Vertrag mit lettischer Air BalticBund und Kanton sind dagegen: Billig-Crews fliegen trotzdem für Swiss
Seit zwei Jahren mietet die Airline Flugzeuge und Personal aus Osteuropa. Seither tobt hinter den Kulissen ein Rechtsstreit.
- Die Swiss erzielte 2023 einen Rekordgewinn von 718 Millionen Franken.
- Air Baltic vermietet Flugzeuge und Crews an die Swiss im Wetlease.
- Behörden prüfen Lohndumpingvorwürfe gegen Air Baltic in der Schweiz.
- Die Swiss plant trotz Rechtsverfahren weiter mit Flugzeugen von Air Baltic.
Die Swiss ist wieder eine Geldmaschine: 2023 hat die Schweizer Fluggesellschaft im Besitz des deutschen Lufthansa-Konzerns mit 718 Millionen Franken den höchsten Gewinn ihrer gut 20-jährigen Geschichte erzielt. Am Dienstag hat sie für die ersten neun Monate dieses Jahres einen Gewinn von 505 Millionen Franken vermeldet. Die Verluste der Pandemiejahre hat sie damit längst wettgemacht.
Doch hat das Unternehmen die Gewinne auf Kosten osteuropäischer Billig-Crews eingeflogen? Und ging da alles mit rechten Dingen zu? Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit über zwei Jahren die Behörden. Noch immer ist der Ausgang unklar.
Im Zentrum des Falls steht die lettische Gesellschaft Air Baltic. Seit zwei Jahren vermietet sie ihre Flugzeuge und Crews, also Piloten und Kabinenpersonal, an die Swiss. Wetlease nennt man das in der Fliegerei: Air Baltic übernimmt für die Swiss Flüge von und nach Zürich und bleibt – das ist entscheidend – Arbeitgeberin des Personals. Die Arbeitseinsätze der lettischen Crews dauern jeweils ein paar Tage und beinhalten Übernachtungen in Zürich, aber auch an anderen Zielorten der Swiss.
Air Baltic springt auch wegen Triebwerksproblemen ein
Für viele Passagiere ist all das ein Ärgernis: Sie buchen bei der Swiss, fliegen dann aber in einer grün-weissen Air-Baltic-Maschine. Meist sind die Crews keiner Schweizer Landessprache mächtig. Zur Wahrheit gehört aber auch: Solche Wetlease-Flüge führt die Swiss schon seit vielen Jahren mithilfe von Helvetic Airways durch, der Gesellschaft des Schwyzer Milliardärs Martin Ebner. Dort sprechen allerdings viele Angestellte Deutsch, und auf dem Heck prangt wie bei der Swiss ein Schweizer Kreuz.
Die Wetlease-Partnerschaften betreibt die Swiss laut eigener Aussage, um «flexibel saisonale Schwankungen oder Produktionsengpässe abzudecken und unseren Fluggästen ein zuverlässiges Flugprogramm anzubieten». Sie wehrt sich damit gegen Vorwürfe des Lohndumpings in Medien oder durch Gewerkschaften. Der Einsatz von Air Baltic sei «kein strategischer Entscheid für eine Verlagerung der Produktion [...] oder zwecks Kostensenkung [...]», schreibt eine Sprecherin. «Die Swiss würde diese Flüge grundsätzlich lieber selbst durchführen.» Doch gelingt ihr das aufgrund verschiedener Umstände nicht – aktuell sind es Triebwerksprobleme in der eigenen Flotte.
Trotz dieser Beteuerungen sind die Löhne der grosse Streitpunkt. Air Baltic zahlt ihren Kabinenangestellten ein Grundsalär von umgerechnet rund 1500 Franken brutto. Bei der Swiss liegt der Einstiegslohn bei knapp 4000 Franken. Ein Co-Pilot bei der Air Baltic erhält im ersten Dienstjahr gut 4000 Franken. Bei der Swiss sind es über 7000.
Kanton Zürich zu Beginn mit noch härterer Einschätzung
Wenn eine ausländische Baufirma in der Schweiz einen Auftrag hat, muss sie sicherstellen, dass ihre Arbeiter dafür den gleichen Lohn erhalten, wie wenn sie in der Schweiz angestellt wären. Es handelt sich dabei nämlich um eine sogenannte Entsendung. Das Gesetz dazu ist Teil der flankierenden Massnahmen, mit denen die Schweiz ihren Arbeitsmarkt gegen Lohndumping schützt und die im Kontext der Personenfreizügigkeit mit der EU eingeführt wurden.
Diese Gleichbehandlung ist beim Wetlease von Air Baltic nicht gegeben. Nachdem die Swiss im August 2022 den Wetlease von bis zu sechs Flugzeugen von Air Baltic angekündigt hatte, wandten sich die Schweizer Kabinengewerkschaft Kapers und ihr lettisches Pendant an die Schweizer Behörden.
Damit begann ein juristisches Hickhack: Zuerst beurteilte das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, dessen oberste Chefin Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) ist, den Vorgang sogar als verbotenen Personalverleih. Das hätte den Vorgang auf einen Schlag beenden können. Der Kanton Zürich ist zuständig, weil die Swiss ihren Sitz in Kloten hat.
Der Bund, konkret das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), korrigierte diesen Entscheid im Frühjahr 2023: Es handle sich um eine Entsendung. Diese ist grundsätzlich erlaubt, doch sind die entsprechenden Regeln einzuhalten. Neben dem Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» gehört dazu eine Anmeldung der Tätigkeit beziehungsweise eine Bewilligung durch die Behörden, wenn die Tätigkeit länger dauert als 90 Tage. Im Herbst 2023 beauftragte das Seco den Kanton Zürich mit dem Vollzug seiner Einschätzung. Zuerst berichtete vor einem Jahr der «SonntagsBlick» darüber.
Was seitdem passiert ist, ist nicht im Detail bekannt. Sie könne «aufgrund des laufenden Rechtsmittelverfahrens keine Auskunft erteilen», antwortete die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion auf wiederholte Anfragen in den letzten Monaten jeweils. «Grundsätzlich handelt es sich um Abklärungen im internationalen Kontext. Diese sind zeitaufwendig. Ausserdem muss den beteiligten Parteien das rechtliche Gehör gewährt werden, und es stehen entsprechende Rechtsmittel zur Verfügung.» Von Air Baltic, offiziell die Gegenpartei des Verfahrens, ist wenig zu erfahren. Sie sei der Meinung, sich ans Arbeitsrecht zu halten, schreibt sie einzig.
Angesichts der wenigen zur Verfügung stehenden Informationen ist folgendes Szenario wahrscheinlich: Die Zürcher Behörden wollten vergangenen Herbst die Schritte einleiten, die bei einer Beurteilung als Entsendung anstehen. Dabei würde sie einen Auftrag an die tripartite Kommission erteilen, einen landesüblichen Lohn für die betroffenen Tätigkeiten festzusetzen. Air Baltic wäre dann verpflichtet, diesen ab dann zu zahlen. Die tripartite Kommission setzt sich aus Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Kanton zusammen.
Realistisch wäre laut Fachpersonen auch eine rückwirkende Anwendung dieser Lohnvorgaben, sodass Air Baltic ihren Angestellten Lohn nachzahlen müsste. Das dürfte in die Millionen Franken gehen. Zudem wäre eine Busse wegen Verstosses gegen das Entsendegesetz denkbar. Die Dauer des Verfahrens und die Stellungnahmen deuten darauf hin, dass Air Baltic sich gegen die Beurteilung bei der Rekursinstanz des Kantons wehrt. Möglich wäre danach auch ein Weiterzug des Falls ans Zürcher Verwaltungsgericht oder gar bis ans Bundesgericht.
Air Baltic braucht das Geld
Die Swiss betont, nicht Teil des Verfahrens zu sein. Sie habe «keine arbeitsrechtlichen Berührungspunkte zu den Mitarbeitenden von Air Baltic», schreibt sie in ihrer Stellungnahme wiederholt. «Dies ist Sache von Air Baltic.» Ob eine entsprechende Entscheidung der Behörden oder eines Gerichts finanziell auf die Swiss zurückfallen könnte, geben die Unternehmen nicht bekannt.
Die Swiss schreibt weiter, sie berate Air Baltic nicht in Rechtsfragen. Doch ist klar: Die Swiss setzt sich aktiv für ihre lettische Partnerin ein. Laut einer Medienmitteilung des Kantons Zürich hat sich die Schweizer Airline vergangenes Jahr an einem runden Tisch gegen die Einschätzung des Seco, dass es sich in diesem Fall um eine Entsendung handelt, gewehrt. «Soweit wir die Organisation von Air Baltic sehen, starten die Einsätze der Mitarbeitenden von Air Baltic in Riga und enden auch da», begründet die Swiss ihre Sichtweise. Das Seco will nicht öffentlich begründen, wie es zur gegenteiligen Sichtweise gekommen ist.
Wie lange sich das Verfahren noch hinziehen könnte, ist von aussen schwer zu beurteilen. Für den nächsten Sommer zumindest plant die Swiss weiterhin mit sechs Flugzeugen von Air Baltic. Zudem hat die Swiss-Mutter Lufthansa im September ihre Wetlease-Partnerschaft mit den Letten bis 2028 verlängert. Es ist davon auszugehen, dass die Swiss ebenfalls darauf zurückgreifen könnte. Im Oktober gab die Swiss weiter eine Verlängerung des Vertrags mit Helvetic um fünf Jahre bekannt.
Das alles läuft dem Ziel zuwider, das Swiss-Operationenchef Oliver Buchhofer im März im Interview mit dieser Redaktion formuliert hat. «Es steht fest, dass wir den Wetlease-Anteil in Zukunft reduzieren wollen», sagte er.
Für Air Baltic hingegen bedeutet das Wetlease-Geschäft einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Stabilität. Das Unternehmen schreibt anders als die Swiss tiefrote Zahlen. Bezahlt wird das bisher vom lettischen Staat, der fast hundert Prozent der Anteile hält. Doch soll die Swiss-Mutter Lufthansa jüngsten Medienberichten zufolge die Übernahme von zehn Prozent des Unternehmens anstreben. Die Unternehmen schweigen bislang dazu.
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