Grossmarkt für Schweizer KonzernBrasilien droht ein Gift-Boom – unter Mithilfe von Syngenta
Jair Bolsonaro fördert den Einsatz von Pestiziden trotz schwerer Folgen für Mensch und Natur. Nun droht ein neues Gesetz die Lage sogar noch zu verschärfen.
Brasilien ist heute einer der grössten Agrarproduzenten der Welt. Es leben mehr Rinder im Land als Menschen, und zusammengefasst sind die brasilianischen Sojafelder mehr als achtmal so gross wie die Schweiz und grösser als Deutschland.
Die Branche boomt, und während auf der einen Seite immer mehr Amazonas-Regenwald buchstäblich in Rauch aufgeht, um Platz zu machen für noch mehr Weiden und Felder, steigt auf der anderen Seite der Einsatz von Pestiziden.
Mehr als eine halbe Million Tonnen werden jedes Jahr versprüht und verspritzt in Brasilien, ein toxischer Regen, Hunderte Liter, jeden Tag. Dazu wurden in dem Land allein letztes Jahr auch noch über 500 Agrargifte neu zugelassen – so viele wie noch nie zuvor.
Agrarlobbyistin ist Landwirtschaftsministerin
Möglich macht das ein Mann: Jair Bolsonaro. Brasiliens rechtspopulistischer Präsident hat vor allem mit der Hilfe der mächtigen Rinderzüchter und Grossgrundbesitzer die Wahlen von 2018 gewonnen. Seitdem hat er eine Agrarlobbyistin zur Landwirtschaftsministerin gemacht und bei Umweltbehörden die Gelder gekürzt.
Dazu hat sich in seiner Amtszeit eben auch die Zahl der erlaubten Pestizide fast verdoppelt. Und nun könnte bald auch noch ein Gesetzesentwurf verabschiedet werden, der die Zulassungen noch einmal in die Höhe treibt: Offiziell trägt er den Namen PL 6299/02, inoffiziell sprechen Presse und Umweltschützer aber nur vom «pacote do veneno», dem Giftpaket.
Der Gesetzesentwurf sieht Folgendes vor:
die Entscheidungsbefugnis über die Zulassung eines neuen Pestizids liegt neu in der Hand des Agrarministeriums
Umwelt- und Gesundheitsbehörden haben nur noch eine beratende Funktion
die Prüfprozesse würden beschleunigt und damit vermutlich auch verwässert
es könnten sogar Stoffe zugelassen werden, die nachweislich der Gesundheit schaden, wenn sie nur wichtig genug sind für die Landwirtschaft
Anfang Februar hat das Vorhaben schon die Abgeordnetenkammer passiert, nun liegt es zur Abstimmung im Senat. Umweltschützer schlagen Alarm, nicht nur in Brasilien, sondern weltweit: «Der Gesetzesentwurf könnte die ohnehin schon dramatische Situation mit Pestiziden in Brasilien noch weiter verschlimmern», heisst es etwa von Greenpeace.
Tatsächlich sind die Folgen des hohen Pestizideinsatzes in Brasilien besorgniserregend. Tausende akute Vergiftungen gibt es jedes Jahr, und das sind nur die offiziellen Zahlen: Viele Menschen haben Angst, Vorfälle zu melden, weil Grossbauern oft die einzigen Arbeitgeber in der Region sind.
Mädchen wachsen mit sechs Monaten Brüste
Zu all dem kommen Langzeitfolgen: Biologen registrieren Missbildungen bei Tapiren, es gibt Massensterben bei Bienenvölkern. In Dörfern, die nahe bei grossen Monokulturen liegen, haben Forscher unlängst einen Anstieg der Säuglingssterblichkeit festgestellt. In einem anderen Fall stiessen sie auf Mädchen, denen schon mit sechs Monaten Brüste gewachsen waren.
Nicht nur die reine Menge der Pestizide spielt bei all dem eine Rolle, sondern auch die Frage, welche Agrargifte eingesetzt werden dürfen. Denn einige Mittel, die tagtäglich über brasilianischen Feldern versprüht werden, sind in Europa überhaupt nicht zugelassen. Umweltschützer sprechen von einem «Doppelstandard»: Während viele europäische Länder zu Hause die Natur und Menschen schützen, können europäische Firmen gleichzeitig gute Geschäfte machen mit dem Verkauf von Pestiziden nach Brasilien.
Allen voran Syngenta. Der in Basel ansässige Konzern ist der weltweit grösste Hersteller von Pflanzengiften, und Brasilien ist sein wichtigster Markt: Dort erwirtschaftete Syngenta gut ein Fünftel seines Umsatzes. Viele der dort versprühten Gifte werden in Europa hergestellt, obwohl sie hier gar nicht zugelassen und verkauft werden dürften, weil sie als zu gefährlich gelten.
Die Schweiz hat inzwischen in einem ersten Schritt den Export von fünf problematischen Stoffen verboten und die Ausfuhr von hundert weiteren Pestiziden erschwert. Viel grössere Mengen verbotener Pestizide werden allerdings von Syngenta und anderen Herstellern wie Bayer und BASF aus EU-Ländern wie Deutschland, Italien oder Belgien nach Brasilien exportiert. Das geht aus dem neu erschienenen Pestizidatlas der Menschenrechtsorganisation Public Eye und der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung hervor.
Syngenta rechtfertigt seinen Spritzmittelexport damit, dass dies in voller Übereinstimmung mit den örtlichen Gesetzen und Vorschriften geschehe. «Unsere Produkte sind sicher und wirksam, wenn sie wie vorgesehen eingesetzt werden», fügt eine Sprecherin an.
Beim deutschen Pestizidproduzenten Bayer klingt das so: «Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus», erklärt ein Sprecher. Für viele Produkte sei die Zulassung überhaupt nicht beantragt worden, weil man sie in der EU wegen anderer Witterung oder anderem Plagebefall nicht benötige. Dazu gebe es auch in Brasilien funktionierende Kontrollbehörden.
«Wieso sind in Europa Agrargifte verboten, die in Brasilien eingesetzt werden dürfen?»
«Ihre Bewertungen spiegeln die spezifischen agronomischen Bedingungen der jeweiligen Länder wider und stellen mitnichten einen von einigen NGOs vorgeworfenen Doppelstandard dar», heisst es bei Bayer. Es gebe klare Regelwerke, die man strikt erfülle und sogar übertreffe.
Ganz ähnlich argumentiert BASF. Auch hier verdient man gut mit dem Verkauf von Agrargiften in Brasilien. Man nehme seine soziale Verantwortung sehr ernst: «Wir haben deshalb proaktiv den Verkauf von Produkten der WHO-Klassen 1A und 1B (hohe akute Toxizität) eingestellt.»
Marina Lacorte von Greenpeace Brasilien rollt nur mit den Augen, wenn sie diese Argumente hört. «Das sind die immer gleichen Rechtfertigungen», sagt sie. Nur weil ein Mittel von der WHO als weniger gefährlich eingestuft worden sei, heisse es nicht, dass es ungefährlich sei. «Es kommt auch immer darauf an, wie man vor Ort Pestizide ausbringen darf, ob sie zum Beispiel mit dem Flugzeug versprüht werden können und welche Grenzwerte es vor Ort gibt», sagt Lacorte. Und natürlich gebe es unterschiedliche Klimazonen auf der Welt. «Aber auch in Europa gibt es Länder, in denen es im Winter nicht wirklich kalt wird und wo Zitrusfrüchte wachsen. Wieso sind dort Agrargifte verboten, die bei uns in Brasilien eingesetzt werden dürfen?»
Lacorte hofft, dass das brasilianische Gesetzesvorhaben für die erleichterte Zulassung von Pestiziden im Senat scheitert. Gleichzeitig haben einige europäische Länder ihrerseits schon begonnen, zu handeln: In Frankreich dürfen Pestizide, die in der EU nicht zugelassen sind, nicht mehr produziert und exportiert werden. Ähnliche Regeln gibt es heute auch in der Schweiz.
Untersuchungen von Greenpeace belegen aber, dass Papayas, Mangos und viele andere Früchte, die aus Brasilien in europäische Supermärkte kommen, mit Pestiziden belastet sind – darunter auch solche, die als hochgefährlich gelten und in der EU keine Zulassung haben.
In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, Syngenta exportiere Paraquat nach Brasilien. Dies ist falsch, seit 2020 darf auch in Brasilien das Pestizid nicht mehr verkauft werden.
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