Digitalisierung im GesundheitswesenDas Publikum lacht über Bersets Witz, aber die Pointe ist verfehlt
Die Analyse einer flapsigen Bemerkung von Bundesrat Alain Berset zeigt, wo es bei der Digitalisierung hakt.

Bundesrat Alain Berset wollte einen Scherz machen, er verfehlte aber das Thema: Es gebe über acht verschiedene digitale Codes, mit denen das weibliche Geschlecht erfasst werde, sagte er auf dem Forum des Life Sciences Cluster in Basel vergangene Woche. Er könne das einfacher.
Die 330 Leute im Publikum lachten zwar über Bersets Selbstironie. Sie führt aber in die Irre. Denn die Pointe müsste eine andere sein.
«Unser Problem ist, dass viele Ärzte gar keine Codes verwenden.»
Es geht nicht darum, die Codes für männlich oder weiblich zu vereinheitlichen, um das Schweizer Gesundheitswesen digital voranzubringen. «Unser Problem ist, dass viele Ärzte gar keine Codes verwenden», sagt Katrin Crameri. Sie arbeitet an diesem Thema beim Swiss Personalized Health Network, ein unter Bersets Ägide schon 2017 ins Leben gerufenes staatliches Projekt.
Wenn die Angaben «männlich» oder «weiblich» irgendwo in einem Krankenbericht auftauchen, kann keine Datenerfassung damit etwas anfangen. Unterschiedliche Codes dagegen lassen sich durch Software relativ einfach übersetzen.
Das Hauptproblem der Schweiz bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens liegt laut Crameri bei den althergebrachten Berichten von Ärztinnen und Ärzten. Sie tippen zwar in den Computer ein, was ihnen eine Patientin oder ein Patient erzählt und wie hoch der Blutdruck ist, den sie bei der Person messen. Aber in keiner standardisierten Form. «Gesundheitsfachpersonen brauchen klare Vorgaben, wo und wie sie ihren Befund eintragen.»
Es geht aber um viel mehr als diese digitale Akte. Es geht auch um die sogenannte Zweitnutzung durch Forschung an Universitäten und von Pharmafirmen.
Es geht um standardisierte Daten. Sie sind die Voraussetzung, um sie nutzen zu können. Dabei muss auch festgelegt werden, welche Kerndaten von allen Patientinnen und Patienten erfasst werden sollen. Zweck der Datennutzung soll in erster Linie die möglichst effiziente und effektive Behandlung eines Erkrankten sein.
Meist steht bei der öffentlichen Diskussion um die Digitalisierung des Gesundheitswesens jedoch der Zugriff von Patienten und Patientinnen auf ihre Krankenakte im Vordergrund. Stichwort ist das elektronische Patientendossier. Es geht aber um viel mehr als diese digitale Akte. Es geht auch um die sogenannte Zweitnutzung durch Forschung an Universitäten und von Pharmafirmen. Oder auch um die Nutzung durch die Spitäler selbst, damit sie etwa wissen, wie viele Patienten mit Viruserkrankungen gerade bei ihnen behandelt werden.
Das Schweizer Parlament ist daran, ein Gesetz zur Zweitnutzung auszuarbeiten. Der frühere Roche-Chef Severin Schwan hat hier unter anderem Druck gemacht und gedroht, die Forschung von Roche aus der Schweiz abzuziehen, wenn sie keine anonymisierten Gesundheitsdaten nutzen könne.
Das hat wohl gewirkt. Das Parlament will nun festlegen, wer unter welchen Kriterien Zugang zu den Gesundheitsdaten haben darf. Der Datenschutz ist gewährleistet, denn es handelt sich nicht um individuelle, sondern um Massendaten.
Ein Gesetz ist jedoch nur sinnvoll, wenn es überhaupt standardisierte Daten gibt, die für die Behandlung, Abrechnung, Forschung und Verwaltung nahtlos ausgetauscht werden können. Darum gibt es schon jetzt dafür Projekte. Das wichtigste heisst Digisanté und der Bundesrat hat den Verpflichtungskredit hierfür heute beschlossen.
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