Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Millionenteure Kampagne
Mit Geld und Bauerntricks will die Wirtschaft die Wahl gewinnen

Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse müssen sie sich ein wenig vorkommen wie Schulbuben und -mädchen. Jahrzehntelang war der Verband, beziehungsweise seine Vorgängerorganisationen, das Sprachrohr der grossen Firmen im Land, bis in den Bundesrat, bis in die hintersten Alpentäler. Ausgemacht war: Was gut für Nestlé, die Grossbanken oder die Pharma ist, ist gut für die Schweiz.

Jetzt aber führt ein gelernter Bauer aus Amlikon-Bissegg im Mittelthurgau den Wahlkampf der geeinten Schweizer Wirtschaft. Er heisst Urs Schneider, ist 64 Jahre alt und seit 23 Jahren Kampagnenchef des Bauernverbands mit Sitz in Brugg AG.

Markus ritter SBV

Die Kampagne heisst «Perspektive Schweiz» und fordert die Bevölkerung auf, «wirtschafts- oder landwirtschaftsfreundlich» zu wählen. Total kostet sie 2,2 Millionen Franken, je 550’000 Franken haben Economiesuisse, der Gewerbe-, der Arbeitgeber- und der Bauernverband bezahlt. Das haben sie vergangene Woche aufgrund des neu eingeführten Gesetzes zur Transparenz in der Politikfinanzierung bekanntgeben müssen.

Wirtschaft hat viel Kredit verloren

Es ist das erste Mal, dass sich die Verbände für eine grössere Kampagne zusammengeschlossen haben. Dass das überhaupt geschehen konnte, und dass ausgerechnet Schneider und der Bauernverband zu dieser Position der Stärke gekommen sind, ist bemerkenswert.

Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Wirtschaft – oder zumindest die grossen Firmen – bei der Bevölkerung viel Kredit verloren hat. Mit ausländischen Topmanagern, die fünf Jahre bleiben und wieder abreisen. Mit Gehältern und Boni, die so hoch sein sollen wie in den USA. Und einer Kaskade von versuchten Steuersenkungen, die die Stimmbevölkerung zumindest auf nationaler Ebene wiederholt abgelehnt hat.

«Wir haben bewusst keine Partei genannt oder ausgeschlossen.»

Urs Schneider, Kampagnenleiter von «Perspektive Schweiz»

Musste sich die Wirtschaft deshalb Hilfe bei den Bauern holen? «Nein, so war es sicher nicht», sagt Josef Marty, der bei Economiesuisse die Kampagnenarbeit verantwortet. «Der Bauernverband lädt zu den Sitzungen ein. Es ist aber eine von allen vier Verbänden gemeinsam geführte Kampagne. In den relevanten Gremien sitzen stets Vertreter aller beteiligten Verbände, die über die Kampagnenaktivitäten entscheiden. Das läuft alles auf Augenhöhe.»

Man habe sich für eine gemeinsame Kampagne entschieden, sagt Marty, weil Wirtschaftsthemen in den letzten Jahren für den Wahlentscheid der Schweizerinnen und Schweizer eine immer geringere Bedeutung gehabt hätten: «Darunter leiden wir alle, das müssen wir gemeinsam ändern.»

Eine Auswertung von repräsentativen Nachwahlbefragungen durch diese Redaktion bestätigt dies in groben Zügen: Gefragt, welches Thema ihnen beim Wahlentscheid am wichtigsten ist, nannte 1995 noch die Hälfte der Befragten ein Thema, das direkt mit der Wirtschaft zu tun hatte. Dieser Wert nimmt seither in der Tendenz ab. Nach wirtschaftlich schwierigen Phasen stieg er kurzzeitig wieder an. 2019 lag er bei 25 Prozent.

Der Trend ist für bürgerliche Parteien ein Problem: Denn Personen, die wirtschaftliche Themen für wichtiger halten, wählen generell eher bürgerlich.

Offiziell will «Perspektive Schweiz» keine Parteien zur Wahl empfehlen. «Wir haben in der Kampagne bewusst keine Partei genannt oder ausgeschlossen», sagt Urs Schneider: «Aus meiner Sicht kann auch jemand aus der SP oder von den Grünen wirtschafts- oder landwirtschaftsfreundlich sein.» Es gehe einzig darum, die Wirtschaft beim Wahlentscheid in den Fokus zu rücken.

«Da müssen wir dagegen halten»

Schneiders Chef, Bauernverbands-Präsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter, sieht das etwas enger. Die Kampagne empfehle nicht, SP und Grüne zu wählen. Auch die Grünliberalen will Ritter nicht unterstützen. «Diese sind in dieser Legislatur deutlich nach links gerückt.»

Das zeigt: Die Wirtschaftsallianz ist als Abwehrkampf zu verstehen. Sein Erweckungserlebnis hatte der Bauernverband nach eigenen Angaben im Frühjahr 2021: Im emotionalen Kampf gegen die Agrarinitiativen «haben wir gesehen, wie gut die linken NGOs organisiert waren», sagt Schneider.

Mit einem Grosseinsatz gelang es den Bauern, die Landbevölkerung in Scharen an die Urne zu bringen und die Abstimmungen zu gewinnen. «Damals merkten wir: Da müssen wir dagegenhalten», sagt Schneider. «Das nächste Mal dürfen wir nicht alleine kämpfen.»

Urs Schneider, stv. Direktor Schweizer Bauernverband, spricht am Medienanlass "Ja zur Ernaehrungssicherheit - Ja zu Arbeitsplaetzen im laendlichen Raum" am Dienstag, 5. September 2017, in Oberkirch. (KEYSTONE/Alexandra Wey)

Bei Economiesuisse, Gewerbe- und Arbeitgeberverband sei man mit dem Vorschlag einer engeren Zusammenarbeit offene Türen eingerannt. Diese hatten wenige Monate zuvor die Konzernverantwortungsinitiative, die einschneidende Folgen gehabt hätte, nur dank des Ständemehrs gewonnen.

Hier die etablierte Wirtschaft, die nur haarscharf einen Abstimmungskampf gewonnen hat, über den sie vor wenigen Jahren noch gelacht hätte. Da die Bauern, die plötzlich als gewiefte Wahlkämpfer dastanden, mit riesiger Mobilisierungsmacht und dem Ohr ganz nah am Volk. Schneider erinnert sich: «Die anderen sagten uns: Wir verlieren immer, ihr gewinnt immer.»

Es scheint nur konsequent, dass die Bauern die Führung der neuen Allianz übernommen haben. «Economiesuisse und die Wirtschaft machen auch gute Kampagnen», sagt Schneider. «Aber ihnen fehlen die Bodentruppen, die die Menschen an der Front überzeugen, zum Beispiel mittels Standaktionen. Und es fehlen ihnen die Leute, die den Pfahl einschlagen. Ich will nicht bluffen, aber ich habe schon so viele Kampagnen gemacht. Ich weiss, wie man vorausgehen muss.»

Der erste Test war erfolgreich

Also geht Schneider voraus. Der erste Testballon stieg anlässlich des Abstimmungstermins im September 2022: Die AHV-Reform und die Verrechnungssteuerreform waren der Wirtschaft besonders wichtig, die Ablehnung der Massentierhaltungsinitiative den Bauern. Im gemeinsamen Wahlkampf baten die Verbände ihre Wähler, jeweils auch bei den anderen Vorlagen im Sinne der Allianz zu stimmen.

Die Massentierhaltungsinitiative fiel durch. Die Verrechnungssteuerreform scheiterte ebenfalls, aber überraschend knapp, was Schneider als Erfolg sieht. Vor allem aber hebt er hervor, nach zwei Jahrzehnten Stillstand die Blockademacht der Linken bei der Altersvorsorge gebrochen zu haben: «Ohne die Unterstützung von uns Bauern und dem Stimmvolk auf dem Land wäre diese niemals durchgekommen.»

Und jetzt also: eine Wahlkampagne. Schneider zieht sie durch, wie er auch seine anderen erfolgreichen Kampagnen durchgezogen hat. Phase 1: Information und wissenschaftliches Testen von Slogans an Versuchspersonen. Phase 2: Narrativ verankern, zum Beispiel mit Plakaten an Bahnhöfen. Phase 3: Mobilisierung.

«Wir spielen die Werbung in den sozialen Medien nicht in den grossen Städten aus.»

Urs Schneider, Kampagnenchef «Perspektive Schweiz»

Bloss: Kann das mit dem Allerweltsnamen «Perspektive Schweiz» so gut funktionieren wie im Abwehrkampf gegen eine emotionale Sachfrage? Schneiders Glück oder Unglück ist, dass dies nach der Wahl niemand messen kann. Und dass der bürgerliche Block aufgrund der politischen Grosswetterlage ziemlich sicher zulegen wird.

Schneider sagt, er sei zufrieden mit der Sichtbarkeit der Kampagne. Zweifel an der Mobilisierungskraft sind aber angebracht. «Perspektive Schweiz» hat Fahnen drucken lassen, die Unterstützer aus den Fenstern hängen oder an einer Scheune anbringen können. Genau, wie es der Bauernverband vor den Agrar- und der Massentierhaltungsinitiative tat – und wie es die NGO vor der Konzernverantwortungsinitiative taten. Doch Schneider muss zugeben, dass das Interesse vielerorts vergleichsweise gering ausfällt.

«‹Perspektive Schweiz› ist künstlich»

«Das liegt daran, dass dieser Kampagne der Resonanzboden fehlt», urteilt Politanalyst Mark Balsiger. «Den Bauernverband oder den Gewerbeverband kennen die Menschen und haben eine Meinung dazu, ‹Perspektive Schweiz› hingegen ist bislang künstlich.»

Auf Instagram folgen dem Profil von «Perspektive Schweiz» 139 Personen. Dabei sind die sozialen Medien ein zentraler Pfeiler der Kampagne. Das mache nichts, sagt Schneider. Man setze auf bezahlte Werbung und habe damit schon Hunderttausende Menschen erreicht: «Allerdings spielen wir sie nicht in den grossen Städten aus. Die sind so links und grün, da haben wir sowieso nur beschränkte Chancen.» Das hätten die Bauern in den letzten Jahren immer so gehandhabt.