Wirkung der Geldpolitik Die Wirtschaft profitiert von Negativzinsen
Ein Strauss von Studien macht deutlich, dass die extrem tiefen Zinsen in der Schweiz nicht Folge der Politik der Nationalbank sind und unter dem Strich positive Wirkungen haben.

Wann endet die Zeit der extremen Tiefzinsen, und welche Wirkung haben sie auf die Wirtschaft? Um diese Fragen zu beantworten, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) einen ganzen Kranz von Studien bei in- und ausländischen Universitäten in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch präsentiert.
Obwohl die sechs Untersuchungen von verschiedenen Forscherinnen und Forschern gemacht wurden, kommen sie zur weitgehend gleichen Einschätzung: Keine der Studien sieht den Grund für die tiefen Zinsen bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und ihren Negativzinsen. Dies kontrastiert mit einer oft geäusserten Wahrnehmung. Mehr noch: Die Politik der SNB kommt bei den Untersuchungen sehr gut weg. Die Details:
Die Gründe für die extrem tiefen Zinsen
Wie die Studien zeigen, sinken die Zinsen nicht erst seit der Einführung von Negativzinsen durch die SNB im Jahr 2015, sondern bereits seit Jahrzehnten davor.
Zudem sind sinkende Zinsen ein globales Phänomen. Internationale Entwicklungen spielen eine weit grössere Rolle als nationale. Dazu zählt zum einen die weltweit über die Jahrzehnte gefallene Teuerung. Je tiefer die Teuerung, desto geringer sind die Nominalzinsen, weil bei Ausleihungen der Geldwertverlust weniger kompensiert werden muss.
«Die Nationalbank konnte gar nicht anders, als die Leitzinsen in den negativen Bereich senken, um überhaupt noch Wirkung zu erzielen.»
Noch wichtiger ist die demografische Entwicklung: Die Alterung hat in entwickelten Gesellschaften zur Folge, dass die Altersvorsorge-Ersparnisse angestiegen sind. Dadurch steigt das Angebot an verfügbarem Kapital, und das drückt auf die Zinsen. Die Kapitalnachfrage für Investitionen ist gleichzeitig im Zeitverlauf zurückgegangen. Die Nationalbank konnte deshalb gar nicht anders, als die Leitzinsen in den negativen Bereich senken, um überhaupt noch Wirkung zu erzielen, so das Urteil.
Und trotz der rekordtiefen Leitzinsen in der Schweiz ist das hiesige Zinsniveau im Vergleich zu anderen Ländern weniger stark zurückgegangen. Deshalb hat die Schweiz ihren historischen Zinsvorteil verloren. Der Grund dafür ist zum einen, dass die Teuerung auch im Ausland deutlich gesunken ist, und zum anderen, dass die Nationalbank ihre Zinsen anders als andere Notenbanken seit längerem nicht mehr weiter senken kann.
Positive wirtschaftliche Folgewirkung
In der öffentlichen Debatte stehen meist die negativen Folgen der Tiefstzinsen im Fokus, vor allem weil dadurch die Renditen der Pensionskassen und anderer Sparer gedrückt werden. Auch die Banken leiden. Die Folgen der 2015 eingeführten Negativzinsen für die Wirtschaft werden in den Untersuchungen hingegen positiv bewertet.
«Die kumulierte Nettoinvestitionsrate der betrachteten Schweizer Firmen ist vier Jahre nach dem Zinsschock um 8 Prozentpunkte, die kumulierte Wachstumsrate der Beschäftigung um 7,5 Prozentpunkte höher als bei vergleichbaren Firmen in Deutschland.»
Es gebe einen positiven «robusten Zusammenhang zwischen dem Negativzinsschock und Unternehmensaktivität, wie zum Beispiel Investitionstätigkeit oder Beschäftigungswachstum», heisst es in einer der Studien. Konkret: «Die kumulierte Nettoinvestitionsrate der betrachteten Schweizer Firmen ist vier Jahre nach dem Zinsschock um 8 Prozentpunkte, die kumulierte Wachstumsrate der Beschäftigung um 7,5 Prozentpunkte höher als bei vergleichbaren Firmen in Deutschland.»
Besonders genützt hätten die tiefen Zinsen kapitalintensiven Firmen im Industriebereich, denn diese sind stärker auf Kredite angewiesen. Aber auch kleinere, risikoreichere und finanzschwächere Firmen hätten profitiert. Letzteres zeigt einen negativen Effekt: Dank der rekordtiefen Zinsen haben auch solche Firmen überlebt, die unter normalen Bedingungen insolvent geworden wären. Daher drohen die Firmenpleiten zuzunehmen, sollten die Zinsen einmal wieder steigen.
Umstrittene Zukunftsaussichten
Die Studien kommen insgesamt zum Schluss, dass die Zinsen auch in Zukunft tief bleiben werden. Denn die Faktoren, die sie bisher gedrückt haben, würden sie auch weiter tief halten. Mehrere Studien verweisen zudem auf eine Untersuchung aus dem Ausland, der zufolge die Folgeeffekte von Pandemien die kaufkraftbereinigten Zinsen noch für Jahrzehnte gedrückt halten.
Diese Überzeugung, dass die Zinsen tief bleiben, wird in jüngster Zeit allerdings zunehmend angezweifelt. So wird unter Ökonominnen und Ökonomen debattiert, ob es über einen temporären Teuerungsschub hinaus zu einer anhaltend höheren Inflation kommen wird – was schon für sich genommen ein höheres Zinsniveau zur Folge hätte, aber auch die Notenbanken zu höheren Leitzinsen zwingend würde.
Fehler gefunden?Jetzt melden.