Podium zur Neutralität«Was Ihnen in Ihrem Reduit in Herrliberg bleibt, ist nur noch beten»
Micheline Calmy-Rey, FDP-Präsident Thierry Burkart und Sanjia Ameti von der Operation Libero stritten in Zürich mit dem SVP-Altmeister über «Blochersche Neutralitätsromantik».
Am Schluss heimste Christoph Blocher den lautesten Szenenapplaus ein: «Wenn alle Länder neutral wären, hätten wir keinen Krieg mehr.» Dabei war der SVP-Altmeister auf dem Podium im vollbesetzten Zürcher «Kaufleuten», wie ja eigentlich meistens, allein gegen alle.
Ihm gegenüber sassen seine frühere Bundesratskollegin von der SP, Micheline Calmy-Rey, Sanija Ameti von der Operation Libero und FDP-Präsident Thierry Burkart. Ausgangspunkt der Diskussion war die Reaktion des Bundesrats auf den Kriegsausbruch in der Ukraine: «Der Bundesrat hätte am ersten Tag hinstehen und sich den Sanktionen anschliessen müssen», sagte Burkart. Denn der Kriegsausbruch sei ein «Gamechanger», der eine Anpassung der Neutralitätspolitik notwendig mache.
«Zickzack-Kurs des Bundesrats»
Calmy-Rey verstand den «Zickzack-Kurs des Bundesrats» nicht: «Man hatte den Eindruck, er wolle so wenig Sanktionen wie möglich umsetzen.» Für Blocher dagegen sind Sanktionen «Kriegshandlungen»: «Die grausamste Waffe im Krieg ist die Brotsperre.» Er plädierte für eine bewaffnete, dauernde, umfassende Neutralität und einen entsprechenden Artikel in der Bundesverfassung. «Damit nicht irgendein Politiker oder Beamter sagen kann, wir beschliessen jetzt ein paar Sanktionen.
«Du willst zurück ins 18. Jahrhundert», erwiderte Calmy-Rey. Seit 1995 pflege die Schweiz die «Tradition, Sanktionen zu übernehmen». Sanija Ameti sprach von «Blocherscher Neutralitätsromantik». Sie ist mit ihren Eltern während des Jugoslawienkriegs in die Schweiz geflüchtet. «Wenn sich die Schweiz damals den Sanktionen nicht angeschlossen hätte, wäre ich heute nicht hier».
Neutralität bedeute, gemeinsam mit anderen Demokratien für liberale Werte zu handeln. «Was Ihnen in ihrem Reduit in Herrliberg bleibt, ist nur noch beten», rief Ameti Blocher zu. Der antwortete trocken: Bei der Operation Libero helfe nicht einmal beten.
Für Calmy-Rey wäre ein Schweizer Abseitsstehen bei den Sanktionen eine Parteinahme für Russland. Burkart hakte ein und warf Blocher vor, gegenüber Russland Appeasement-Politik zu betreiben, wie die Westmächte 1938 gegen Hitler. Blocher erinnerte im Gegenzug daran, dass Sanktionen in der Geschichte bisher kaum je etwas bewirkt hätten, weder in Kuba noch im Iran oder im Irak.
Calmy-Rey will mehr Geld fürs Militär
Dann kam die Runde unter der Leitung von Tamedia-Politikchefin Raphaela Birrer und Bundeshaus-Redaktor Markus Häfliger auf die Armee zu sprechen. Calmy-Rey sagte überraschend deutlich: «Wir sind nicht mehr in der Lage, uns zu verteidigen», das müsse sich ändern. «Wir brauchen mehr Geld für die Armee!»
Burkart darauf, wie aus der Pistole geschossen: «Sagen Sie das morgen Ihrer Parteileitung!» Damit hatte der FDP-Präsident die Lacher auf seiner Seite: Die SP-Co-Chefs Cedric Wermuth und Mattea Meyer stehen nach wie vor hinter dem SP-Ziel der Armeeabschaffung. Burkart dagegen setzt sich für eine Aufstockung des Militärbudgets um 2 Milliarden Franken ein.
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