Politischer IslamBibel- oder Koranverbrennungen müssen wir aushalten
Wer ein religiöses Buch zerstört, riskiert Strafe oder sein Leben. Doch eine liberale Gesellschaft sollte solche Aktionen tolerieren – und schützen.
Es war ein kaltblütiger und wohl von langer Hand geplanter Mord. Am 29. Januar wurde Salwan Momika in seinem schwedischen Asyl ermordet. Die Täter drangen in die Wohnung des Exilirakers ein, während er auf Tiktok auf Sendung war. Er war Zielscheibe einer kleinen, radikalisierten und gewalttätigen muslimischen Minderheit geworden, die nicht mit Religionskritik umgehen kann, erst recht nicht, wenn sie ungehobelt daherkommt. Momika hatte mehrfach Koranexemplare öffentlich verbrannt, um gegen dessen Verlautbarungen, insbesondere aber gegen den politischen Islam zu protestieren.
Den meisten von uns – namentlich im deutschsprachigen Raum – wird bei Bücherverbrennungen aus gutem Grund unwohl. Ich persönlich fand die Ausdrucksform der iranisch-dänischen Aktionskünstlerin Firoozeh Bazrafkan gelungener, die 2023 vor der iranischen Botschaft in Kopenhagen einen Koran mit einer Käseraffel langsam zerrieb, um gegen die Bigotterie des iranischen Regimes zu protestieren, das Achtung des Korans einfordert, während es Frauenrechte beständig aufs Gröbste verletzt.
Doch auch bei ihrer Aktion wurde gefragt: «Muss das sein?» Natürlich sollen Debatten über künstlerische Stilmittel geführt werden. Aber stellen wir dieselbe Frage auch, wenn jemand aus Protest die Bundesverfassung verbrennt? Oder ein Parteiprogramm, das ebenso wie eine religiöse Schrift Kernwerte einer Weltanschauung enthält?
Die Koranausgaben, die Momika und Bazrafkan für ihre Aktionen nutzten, dürften zudem genauso in Billiglohnländern hergestellte Massenware gewesen sein wie die Exemplare, welche vor einigen Jahren von missionarischen «Lies!»-Aktivisten an Bahnhöfen feilgeboten wurden. Und wie es auch die Gideon-Bibeln sind, die ebenso ungefragt in Hotelzimmer gelegt und vor Schulhäusern verteilt werden, oder die Dänemarkflaggen, die 2006 bei den Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen zu Hunderten verbrannt wurden.
Begrenzung der Kunst- und Meinungsfreiheit
All diesen Gegenständen aus Serienproduktion haftet per se nichts Metaphysisches an. Erst diejenigen, die sie in die Hand nehmen, verleihen ihnen allenfalls eine besondere Bedeutung, sei es eine heilige, sei es als Projektionsfläche, um Unmut zu bekunden.
Ein liberaler Rechtsstaat sollte solche Alltagsgegenstände entsprechend nüchtern betrachten. Dänemark, das 2017 sein Blasphemieverbot abgeschafft hatte, ging letztes Jahr leider den falschen Weg. Trotz Protesten von Künstlerverbänden und Jungparteien führte es ein Gesetz ein, das die «unsachgemässe Behandlung von Schriften mit erheblicher religiöser Bedeutung» unter Strafe stellt. Faktisch führt dies zu einer Immunisierung von Ideen gegen Kritik, eine fatale Form der Begrenzung der Kunst- und der Meinungsäusserungsfreiheit.
Doch die Möglichkeit, Weltanschauungen und deren Verlautbarungen auch in Kunstform zu kritisieren, ist ein unabdingbares Element nicht nur einer liberalen Gesellschaft, sondern auch einer funktionierenden Demokratie. Wir tun also gut daran, auf ein Blasphemieverbot, wie es auch die Schweiz kennt, zu verzichten. Nicht nur, damit nicht ein lärmender Mob die Deutungshoheit darüber erhält, was zu tolerieren ist. Sondern auch, weil ein solcher Schritt Religionsgemeinschaften vom Verdacht entlastet, sie und ihre Mitglieder seien grundsätzlich kritikunfähig und potenziell gewalttätig.
Andreas Kyriacou war von 2013 bis 2024 Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz.
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