Frankens ist es in der Vergangenheit immer dann gekommen, wenn die Unsicherheiten in der Weltwirtschaft stark zugenommen haben. Dazu will aber das aktuelle Bild nicht recht passen. Die wichtigsten Indikatoren für die Weltwirtschaft zeigen eine kräftige Erholung nach der Corona-Krise an. Für die Schweizer Wirtschaft gilt das ganz besonders.
Dennoch: «Die Aufwertung geht erneut auf die Funktion des Frankens als sicherer Hafen zurück», sagt Thomas Flury, oberster Devisenstratege bei der Grossbank UBS. Seine Ansicht wird an den Währungsmärkten geteilt. Gewicht erhält sie durch den Umstand, dass auch der japanische Yen, der ebenfalls als sicherer Hafen gilt, jüngst an Wert zugelegt hat.
«Sorgen machen vor allem die Delta-Variante des Coronavirus wie auch neue Mutationen», erklärt Flury. Eine in den letzten Monaten und Wochen gestiegene Risikoscheu zeigt sich nicht nur an den Devisen-, sondern auch an den Kapitalmärkten.
Welchen Einfluss die Zinsen haben
Die Aktienmärkte haben zwar keinen Einbruch erlebt, aber dort sind es vor allem die Titel der grossen Konzerne, welche die Entwicklung bestimmen. Dass die Wertpapiere der kleineren Firmen, die als riskanter gelten, nicht mithalten können, zeugt ebenfalls von einer anhaltend hohen Unsicherheit trotz erfreulicher Daten zur Weltkonjunktur.
Eine deutlich grössere Bedeutung haben aber die Zinsmärkte. Vor allem die Langfristzinsen sind wieder gesunken, nachdem sie in den ersten Monaten des Jahres kräftig zulegten. Das zeigt sich sowohl an den Renditen amerikanischer, deutscher wie auch schweizerischer Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren. Seit Mitte April sind sie in den USA von 1,7 Prozent auf gerade noch knapp über 1,2 Prozent gefallen und in der Schweiz seit Ende Mai von minus 0,1 auf minus 0,43.
Die anfänglich gestiegenen Zinsen galten als Hinweis für eine rasche Überwindung der Krise. An den Kapitalmärkten ging man von einem weiteren Anstieg aus. Dass sie überraschend wieder gesunken sind, steht wie die Aufwertung des Frankens für die Rückkehr der Unsicherheit.
Was die Politik der führenden Notenbanken bedeutet
Einen entscheidenden Einfluss auf die Zinsen und die Währungsverhältnisse hat aber auch die Geldpolitik der Notenbanken. Auch hier lässt sich ein Grund für den jüngsten Wertzuwachs des Frankens finden.
Trotz der deutlich besseren Wirtschaftsaussichten ist weder die US-Notenbank Fed noch die Europäische Zentralbank EZB bereit, etwas an ihrer extrem expansiven Geldpolitik zu ändern. Das Fed hat dies immerhin als Möglichkeit für später angekündigt. Noch Anfang Jahr dominierte die Erwartung, dass diese Notenbanken bald eine Abkehr von ihrer bisherigen Politik einleiten.
Ihre Haltung ist ebenfalls das Resultat der anhaltenden Unsicherheit: Lieber zu viel Gas geben als einen erneuten Einbruch riskieren, scheint beim Fed und der EZB die Haltung zu sein. Dazu kommt, dass beide anders als bisher eine höhere Inflation akzeptieren wollen – sie soll vorübergehend auch mehr als 2 Prozent betragen können. Die Schweizerische Nationalbank SNB dagegen hält eisern am Ziel einer Inflation von unter 2 Prozent fest.
Die anhaltend expansive Geldversorgung in Europa und den USA wie auch die höhere dort akzeptierte Inflation machen Anlagen in den Franken ebenfalls attraktiver, was zu seiner Aufwertung beiträgt.
Weshalb die Inflation im Ausland das Problem mindert
Gemäss jüngsten Daten liegt die Inflation in den USA (verglichen mit dem Vorjahr) bei 5,4 Prozent, jene in der Eurozone bei 2,1 Prozent. Angestiegen ist sie zwar auch in der Schweiz, beläuft sich aber auf bloss 0,7 Prozent.
Ein teurerer Franken würde zwar für sich gesehen der Konkurrenzfähigkeit von Schweizer Exporteuren schaden, die höheren Preise im Ausland haben aber genau den gegenteiligen Effekt.
Die tiefere Teuerung in der Schweiz ist zwar ein weiterer Faktor, der die Attraktivität des Frankens befeuert. Für die hiesigen Konsumenten und Exporteure ist das aber ein Segen: Für die Konsumenten, weil die Lebenshaltungskosten nicht ebenso stark steigen wie im Ausland.
Der Vorteil für die Exporteure liegt darin, dass die tiefere Inflation den Nachteil des teureren Frankens in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte im Ausland ganz oder teilweise wettmacht. Denn das bedeutet, dass die Preise für Schweizer Produkte weniger stark zunehmen als jene der Konkurrenten im Ausland.
Warum die Nationalbank gelassen bleibt
Die deutlich höhere Inflation im Ausland dürfte neben der aktuell prächtigen Ausgangslage für die Schweizer Exportindustrie mit ein Grund dafür sein, dass die SNB nichts gegen die jüngste Aufwertung unternommen hat.
Bei früheren Aufwertungsschüben beim Franken hat die Nationalbank jeweils mit massiven Devisenkäufen versucht, Gegensteuer zu geben. Daran vor allem liegt es, dass ihre Währungsreserven mittlerweile bereits die Summe von 1 Billion Franken übertroffen haben.
Laut den mit einer Verzögerung von einem Vierteljahr publizierten Daten hat die Nationalbank schon im ersten Quartal dieses Jahres praktisch nicht mehr an den Devisenmärkten interveniert.
Sie hat es auch seither trotz der Frankenaufwertung nicht mehr getan. Das lässt sich aus den Einlagen der Banken (Giroguthaben) bei der SNB ablesen, die sich nur unwesentlich verändert haben. Da sie ihre Interventionen über die Banken abwickelt, müssten Devisenkäufe zu einer Zunahme der Guthaben auf den Girokonten führen.
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