Gastkommentar zum GesundheitswesenNeue EDI-Leitung, neue Chancen für ein digitalisiertes Gesundheitswesen
Der Wechsel beim Eidgenössischen Departement des Innern bietet die Gelegenheit, die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu reflektieren und zu gestalten. Die Solidarität muss neu gedacht werden.
In den letzten zehn Jahren hat sich in Bezug auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu wenig getan. Selbst Bundesrat Berset räumt diese Versäumnisse als Form der Selbstkritik ein. Nun plant Bersets Departement kurz vor seinem Abgang eine 3,6 Millionen Franken schwere Überzeugungskampagne für das elektronische Patientendossier. Beim Gesundheitspersonal hat diese bereits begonnen, die breite Bevölkerung soll im kommenden Jahr angesprochen werden.
Doch dieser späte erste Schritt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser Ära der wachsenden Bedeutung von Daten für die Medizin grundsätzlichere Fragen zu beantworten sind: Welche Chancen und Risiken birgt die Digitalisierung für das solidarische Gesundheitssystem? Und wer übernimmt Verantwortung im Zeitalter der Digitalisierung? Diese beiden zentralen Fragen stellen eine Herausforderung dar, der sich der künftige Leiter des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) stellen muss.
Die Stiftung Sanitas Krankenversicherung hat in diesem Kontext den Dialog mit Fachleuten, Akteuren im Gesundheitswesen und der Bevölkerung gesucht. Eine repräsentative Umfrage der Forschungsstelle Sotomo mit rund 2000 Teilnehmern bestätigte wichtige Aussagen dazu. Die Bevölkerungsumfrage zeigt, dass sich die Befragten mehrheitlich eine stärkere digitale Speicherung und Verwaltung von Gesundheitsdaten wünschen.
Das Teilen von Gesundheitsdaten ist ein Akt der Solidarität.
Zudem wird deutlich, dass bei einem erkennbaren Nutzen für die Allgemeinheit die Bereitschaft zum Teilen von Gesundheitsdaten steigt. In Übereinstimmung mit diesen Erkenntnissen wird in einer zweiten, qualitativen Studie deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Daten selbst verwalten und weitergeben möchten. Die Verantwortung für rechtliche Rahmenbedingungen soll beim Staat liegen, während die Datensicherheit eher von privaten Akteuren erwartet wird.
Die Ergebnisse beider Studien betonen die anhaltende Bedeutung der Solidarität im Gesundheitssystem, die als grundlegender Pfeiler für künftige Entwicklungen gesehen wird. Solidarität im digitalen Gesundheitswesen umfasst mehrere Dimensionen, darunter finanzielle, Verhaltens-, Datensolidarität und Monitoringsolidarität. Während die finanzielle Solidarität allgemein bekannt ist, sind die Konzepte der Datensolidarität und der Monitoringsolidarität weniger vertraut. Dass Datenmessung und -teilung ebenfalls Solidaritätsaspekte beinhalten, ist noch wenig kommuniziert.
Diese neuen Formen der Solidarität könnten einen erheblichen Beitrag zur Stärkung des Gesundheitssystems leisten, indem sie das Teilen von Gesundheitsdaten für gemeinsame Ziele (etwa medizinische Forschung oder Entwicklung neuer Therapien) fördern. Im digitalen Zeitalter tragen geteilte Daten zu geteiltem Wissen bei. Es ist von entscheidender Bedeutung, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass das Teilen von Gesundheitsdaten ein Akt der Solidarität ist und sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich von Nutzen sein kann.
Ein transparenter Rahmen und klare Regeln sind notwendig, um das Vertrauen in das Datenteilen zu stärken.
Dieses erweiterte Solidaritätsnarrativ muss jetzt entschieden in die Digitalisierungsdebatte eingebracht werden, denn wir stehen an einem Wendepunkt, an dem ein neuer Diskurs über Solidarität notwendig ist, wenn wir mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen wirklich vorwärtskommen wollen. Alle Akteure sind gefordert, einen gesellschaftlichen Rahmen zu schaffen, in dem diese neuen Formen von Solidarität gedeihen können.
Die beiden Studien zeigen, dass eine datengetriebene Gesundheitszukunft realisierbar ist, wenn diese innovativen Solidaritätsnarrative entwickelt werden und die Bürgerinnen und Bürger aktiv in den Diskurs über die Zukunft des Gesundheitssystems einbezogen werden. Ein transparenter Rahmen und klare Regeln sind dabei notwendig, um das Vertrauen in das Datenteilen zu stärken.
Es stünde der neuen Führung des EDI gut an, diese Agenda für Solidarität und Innovation in einem digitalisierten Gesundheitswesen zu entwickeln und bei der Umsetzung eine tragende Rolle zu spielen und wichtige Impulse zu geben. Solidarität und Innovation können Hand in Hand gehen. Neben praktischen Verbesserungen, die beispielsweise den Nutzen des elektronischen Patientendossiers klar erhöhen, gehört dazu, übergeordnet, auch ein neuer Solidaritätsdiskurs.
Felix Gutzwiller ist ehemaliger National- und Ständerat und Präsident der Stiftung Sanitas Krankenversicherung, welche innovative Präventionsprojekte unterstützt und Diskussionsbeiträge zu Digitalisierung und Solidarität in der Gesellschaft leistet.
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