Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

CO₂-Endlager in der Nordsee
Wie Schweizer Klima­gase im Meeres­boden eingebunkert werden

CO2 receiving terminal in the municipality of Øygarden in western Norway. The facilities are under construction and will be ready for operations in 2024.

https://norlights.com/what-we-do/
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Vom nächsten Jahr an ist es erlaubt, CO₂ aus der Schweiz zur Speicherung im Meeresboden ins Ausland zu bringen. Der Bundesrat hat entschieden, eine entsprechende Ergänzung des Londoner Protokolls zu ratifizieren. Die Schweiz ist dem internationalen Übereinkommen zum Meeresschutz vor über 40 Jahren beigetreten.

Die Technologie dahinter heisst «Carbon Capture and Storage» (CCS), also die Abscheidung und Speicherung von CO₂. Sie ist auch Thema an der laufenden Klimakonferenz in Dubai. Der Bundesrat hält die CO₂-Speicherung für «unumgänglich», um die Klimaziele zu schaffen. Bis 2050 muss die Schweiz ihr Netto-null-Ziel erreichen.

Geschehen soll dies nach dem Willen des Bundesrats in erster Linie über eine starke Reduktion der Treibhausgase. Doch es bleiben Emissionen, die mit konventionellen Ansätzen nicht oder kaum vermeidbar sind, vor allem aus der Industrie, der Abfallverwertung und der Landwirtschaft.

Der Bund schätzt ihren Umfang im Jahr 2050 auf 12 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr, das ist etwa ein Viertel der aktuellen CO₂-Emissionen in der Schweiz. Davon können geschätzt 7 Millionen im Inland an Anlagen abgeschieden werden, weitere 5 Millionen mit Technologien der Atmosphäre entnommen werden.

Nordsee im Fokus

Zwar will der Bundesrat das hierzulande abgeschiedene CO₂ nach Möglichkeit im Inland einlagern. Doch das Potenzial hält er für begrenzt – allein schon deshalb, weil nicht klar ist, ob es genügend geeignete geologische Speicherstätten gibt, die sich wirtschaftlich erschliessen lassen.

Im Ausland ist man weiter, etwa beim Projekt Northern Lights: Das norwegische Speichervorhaben, an dem die Energieunternehmen Equinor, Shell und Total beteiligt sind, will ab 2025 für europäische CO₂-Emittenten grosse Speicherkapazitäten unter dem Meeresboden zur Verfügung stellen.

Länder wie Dänemark, Deutschland und Italien wollen ebenfalls in das neue Geschäft einsteigen.

Die CCS-Technologie gilt als noch vergleichsweise wenig erprobt, die Kosten sind hoch. Ihre Promotoren setzen deshalb zum einen auf den industriellen Hochlauf, zum anderen auf die EU, die über den Emissionshandel den CO₂-Ausstoss verteuern will – was das Speichern attraktiver machen könnte. Andere Länder jedenfalls wollen ebenfalls in das neue Geschäft einsteigen, etwa Dänemark, Deutschland und Italien.

Fans with filters of Swiss company Climeworks seen during a visit to Orca belonging to Swiss company Climeworks, the world's first large-scale carbon dioxide capture plant, which extracts carbon dioxide directly from the air and deposits it underground, near Hellisheidi Power Plant, near Reykjavik, Iceland, on Tuesday, May 16, 2023. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Dem CO₂-Export räumt der Bundesrat daher grosse Bedeutung zu: Mit seinem Entscheid beseitige er eine «wichtige Hürde» auf dem Weg zur Klimaneutralität. Betroffene Branchen sind erfreut darüber. Die CO₂-Speicherung im Ausland sei neben dem Aufbau einer Transportinfrastruktur für das Netto-null-Ziel matchentscheidend, sagt Bastien Girod. Der Grünen-Nationalrat präsidiert den Verband Schweizer Betreiber von Abfallverwertungsanlagen. Und David Plüss, Sprecher des Branchenverbands der Zementindustrie (Cemsuisse), sagt: «Das leistet einen Teil zur nötigen Planungs- und Rechtssicherheit.»

Strasse und Schiene limitiert

An der Zementindustrie lässt sich illustrieren, welche Bedeutung der CO₂-Export dereinst haben könnte. Seit 1990 konnte die Schweizer Zementindustrie ihre CO₂-Emissionen um 40 Prozent auf 2,8 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr senken. Cemsuisse rechnet mit einer weiteren Reduktion auf 1,8 Millionen Tonnen bis 2050, unter anderem weil noch stärker als heute biogene Brennstoffe zum Einsatz kommen sollen.

Doch bei der Produktion des wichtigsten Bestandteils von Zement, dem sogenannten Klinker, entsteht bei der Umwandlung von Kalkstein zu gebranntem Kalk viel CO₂. Diese prozessbedingten Emissionen lassen sich laut Cemsuisse weder mit Effizienzsteigerungen des Brennvorgangs noch dem Einsatz von nicht fossilen Brennstoffen senken. 

Aber das CO₂ lässt sich einfangen und speichern. Um die anfallenden Mengen ins Ausland zu bringen, bräuchte es jedoch allein für die Zementindustrie 330 LKW-Fahrten oder 150 Zugwaggons pro Tag, wie Cemsuisse errechnet hat. Auch der Bund hält es für unwahrscheinlich, pro Jahr mehr als eine Million Tonnen CO₂ auf der Strasse und Schiene zu transportieren. 

Cargo sous terrain plant CO₂-Pipeline

Es braucht deshalb Pipelines. Im benachbarten Ausland sind die Pläne teils ziemlich weit gediehen. Der deutsche Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas, Open Grid Europe, will ein CO₂-Transportnetz entwickeln, in einem ersten Schritt über 1000 Kilometer lang.

Auch in der Schweiz gibt es entsprechende Überlegungen. Die Aktiengesellschaft Cargo sous terrain (CST) will bis 2045 ein unterirdisches Transportnetz für Güter schaffen – ein Netz von Genf bis St. Gallen und von Basel bis Luzern mit einem zusätzlichen Ast von Bern nach Thun. Der Verwaltungsrat hat inzwischen beschlossen, eine CO₂-Pipeline als Teil der neuen Infrastruktur mitzuplanen – und zwar unter der Fahrbahn im CST-Tunnel. Eine Machbarkeitsstudie soll die technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen. «Wir möchten einen Beitrag zu einer nachhaltigen Schweiz leisten», sagt Joel Wenger, Verantwortlicher Zusatzgeschäfte bei CST. 

Deutscher Gasversorger hilft

Eine Anbindung ans benachbarte Ausland wäre damit aber noch nicht sichergestellt. Dazu braucht es künftig vertragliche Vereinbarungen zwischen CO₂-Emittenten in der Schweiz und ausländischen Anbietern von Transport- und Speicherleistungen. Für den Export zur CO₂-Speicherung im Meeresboden bedarf es zudem einer Übereinkunft der betroffenen Länder. 

Das im Bau befindliche CO₂-Terminal in Øygarden.

Bereits führt der Bund informelle Gespräche, um die Rahmenbedingungen zu verbessern, wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bestätigt. Zum Beispiel mit den deutschen Behörden und Unternehmen für den Anschluss an ein künftiges CO₂-Pipelinenetz. Offenbar mit Erfolg: Unter anderem aufgrund dieser Gespräche plane der deutsche Gasversorger OGE eine Verbindung bis an die Schweizer Grenze, hält das Bafu fest.

OGE selber hat auf eine Anfrage dieser Redaktion nicht reagiert. Auf einer online aufgeschalteten Karte liegt der Einspeisepunkt in der Aargauer Gemeinde Wallbach – am gleichen Ort, wo heute schon die Transitgasleitung in die Schweiz führt.

«Der Meeresboden wird das Problem nicht lösen können.»

Christian Lüthi, Klima-Allianz

Sicher ist: Der Aufbau und Betrieb eines CCS-Systems ist teuer. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Bafu geht von Kosten von 16,3 Milliarden Franken von 2028 bis 2050 aus, wobei die Bandbreite von 11,2 bis 21,4 Milliarden reicht. Mit 9,2 Milliarden Franken macht die Abscheidung (56 Prozent) den grössten Teil aus, ins Gewicht fallen auch die Investitionen in die Pipeline-Infrastruktur im Inland (30 Prozent). 

Tatsache ist auch: Die CO₂-Speicherung ist nicht unumstritten. Klimaschützer begrüssen sie nur, sofern sie dazu dient, nicht oder kaum vermeidbare Emissionen zu lagern. Keinesfalls dürfe sie aber dazu dienen, das fossile Zeitalter zu verlängern.

Die Klima-Allianz, ein Bündnis von mehr als 140 Organisationen, appelliert deshalb an die Politik, die CO₂-Emissionen rasch zu reduzieren. Doch mit dem CO₂-Gesetz, welches das Parlament derzeit revidiert, liessen sich nur bescheidene Reduktionen erzielen. Die Schweiz müsse noch grosse Mengen an verhinderbaren Emissionen einsparen, um ihre Klimaziele zu erreichen, sagt Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz. «Der Meeresboden wird dieses Problem nicht lösen können.»