Volksbegehren zur NeutralitätDer Initiativtext steht – jetzt greift Blocher an
Der SVP-Übervater will die Schweizer Neutralität vor «Politiker-Willkür» schützen. Wie er seine persönliche Rolle im Abstimmungskampf sieht.
Man traf sich im Zürcher Hauptbahnhof, um die Neutralität der Schweiz zu retten. An einem Abend Ende Mai kamen in einem Sitzungszimmer des Restaurants Time am Gleisende zwanzig Interessierte zusammen, um gemeinsam mit Christoph Blocher den Text für eine Neutralitäts-Volksinitiative zu diskutieren. Die zwanzig Personen hatten sich beim SVP-Doyen und Alt-Bundesrat gemeldet, nachdem dieser seine Initiativpläne öffentlich gemacht hatte.
Seither kursierten in dem verschworenen Kreis mehrere Fassungen des Texts. Die vierte ist praktisch definitiv. «Daran ändert sich nicht mehr viel», sagt Blocher. Der letzte Entwurf geht noch für Stellungnahmen an einen Deutschschweizer und einen welschen Staatsrechtler. Sobald die ihren Segen gegeben haben, überreicht man den Text zur Vorprüfung an die Bundeskanzlei. «Das soll noch vor den Sommerferien geschehen», sagt Blocher. Im Herbst sollen dann Unterschriften gesammelt werden.
«Wir sind nun im Krieg mit Russland»
Den «Neutralitätsbruch» des Bundesrats im Ukraine-Krieg könne die Initiative nicht mehr korrigieren, sagt Blocher. «Aber wir möchten die umfassende, immerwährende, bewaffnete Neutralität langfristig in der Bundesverfassung verankern, um nicht in Kriege hineingezogen zu werden – zum Schutz gegen die Willkür von Politikern, die sie aus purem Opportunismus aufgeben wollen.» Genau das habe man ja eben erlebt.
Der verfassungsrechtlich massgebende Fachausdruck für eine Neutralität nach Blochers Vorstellung lautet «integrale Neutralität». Diese umfassende Neutralität soll nach Artikel 54 in die Bundesverfassung aufgenommen werden. In diesem Artikel ist heute unter anderem festgelegt, dass die Aussenpolitik Sache des Bundes ist, der sich für die «Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz» einsetzen soll.
Neu soll es nach Blocher in einem zusätzlichen Artikel 54a heissen, dass die Schweiz im Kriegsfall weder militärisch noch mit Sanktionen Partei ergreifen darf. Möglich bleiben soll jedoch, dass die Schweiz die Umgehung der Sanktionen anderer Länder verhindert. So wie es vor dem Ukraine-Krieg auch die Praxis der Schweiz war.
Vorbehalten bleiben Verpflichtungen gegenüber der UNO. Denn durch den Beitritt zu der Staatengemeinschaft hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, deren völkerrechtliche Strafmassnahmen zu übernehmen. «Diesen Fehler können wir leider gerade nicht mehr rückgängig machen», sagt Blocher.
Gegenwärtig ist es der Wirtschaftsboykott, der Blocher am meisten stört. Indem sich der Bundesrat den EU-Sanktionen leichtfertig angeschlossen habe, sei die Schweiz zur Kriegspartei geworden. «Wir sind nun im Krieg mit Russland!», sagt Blocher. «Und zwar mit der schlimmstmöglichen Waffe, der ‹Brotsperre›, wie sie Zwingli genannt hat.»
«Bis über die Initiative abgestimmt wird, bin ich 86 Jahre alt, und wer weiss, ob ich das bis dann noch könnte.»
Blocher zweifelt auch den Nutzen wirtschaftlicher Druckmittel an: «Noch nie in der Geschichte haben Sanktionen einen Staat zum Einlenken bewegt. Schauen sie den Irak an oder den Iran.» Blocher verweist darauf, dass Russland trotz der gegenwärtigen Sanktionen zu Höchstpreisen Öl und Gas exportiere, und erst noch in grösseren Mengen als vor dem Krieg. Die Handelsbilanz sei nach wie vor positiv, der Kurs des Rubels sei gestiegen.
Initiative ist langfristig angelegt
«Darum geht es mir aber nicht», sagt Blocher. «Unser Volksbegehren ist langfristig angelegt.» Er rechnet mit vier Jahren, bis die Initiative zur Abstimmung kommen kann. «Darum will ich nicht Präsident des Initiativkomitees werden. Bis dahin bin ich 86 Jahre alt, und wer weiss, ob ich das bis dann noch könnte.»
Das ist aber auch die einzige Personalie, die sich Blocher entlocken lässt. «Es sind Leute aus der SVP, aber auch aus der FDP, der Mitte und Parteilose an den Vorgesprächen beteiligt, Juristen und Personen aus der Wirtschaft.» Noch steht nicht fest, wer im Initiativkomitee sitzen wird: «Zu einseitig soll es nicht zusammengestellt sein.»
Blocher geht davon aus, dass die Unterschriften hauptsächlich von den Organisationen, die sich für die schweizerische Neutralität und die Unabhängigkeit einsetzen, gesammelt werden. Bereits beschlossen haben dies die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), das EU-No-Komitee von Roger Köppel und die Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt. Auch die SVP hat bereits Zustimmung signalisiert. Weitere Interessenkreise dürften dazustossen.
«Ein Albdruck fällt von diesem Land.»
Dass die Unterschriften zusammenkommen, ist für Blocher sicher. Und dass die Initiative Chancen hat, davon ist er überzeugt. Die jüngsten Umfragen würden in diese Richtung zeigen: Demnach sprechen sich fast drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer dafür aus, die Neutralität zu bewahren.
Blocher erinnert im Gespräch daran, dass die Schweiz kurz vor dem Zweiten Weltkrieg dem damaligen Völkerbund eine Sonderbehandlung abgerungen hat: dass sie trotz ihrer Mitgliedschaft an der immerwährenden Neutralität festhalten darf. An der 1.-August-Feier 1938 in Zürich soll darauf Bundesrat Rudolf Minger gesagt haben: «Ein Albdruck fällt von diesem Land.»
Dieses Gefühl der Erleichterung – das erhofft sich Christoph Blocher auch vom Erfolg seiner Initiative.
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