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Leitartikel zum Gipfel auf dem Bürgenstock
Frischer Sauerstoff für die Solidarität mit der Ukraine

Heads of states pose for a group picture during the Summit on peace in Ukraine, in Stansstad near Lucerne, Switzerland, Saturday, June 15, 2024. Heads of state from around the world gather on the Buergenstock Resort in central Switzerland for the Summit on Peace in Ukraine, on June 15 and 16.(KEYSTONE/EDA/POOL/Michael Buholzer)
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Was für eine Wortklauberei: Das Schweizer Aussenministerium hatte das ursprünglich als «Friedenskonferenz» angekündigte Treffen auf dem Bürgenstock zuletzt noch umgetauft in «Konferenz zum Frieden». Doch selbst diese Variante, die die Erwartungen dämpfen sollte, war vermessen. Frieden lässt sich nicht herbeireden, Frieden ist nur möglich, wenn beide Kriegsparteien ihn anstreben. Oder wenn eine Partei gewinnt und den Frieden erzwingt. Beides ist nicht der Fall. Vor allem ist Russland nicht an einem Ende der Kämpfe interessiert. Das zeigt das kurz vor Konferenzbeginn von Putin ventilierte sogenannte Friedensangebot, das nichts anderes ist als eine arrogante Aufforderung zur Kapitulation.

Der Gipfel wurde trotzdem zum Erfolg. Oder gerade deshalb, weil es nicht in erster Linie um Frieden, sondern um die Ukraine ging. Präsident Wolodimir Selenski hat das Treffen genutzt, um das Offensichtliche in Erinnerung zu rufen: «Der Einzige, der diesen Krieg gewollt hat, war Putin.» Je länger ein Krieg dauert, desto mehr verschwimmen die Konturen der einfachen Fakten im «Nebel des Kriegs» aus Propaganda, Täuschung und Fehlinformationen. Selenskis Worte haben gewirkt: Russland sei der Aggressor, die Ukraine das Opfer, sekundierten US-Vizepräsidentin Kamala Harris und der französische Präsident Emmanuel Macron.

Dichter «Nebel des Kriegs» wegen Social Media

Im Zeitalter von Social Media, Fake News und Cyberwar hat sich der «Nebel des Kriegs», wie ihn vor 200 Jahren der preussische Stratege Carl von Clausewitz beschrieben hatte, so sehr verdichtet, dass es einer grossen Anstrengung bedarf, damit die Fakten erkennbar bleiben. Einer Anstrengung wie des teuren Treffens auf dem Bürgenstock. Gerade im demokratischen Westen mit seiner Redefreiheit können Putins willige Helferinnen und Helfer von Sahra Wagenknecht bis Roger Köppel die in Moskau verdrehte Darstellung des Ukraine-Kriegs weiterverbreiten.

Wichtig war auch, dass Selenski in Erinnerung rufen konnte, dass es in der Ukraine um viel mehr geht als um die Ukraine. Putins imperialistisches Projekt ist umfassend. Im Baltikum, in Moldau oder in Georgien versucht der Kreml bereits aktiv, Grenzen zu verschieben und den russischen Einfluss auszuweiten. Europa drangsaliert er mit Cyberattacken, um Unruhe und Zwietracht zu säen. Fällt die Ukraine an Putin, wird es für Europa noch gefährlicher, als es bereits ist. Und ausserdem richtig teuer, auch für die Schweiz, siehe Verteidigungsausgaben.

Putins Kompliment für die Schweiz

Der Kreml setzte im Vorfeld des Gipfels alles daran, möglichst viele Staatschefs von einer Reise auf den Bürgenstock abzuhalten. Moskau war sich nicht einmal zu schade, die Schweizer Bundespräsidentin zu verunglimpfen, weil sie sich für die «Konferenz zum Frieden» einsetzte. Ein grösseres Kompliment hätte Putin der Schweiz und ihren Gästen nicht machen können: Das Engagement des Kreml gegen den Gipfel belegt, dass er wichtig war. Tatsächlich erhielt die etwas ermattete Solidarität mit der Ukraine in den Schweizer Alpen eine Zufuhr frischen Sauerstoffs, das eindrückliche Gruppenfoto mit den Köpfen aus 92 Ländern zeugt davon. Exakt das wollte Putin verhindern.

Die auf dem Bürgenstock demonstrierte Solidarität spiegelt sich in der Abschlusserklärung wider, auch wenn nicht alle Teilnehmerstaaten unterschrieben haben. Sie enthält die Feststellung, dass allein Russland für diesen Krieg verantwortlich sei, womit das Offensichtliche schriftlich festgehalten ist. Auch an die in der UNO-Charta verbriefte territoriale Integrität aller souveränen Staaten wird erinnert – noch so eine von Autokraten gerne relativierte Tatsache. Die konkreten Forderungen, dass die Ukraine die Kontrolle über das Atomkraftwerk Saporischschja zurückerhält und dass Handelsschiffe nicht angegriffen werden, zeigen, wo mit den Russen Kompromisse ausgelotet werden könnten. Das gilt auch für die Kriegsgefangenen beider Seiten und die mindestens 20’000 verschleppten ukrainischen Kinder.

Weiteres Zögern bei den Waffenlieferungen wäre fatal

Zunächst aber muss sich die Solidarität mit der Ukraine auch jenseits der Diplomatie materialisieren. Kiew ist schon viel versprochen worden, geliefert wurden Bruchteile davon. Weiteres Zögern könnte fatal sein. Die Ukraine braucht nicht 15 neue Panzer, sondern 150 oder noch besser 1500. Die Russen haben Tausende Kampf- und Schützenpanzer im Einsatz. Und gegen die hinterhältigen Angriffe auf zivile Einrichtungen mit Hyperschallraketen und Gleitbomben helfen nur Patriot-Abwehrraketen und moderne Kampfjets.

Die lauwarme Forderung westlicher Bedenkenträger, die Ukraine dürfe den Krieg lediglich nicht verlieren, ist zynisch. Sie führt dazu, dass Kiew den Abwehrkampf mit einer Hand auf dem Rücken und minimalen Mitteln führen muss, mit 15 statt mit 1500 Panzern eben. Wodurch der Krieg zum brutalen Abnützungskampf wird. Immerhin ist es den Ukrainern inzwischen erlaubt, russische Abschussrampen jenseits der Grenze anzugreifen. Das ist ein Anfang, mehr aber nicht.

Leider ist es wohl illusorisch, anzunehmen, dass die Ukraine das gesamte Staatsgebiet zurückerobern kann. Die Verzögerungen der westlichen Hilfe haben es den Russen erlaubt, die Frontlinien so stark zu befestigen, dass sie kaum mehr durchbrochen werden können. Die Ukraine sollte jedoch in die Lage gebracht werden, die russischen Streitkräfte entscheidend zu schwächen, damit sie nicht noch weiter vorrücken. Die Zeit drängt, die Munition ist immer noch knapp, die Geschütze sind ausgeleiert, und in Washington will Putin-Bewunderer Donald Trump zurück ins Weisse Haus.

Über einen Frieden, der nichts zu tun hat mit einem russischen Diktatfrieden, kann man erst reden, wenn die Ukraine wieder eine Position der Stärke eingenommen hat. Dann kann sie mit den Russen verhandeln. Spekuliert wird, dass das in der Wüste Saudiarabiens geschehen soll. Auf dem Weg dahin war das Treffen in der kühlen Bergluft auf dem Bürgenstock ein erster Schritt.