Klimaneutrale SchweizBundesrat will CO₂ für 30 Jahre speichern – Wissenschaft empfiehlt 1000
Nicht alle Treibhausgase sind vermeidbar. Also müssen wir zusätzlich CO₂ aus der Atmosphäre filtern und speichern. Doch da gibt es ein Problem – das der Bundesrat nun verschärft.
- Das Klimaschutzgesetz der Schweiz fordert netto null Emissionen bis 2050.
- Eine dauerhafte CO₂-Speicherung ist entscheidend für eine klimaneutrale Schweiz.
- Der Bundesrat legt 30 Jahre als Speicherdauer fest. Das entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft.
- Wird CO₂ weniger als 1000 Jahre gespeichert, gibt es eine zusätzliche Erwärmung.
Netto null. Dieser Begriff ist in der Klimapolitik inzwischen geläufig. Und seit der Abstimmung über das Klimaschutzgesetz im Juni 2023 ist das Reduktionsziel für die CO2-Emissionen bis 2050 nicht nur eine Vision des Bundesrats, sondern ein Auftrag des Stimmvolks. Die Schweiz folgt demnach den internationalen Bestimmungen des Pariser Klimaabkommens, bis 2050 nicht mehr Treibhausgase auszustossen, als über natürliche und technische Speicher aufgenommen werden können. Dies bedeutet netto null Emissionen bis zum Jahr 2050.
Das hat aber weitreichende Folgen: Es lassen sich eben nicht alle Treibhausgase vermeiden, wie dies etwa beim Verkehr oder den Heizsystemen durch Elektrifizierung möglich ist. Die Schwerindustrie zum Beispiel, Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) oder die Landwirtschaft werden auch 2050 weiterhin Treibhausgase ausstossen, das kompensiert werden muss. Nur so kann ein Land Klimaneutralität erreichen. Der Bund schätzt in den Energieperspektiven 2050+ diese Emissionen auf 12 Millionen Tonnen.
Ein Ausgleich für eine Netto-null-Bilanz ist mit einer CO2-Entnahme möglich, indem Wälder aufgeforstet oder CO2 aus der Abluft von KVA gefiltert wird. Grosse Hoffnung wird in die – noch teure – direkte Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre gesetzt, wie das die Schweizer Firma Climeworks in Island macht.
Unterschiedliche Interpretationen der CO2-Speicherung
Eine Entnahme von CO2 macht jedoch nur Sinn, wenn das CO2 «dauerhaft» gespeichert wird, wie das der Weltklimarat IPCC definiert. Doch was heisst «dauerhaft»? «Niemand hat je festgelegt oder untersucht, was darunter zu verstehen ist», sagt Cyril Brunner vom Institut für Atmosphäre und Klimaforschung an der ETH Zürich.
Die Folgen: «Die politischen Interpretationen variieren beträchtlich», sagt Brunner. In den USA müssen entnommene Treibhausgase für 100 Jahre lang gespeichert werden, die EU verlangt mehrere Hundert Jahre. In der Schweiz hingegen ist in der Verordnung zum neuen CO₂-Gesetz festgeschrieben: Die Speicherung von CO2 muss «mindestens 30 Jahre» lang sichergestellt sein. Sei es zum Beispiel im Untergrund oder durch Aufforstung (Bäume nutzen CO2 für das Wachstum).
Zusätzliche Erwärmung
Hier liegt das Problem: Die gesetzlichen Vorgaben sind nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbar. So zeigt eine kürzlich erschienene Studie in «Nature Communications Earth & Environment»: CO2 muss mindestens 1000 Jahre gespeichert bleiben, zum Beispiel im Untergrund.
Entweicht das Gas früher, kommt es zu einer zusätzlichen Erwärmung – die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre hätte also langfristig keine Klimawirkung. «Bei einer Speicherung von 100 Jahren haben wir verzögert den gleichen Effekt, als hätten wir die Restemissionen nie durch eine CO2-Entfernung ausgeglichen», sagt der Hauptautor der Studie, ETH-Forscher Cyril Brunner. Das Ergebnis überrascht im Prinzip nicht. Denn die Erwärmung einer CO2-Emission wird nur langsam abgebaut, von der anfänglichen Erwärmung sind nach 1000 Jahren immer noch etwa 80 bis 85 Prozent vorhanden.
Die entscheidende Frage ist also: Warum will der Bundesrat in der Verordnung zum Schweizer CO2-Gesetz, die im nächsten Jahr in Kraft tritt, eine derart kurze Speicherdauer festschreiben? Das sei aus juristischen Gründen so festgelegt worden, heisst es beim Bundesamt für Umwelt auf Anfrage. Zusätzlich gibt es laut Bafu eine Sicherheitsmassnahme: Der Bund stellt für Projekte zur Speicherung von CO2 eine Bescheinigung aus. Diese werde jedoch rückwirkend ungültig, sollte das gespeicherte CO2 bei regelmässiger Überprüfung wieder frei werden.
Dazu ein Beispiel: Experten attestieren dem Holzbau eine gute Eignung als Klimaschutzmassnahme, sehen aber darin nur eine kurzfristige Speicherung von CO2. Werden Häuser aus Holz eines aufgeforsteten Walds gebaut, so ist das Haus ein CO2-Speicher, solange es bestehen bleibt. «Vorübergehend gespeichertes CO2 hat sehr wohl auch einen Klimanutzen», sagt Cyril Brunner. Allerdings müsse die Vergänglichkeit im Treibhausgasinventar erfasst werden. «Wird das Haus abgerissen und das Holz verbrannt, so entstehen wieder CO2-Emissionen.» Das muss im Treibhausgasinventar entsprechend verbucht werden. Für Brunner stellt sich jedoch dann die Frage, wer die zusätzliche Freisetzung später wieder kompensiert, um klimaneutral zu bleiben.
«Es gelten die Naturgesetze»
Eine dauerhaftere Lösung ist es, CO2 im Untergrund zu speichern. So erlaubt der Bundesrat seit 2024, CO2 aus der Schweiz zur Speicherung im Meeresgrund ins Ausland zu transportieren. Es wäre auch möglich, in der Schweiz Lagerstätten zu bauen. Dazu laufen derzeit Abklärungen.
Im Parlament gibt es jedoch Bedenken. «Eine vollständige dauerhafte Einlagerung wird zu enormen Kosten führen», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Wichtig sei, dass alle Massnahmen in der Klimapolitik immer nachhaltig sein müssten, also auch wirtschaftlich tragbar.
Für SP-Nationalrat Roger Nordmann zeigt die Kontroverse um die Dauerhaftigkeit von CO2-Speichern ein grundsätzliches Problem: Wie zuverlässig sind solche CO2-Senken auf lange Frist überhaupt? Die Technologie, warnt Nordmann, dürfe nur genutzt werden, um schwer vermeidbare Emissionen zu kompensieren. Es dürfe auf keinen Fall damit der Verbrauch fossiler Energien hochgehalten werden.
Die Reaktionen deuten es an: Netto null wird eine grosse Knacknuss. Für ETH-Forscher Cyril Brunner sollte es hier gleichwohl keine Kompromisse geben: «Nur eine Speicherdauer von mindestens 30 Jahren mag juristisch nachvollziehbar sein», sagt Brunner. Das sei aber zu kurz. «Die Physik ist unnachgiebig, und beim Klimawandel gelten die Naturgesetze.»
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