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Gegen Biodiversitäts­initiative
Selbstsichere Bauern suchen den Abstimmungs­kampf

Markus Ritter, Mitte, Nationalrat Kanton St. Gallen, .freut sich ueber die Wiederwahl im Pfalzkeller anlaesslich der Eidgenoessischen Wahlen, am Sonntag, 22. Oktober 2023 in St. Gallen. Die Schweizer Buergerinnen und Buerger waehlen das Bundesparlament mit den beiden Kammern Nationalrat und Staenderat. (KEYSTONE/Christian Merz)
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Die Schweizer Bevölkerung wird im kommenden Jahr wahrscheinlich wieder über eine Agrarvorlage abstimmen: Mit der Biodiversitätsinitiative will ein Zusammenschluss von Umweltverbänden ein verstärktes Engagement für die Artenvielfalt in der Verfassung verankern.

Wie schon vor früheren Agrarinitiativen wird der Bauernverband das Nein-Lager anführen. Er wird seine Mitglieder im ganzen Land auf den entscheidenden Kampf einschwören – und hoffen, sein Image der Unbesiegbarkeit bei Abstimmungen weiter auszubauen.

Der Bauernverband wehrte in den letzten Jahren mit emotional geführten Abstimmungskämpfen Initiativen zu Pestiziden, zur Trinkwasserqualität und zur Massentierhaltung ab und mobilisierte seine Klientel teilweise auf beeindruckende Weise.

Das hat den Verband weit getragen. So weit, dass vor anderthalb Jahren selbst die grossen Wirtschaftsverbände um den Dachverband Economiesuisse eine Allianz unter dem Namen «Perspektive Schweiz» mit den Bauern eingehen wollten.

Die Verbände wollen sich seitdem im Parlament sowie bei Abstimmungen und Wahlen zur Seite stehen. Formell handelt es sich um einen Zusammenschluss unter Gleichen – in der Praxis geben die Bauern den Ton an. (Lesen Sie hier unsere Berichterstattung zur Wahlkampagne von «Perspektive Schweiz».)

Sie wollen irgendetwas ins Ziel retten

Das jüngste Beispiel der Biodiversitätsinitiative ist vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass weite Teile des Politbetriebs grosse Anstrengungen unternommen haben, den Bauern entgegenzukommen und so eine Volksabstimmung zu verhindern.

Mitte 2020 eingereicht, stellt die Initiative einerseits die schwammig gehaltene Forderung nach «Flächen, Mitteln und Instrumenten» für die Biodiversität auf. Daneben fordert sie konkreter, dass unter anderem «Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahrt werden» oder eine stärkere Zentralisierung der Kompetenzen beim Bund.

Weil er das für inakzeptabel, die Chancen der Initiative aber für intakt hielt, arbeitete der Bundesrat darauf einen Gegenvorschlag aus. Der Nationalrat akzeptierte diesen noch, doch wollte der Ständerat im vergangenen Juni nicht einmal darüber diskutieren.

Aepfel gedeihen auf einem Feld, am Donnerstag 21. August 2008 in Winterswil bei Schuepfen. Der Kanton Bern praesentiert das Programm " Staerkung der Biodiversitaet". Die Volkswitschaftsdirektion des Kantons Bern erarbeitete ein Aktionsprogramm um die Tier - und Pflanzenartenvielfalt zu erhalten. (KEYSTONE/ Peter Schneider)

Um doch noch etwas Zählbares ins Ziel zu retten, liess die zuständige Nationalratskommission eine nochmals deutlich abgeschwächte Version ausarbeiten. Sie kommt den Bauern in verschiedenen Punkten entgegen: Statt mehr Flächen für die Förderung der Biodiversität zu bestimmen, sollen die bereits bestehenden Flächen nun zum Beispiel bloss besser miteinander vernetzt und qualitativ aufgewertet werden. Zudem sollen Städte und Agglomerationen stärker in die Pflicht genommen werden.

«Wenn ich jetzt nicht zustimmen würde, wäre ich unglaubwürdig.»

Jakob Stark, Thurgauer SVP-Ständerat

Die Verbände hinter der Initiative haben angekündigt, diese zugunsten eines solchen Gegenvorschlags zurückzuziehen, sollte dieser Erfolg haben. Am Donnerstagmorgen entscheidet der Ständerat, ob er zumindest über diese abgeschwächte Version debattieren will. Entscheidet er sich dagegen, kommt die Initiative spätestens im September 2024 ohne Gegenvorschlag an die Urne.

Entscheidet sich der Ständerat dafür, beginnt aufgrund gesetzlicher Fristen ein Wettlauf gegen die Zeit: Noch in der Wintersession, die vor Weihnachten endet, müssten sich beide Räte auf eine Version geeinigt haben. Das erscheint angesichts der Neubestellung der Kommissionen, der Bundesratswahl und umfangreicher Geschäfte wie der Debatte über das Budget sehr ambitioniert, wenn nicht unmöglich.

Für den Präsidenten des Bauernverbands und Mitte-Nationalrat Markus Ritter bestehen neben diesem formalen noch weitere Gründe, um gar nicht erst auf den abgeschwächten Gegenvorschlag einzutreten: Unter anderem koste dieser den Bund 96 Millionen Franken – «dabei versuchen wir gerade überall, Geld einzusparen». (Lesen Sie hier unsere Berichterstattung zur Budgetdebatte.)

Economiesuisse neu auf Linie mit den Bauern

Mit dem Thurgauer Ständerat Jakob Stark macht sich dagegen ausgerechnet ein ansonsten bauernnaher SVP-Vertreter für den abgeschwächten Gegenvorschlag stark. «Wir haben den ersten Vorschlag des Nationalrats in zahlreichen Punkten kritisiert», sagt er. «Der neue Vorschlag ist in fast allen kritisierten Bereichen zufriedenstellend. Wenn ich jetzt nicht zustimmen würde, wäre ich unglaubwürdig.»

Die meisten Involvierten gehen allerdings davon aus, dass Stark zusammen mit der Linken unterliegen wird. Ein Grund dafür ist laut Beteiligten, dass verschiedene bürgerliche Ständeräte im Rahmen der Wirtschaftsallianz mit den Bauern stimmten. Bauernchef Ritter bestätigt im Gespräch, dass die gegenseitige Unterstützung auch hier ein wichtiges Thema sei.

Auffällig ist, dass Economiesuisse im letzten Jahr die Meinung zur Vorlage geändert hat. Ursprünglich gegenüber einem Gegenvorschlag positiv eingestellt, lehnt der Verband die abgeschwächte Version nun ab: Es sei zu unklar, welche Auswirkungen diese vor allem für die Energiewende habe.

Noch ist unklar, in welcher Form die Wirtschaftsallianz in Zukunft zusammenarbeiten wird. Die Wahlen, vor denen die Verbände je 550’000 Franken in eine gemeinsame Kampagne gesteckt haben, haben unter ihnen Gewinner und Verlierer zurückgelassen: Während sich der Bauern- und der Gewerbeverband zufrieden zeigten, lecken Economiesuisse und Arbeitgeberverband aufgrund ihrer Nähe zur FDP noch die Wunden. Noch vor Weihnachten werden die Verbände darüber befinden, ob sich die Zusammenarbeit vor den Wahlen gelohnt hat und ob sie sie weiterführen wollen.