Ökonomen vs. NationalbankSelbst ernannte SNB-Wachhunde greifen Negativzins-Politik an
Drei prominente Ökonomen haben sich zu einem SNB-Observatorium zusammengeschlossen. Sie fordern von ihr eine radikale Änderung der Geld- und Währungspolitik.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) soll eine höhere Teuerung anstreben und den Wechselkurs zum Euro zum ausdrücklichen Ziel ihrer Geldpolitik machen. Das fordern die drei Ökonomen des sogenannten SNB-Observatoriums in einem am Mittwochmorgen veröffentlichten Bericht.
Das erst vor kurzem gegründete private, von der Nationalbank unabhängige Observatorium hat sich zum Ziel gesetzt, «eine konstruktive und auf Daten und der ökonomischen Wissenschaft beruhende Debatte» zur Geldpolitik der Nationalbank zu führen. Denn deren Handeln habe grossen Einfluss auf «Alte und Junge, Arme und Reiche, Sparer, Hauskäufer, Firmen und Beschäftigte, Profite und Löhne, den Konjunkturzyklus und den langfristigen Wohlstand des Landes». Kurz: Die Gruppierung sieht sich als externes Kontrollorgan der Nationalbank.
Aktuell besteht das Observatorium nur aus den drei Wirtschaftsprofessoren Stefan Gerlach, Yvan Lengwiler und Charles Wyplosz. Gerlach ist Chefökonom der EFG-Bank und war einst Vizepräsident der irischen Notenbank. Lengwiler lehrt und forscht an der Universität Basel, Wyplosz am Graduate Institute in Genf.
Eine höhere Teuerung sei eher nützlich als schädlich
Der Bericht ist erst der zweite des Observatoriums. In einem ersten haben die drei Ökonomen die Nationalbank vor dem Vorwurf der USA in Schutz genommen, Währungsmanipulation zu betreiben.
Das aktuelle Papier dürfte deutlich mehr Sprengkraft enthalten. Zum einen, weil ein Teil dessen, was die drei Ökonomen an der Nationalbank bemängeln, auch sonst unter Ökonomen zu hören ist. Die Forderung nach einem leicht höheren Inflationsziel dürfte in der Bevölkerung und in der Politik auf wenig Verständnis stossen. In der öffentlichen Debatte steigt ohnehin die Sorge, nach der aktuellen Krise könnte das Preisniveau zulegen.
Wie die Ökonomen aber zeigen, weist in den Daten bisher nichts auf eine künftig höhere Inflation hin. Das zeigt auch die Prognose der Nationalbank, die noch 2023 von 0,5 Prozent ausgeht. Das aktuelle Inflationsziel der Nationalbank liegt zwischen 0 und 2 Prozent. Den drei Ökonomen ist das nicht nur zu tief, sondern auch zu unpräzise. Sie fordern, dass die Nationalbank künftig mittelfristig eine Teuerung von 2 Prozent im Durchschnitt anstrebt. Liegt sie wie seit einigen Jahren darunter, soll sie darauf einige Zeit höher liegen.
Doch warum sollten höhere Preise und damit eine geringere Kaufkraft von Nutzen sein? Die drei Ökonomen bestreiten die Nachteile einer zu hohen Inflation nicht. Ein Ziel von 2 Prozent sei aber eher nützlich als schädlich.
Sinkende Preise vereiteln die Geldpolitik
Seit der Finanzkrise sei die Teuerung ohnehin nie nur annähernd so hoch gewesen, und die Nationalbank unter Thomas Jordan unterschätze die Gefahren einer zu tiefen und negativen Inflation – einer sogenannten Deflation.
Vor Jordans Präsidentschaft habe man bei der Nationalbank dieses Risiko stärker im Auge gehabt, schreiben die Ökonomen. Denn ein sinkendes Preisniveau bedeutet, dass das Geld an Wert zulegt, selbst wenn man es unter der Matratze verstaut. Das heisst, es kann sich lohnen, Geld zu horten, statt es für den Konsum oder für Investitionen auszugeben.
«Es ist für die SNB Zeit zu anerkennen, dass ihr Leitzins von minus 0,75 Prozent nach sechs Jahren als geldpolitisches Instrument nicht mehr funktioniert.»
Ist der Leitzins dann schon sehr tief, wie das seit einem Jahrzehnt in der Schweiz der Fall ist, dann kann die Nationalbank nichts mehr tun, um die Lage zu verbessern und um den Konsum oder die Investitionen anzuheizen. Nur mit einer leicht höheren Inflation, so argumentieren die Ökonomen, seien wieder höhere Zinsen möglich, die der Nationalbank Spielraum verschaffen.
Zum aktuellen Zinssatz schreiben sie: «Es ist für die SNB Zeit zu anerkennen, dass ihr Leitzins von minus 0,75 Prozent nach sechs Jahren als geldpolitisches Instrument nicht mehr funktioniert.» Das zu tiefe Inflationsziel sei auch dafür verantwortlich, dass die Zinsen über alle Laufzeiten im negativen Bereich notieren, mit negativen Konsequenzen für Banken und Pensionskassen.
Die gleiche Sorge um ihren Einfluss auf die Wirtschaft hat im letzten Jahr bereits die US-Notenbank Fed zu einer Änderung ihres Inflationsziels veranlasst. Wie vom SNB-Observatorium für die Nationalbank gefordert, hat sich das Fed neu dem Ziel verpflichtet, eine Inflation von 2 Prozent im Durchschnitt über die Zeit anzustreben. An einer Überarbeitung ihrer geldpolitischen Ausrichtung arbeitet auch die Europäische Zentralbank.
Abkehr von der bisherigen Währungspolitik gefordert
Neben einer höheren Inflation fordern die Ökonomen des Observatoriums eine Änderung der Währungspolitik. Weil die Nationalbank ohnehin seit 2009 davon Abschied genommen habe, das Währungsverhältnis den Märkten zu überlassen, solle sie sie sich neu offen zu einem deklarierten Währungsziel gegenüber dem Euro bekennen und darüber offen kommunizieren.
Als Möglichkeit dazu schlagen die drei Ökonomen vor, dass die Nationalbank für die nächsten Quartale offen festlegt, innerhalb welcher Grenzen sie den Kurs des Euro zum Franken für angemessen hält. Sollte dieses Zielband aber durch Bewegungen auf den Devisenmärkten in Gefahr geraten, dann solle die Nationalbank an den Devisenmärkten intervenieren, um ein Ausbrechen aus dem Band zu verhindern. Das würde laut dem Bericht ohnehin «nur die aktuelle Politik formalisieren».
Die grössere Transparenz würde angesichts stabilerer Erwartungen ihrer Währungspolitik geringere Interventionen der Nationalbank nötig machen. Sie sind hauptsächlich dafür verantwortlich, dass deren Bilanz seit Anfang 2007 von knapp über 100 Milliarden Franken um das Zehnfache zugenommen hat.
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