Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Bedeutung der neuen Strategie
EZB steckt sich höheres Inflationsziel – SNB zeigt kein Interesse

Die Inflation soll nicht mehr zwingend unter 2 Prozent bleiben: Präsidentin Christine Lagarde hat am Donnerstag die neue Strategie der Europäischen Zentralbank begründet. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die EZB hat eine neue geldpolitische Strategie beschlossen. Die wichtigste Veränderung: Die Zielsetzung einer Inflation von «unter, aber nahe 2 Prozent» wird aufgehoben. Ersetzt wird sie durch ein Inflationsziel von 2 Prozent über die mittlere Frist. Das neue Inflationsziel soll für mehr Klarheit sorgen, erklärte EZB-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag. Zudem möchte die Notenbank künftig auch den Klimawandel berücksichtigen und einfacher kommunizieren.

Die Überarbeitung der strategischen Grundausrichtung ist schon länger in Planung, die letzte fand 2003 statt. Alle Mitglieder im EZB-Rat haben der Entscheidung zugestimmt. Eigentlich rechnete man erst im September mit dem Beschluss, doch «wenn er fertig ist, soll man ihn auch veröffentlichen», sagte Lagarde. Wir erklären, was sich künftig ändert – und warum. Und was bei der Schweizerischen Nationalbank zu erwarten ist.

Akzeptiert die EZB künftig auch eine höhere Inflation?

Ja. Mit dem neuen Inflationsziel toleriert die EZB auch Phasen, in denen die Preise mehr als 2 Prozent steigen. Das bisherige Ziel einer Inflation von «unter, aber nahe 2 Prozent» war nicht länger haltbar, zum einen, weil das niemand so richtig verstanden hatte. Zum anderen, weil es aus einer Zeit stammt, in der man Angst vor hoher Inflation hatte.

In der zurückliegenden Dekade sanken die Preise zeitweise, die Teuerungsrate pendelte zwischen -0,6 und 2 Prozent. Die EZB scheiterte in der jüngsten Vergangenheit allein am Ziel, «nahe an 2 Prozent» zu kommen, trotz Nullzins und Anleihekäufen in Billionenhöhe.

Wichtig ist: Das Inflationsziel von 2 Prozent ist der Anker, und dieser Anker hält symmetrisch in beide Richtungen, unten und oben. Dass die EZB mittelfristig 2 Prozent Inflation erreichen will, bedeutet, dass die Institution Phasen akzeptiert, in denen die Preise auch höher steigen.

Mit der grösseren Flexibilität will die EZB fallende Preise (eine negative Inflation) besser verhindern, die unter bestimmten Umständen eine Wirtschaftskrise auslösen können. Denn ein sinkendes Preisniveau bedeutet höhere Realzinsen, gegen die eine Notenbank weitgehend machtlos ist.

Deshalb möchte sie mehr Luft nach oben haben. Aus diesem Grund wird sie wohl härter eingreifen, wenn sich die Inflationsrate der Nulllinie nähert, und die lockere Geldpolitik auch dann fortsetzen, wenn man nahe dem 2-Prozent-Ziel ist.

Hat die Schweizerische Nationalbank ähnliche Pläne?

Bei der Nationalbank (SNB) bestehen keine solchen Pläne. Die Politik der SNB orientiert sich ebenfalls an einem Inflationsziel, doch dieses hält sie für erreicht, wenn das Preisniveau zwischen 0 und 2 Prozent pro Jahr ansteigt.

«Unser geldpolitisches Konzept ist eine Erfolgsgeschichte.»

SNB-Präsident Thomas Jordan

Angesprochen auf eine Revision der eigenen Strategie, hat ihr Präsident Thomas Jordan jeweils erklärt, man überprüfe diese laufend, doch man sehe keine Notwendigkeit, etwas zu ändern. «Unser geldpolitisches Konzept ist eine Erfolgsgeschichte», begründete das Jordan erst kürzlich in einem Interview mit der NZZ.

Die Forderung nach einer Änderung, wie sie jetzt die EZB vorgenommen hat, wurde in der Schweiz bereits von den drei Wirtschaftsprofessoren und Geldpolitikexperten Stefan Gerlach, Yvan Lengwiler und Charles Wyplosz im Rahmen ihres «SNB-Observatoriums» erhoben. Wie jetzt die EZB haben die drei argumentiert, das aktuelle Inflationsziel in der Schweiz sei zu unpräzise und mit einer höheren Gefahr eines sinkenden Preisniveaus verbunden.

SNB-Präsident Thomas Jordan sieht keine Notwendigkeit für Änderungen. 

Was machen andere Notenbanken?

Bereits vor der EZB haben auch andere Zentralbanken ihre Inflationsziele neu justiert, und zwar so, dass sie künftig eine leicht höhere Inflation akzeptieren. Besonders viel Bedeutung hat die Änderung bei der US-Notenbank Fed. Sie will neu eine durchschnittliche Inflation über die Zeit anstreben.

Das heisst konkret: War die Inflation einige Zeit tiefer, soll sie danach einige Zeit höher liegen. Ganz so weit geht die EZB nicht, auch wenn der Unterschied klein ist. Sie hält am Ziel von 2 Prozent fest, will dieses aber weniger streng auslegen, wenn es sich mittelfristig einstellt.

Warum wollen Notenbanken eine höhere Inflation?

In den 1970er- und 1980er-Jahre sind die Preise weltweit rasant gestiegen. 5 bis 7 Prozent Inflation waren damals die Regel. Deshalb haben sich die meisten Notenbanken ein Inflationsziel von 2 Prozent als Obergrenze gesetzt.

Es grassierte die Angst vor dauerhaft fallenden Preisen, einer Deflation. Plötzlich mussten die Währungshüter für steigende Preise kämpfen.

Doch im letzten Jahrzehnt drehte das Bild. Die Inflationsraten sanken, teilweise fielen die Preise. Die Notenbanken konnten ihr Ziel nicht mehr erreichen, obwohl sie die lockerste Geldpolitik aller Zeiten machten. Es grassierte die Angst vor dauerhaft fallenden Preisen, einer Deflation. Plötzlich mussten die Währungshüter für steigende Preise kämpfen.

Welche Folgen hat der Strategiewechsel?

Die Notenbanken können mit den neuen Zielsetzungen ihre überaus expansive Geldpolitik länger fortsetzen. Mit dem neuen Ziel erhalten sie mehr Flexibilität und müssen sich nicht dauernd für die Nullzinspolitik und die Anleihenkäufe rechtfertigen.

Das hat aktuell eine besonders grosse Bedeutung, weil die Inflation in den USA und in Europa bereits jetzt deutlich ansteigt. Im Juni lagen die Preise in der Eurozone im Vergleich zum Vorjahr um 1,9 Prozent höher, in der Schweiz dagegen nur um 0,6 Prozent und im Mai in den USA sogar um 5 Prozent. Auch wenn Expertinnen und Experten das für einen vorübergehenden Ausschlag nach oben halten, sind sie sich weniger einig als noch vor der Krise, ob die Preise künftig stärker steigen.

Das neue Ziel der EZB und anderer Notenbanken ist die Folge der Erfahrungen aus den letzten Jahren. Die Ausgangslage ist jetzt aber etwas anders. Angesichts der aktuell steigenden Preise könnte die Befürchtung aufkommen, zu wenig zu tun gegen eine Inflation. Mit einer solchen Erwartung beginnen Unternehmen auch ihre Preise nach oben anzupassen und Beschäftigte ihre Lohnforderungen. Als Folge droht dann eine sich selbst erfüllende Prophezeiung einer weiter steigenden Teuerung.

Wem nützt das?

Viele Länder und schwache Unternehmen sind abhängig von niedrigen Zinsen, um ihre Haushalte zu finanzieren oder – im Fall von Firmen – keine Überschuldung anmelden zu müssen. Ausserdem treiben die tiefen Zinsen auch die Aktienmärkte. Schon jetzt wird debattiert, ob die Notenbanken deshalb überhaupt eine Zinsanhebung wagen können.

Was bedeutet es, dass die EZB auch gegen den Klimawandel kämpfen will?

Die Notenbank möchte die Kosten des Klimawandels bei ihrer Geldpolitik stärker berücksichtigen. Dahinter steht der Gedanke, dass Unternehmen, die mit hohem Kohlenstoffdioxidausstoss produzieren, höhere Geschäftsrisiken tragen und durch schärfere Gesetze plötzlich ihre Marktchancen verlieren könnten. Die Notenbank möchte daher künftig eher Anleihen von Unternehmen kaufen, die klimafreundlicher wirtschaften.

Dasselbe gilt für die Leihgeschäfte: Die Schuldscheine von Firmen mit grossem ökologischem Fussabdruck sollen in Zukunft, wenn überhaupt, nicht mehr so hoch beliehen werden wie derzeit. Die Umstellung auf die grüne Geldpolitik wird aber Jahre dauern. Es müssen noch Messinstrumente entwickelt werden, um grüne von braunen Firmen verlässlich zu unterscheiden. Eine ähnliche Debatte findet auch bei der SNB statt.