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Historisch tiefe Fleischpreise
Zu viele Schweine: Wie der «Säulistau» die Mäster in die Krise stürzte

Der Überfluss sorgt für historisch tiefe Preise beim Schweinefleisch: Säue auf einem Bauernhof im Kanton Bern.
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«2022 war das schlechteste Jahr, das ich je erlebt habe», sagt Meinrad Pfister. Er führt in Altishofen LU seit zwanzig Jahren einen kombinierten Zucht-/Mastbetrieb mit zehn Muttersauen und 500 Mastschweinen. Nicht nur der historisch tiefe Preis für Schweinefleisch – auch die gleichzeitig gestiegenen Futtermittel- und Energiekosten hätten viele Schweinebauern stark belastet. 

«Ich konnte zwar immer alle Löhne und Futterrechnungen bezahlen, doch ich weiss von anderen Betrieben, die das zwischenzeitlich nicht mehr konnten.» Schlimm sei das etwa für junge Familien gewesen, die viel investiert hatten, sich dafür verschulden mussten und dann in diese Krise geschlittert sind. 

Besonders dramatisch war die Situation im Herbst. In den Schweizer Ställen wurden die Sauen von Woche zu Woche dicker und schwerer. Der Preis für ihr Fleisch lag seit Wochen nur noch bei 3 Franken pro Kilo. Deshalb warteten die Mäster mit dem Verkauf zu, sodass kein Platz frei wurde für die nachkommenden Jungtiere. Es kam zum «Schlachtsauenstau». Tierschutzprobleme drohten, denn es gab kaum genug Platz, damit sich die Tiere umdrehen, hinlegen oder irgendwo den Schmutz abkratzen konnten. Für die Schweinemastbetriebe war es die grösste Krise der letzten Jahrzehnte.

Befreiungsschlag durch Export und Tiefkühlen

Die Ursachen dafür lägen im Schweinezyklus und in der Pandemie, erklärt Heinrich Bucher, Direktor der Branchenorganisation Proviande. «Während Corona fiel der Einkaufstourismus weg, die Leute konsumierten viel mehr im Inland. Das führte zu einer hohen Nachfrage beim Schweinefleisch.» Trotz Warnungen seitens der Verbände seien weiter viele Schweine gemästet worden. Denn in erster Linie schaue jeder Halter für sich. Heisst: «Jeder produziert weiter und hofft, andere würden zurückstecken.»

Ende Jahr musste dringend eine Lösung her. In einer einmaligen Aktion gelang der Befreiungsschlag: Zum einen wurde entschieden, erstmals Schweinefleisch zu exportieren, um den hiesigen Markt zu entlasten. Von den 3980 Tonnen wurde der Grossteil nach Deutschland ausgeführt. 

Zum anderen wurden insgesamt 15’000 Schweine eingefroren – das entspricht 570 Tonnen Schweinefleisch. Sie lagerten seither in Kühlhäusern über die Schweiz verteilt, wo sonst Glaces oder Tiefkühlbeeren aufbewahrt werden. Fleisch tiefkühlen ist eine gängige Massnahme bei zu geringer Nachfrage – nicht aber in dieser Menge. 

Verlust von 200 Millionen Franken erlitten

Die Krise war teuer. Der Verband Suisseporcs beziffert den Verlust insgesamt auf 200 Millionen Franken für das vergangene Jahr.

Auch musste die Branche auf Geld vom Bund zurückgreifen. Aus dem Topf für Marktentlastungsmassnahmen, der in anderen Jahren zur Stützung des Kalbfleischpreises verwendet wurde, wurden 2,1 Millionen Franken für das Tiefkühlen eingesetzt. Dieses Geld ging an die Schlachthöfe, etwa an Micarna von Migros und bei Bell von Coop, als Entschädigung. Denn Gefrorenes hat nicht mehr denselben Wert wie Frischfleisch. 

Auch die andere Massnahme ging ins Geld. «Für die rund 11 Millionen Franken zum Export des Schweinefleisches kamen die Mäster und die Schweinehändler auf», sagt Bucher von Proviande. 

Kühlräume bei Micarna und Bell sind bereits geleert

Im Mai, rechtzeitig zum Start der Grillsaison, hat Proviande entschieden, diese Lager zu öffnen. Das eingefrorene «Schwinigs» landete in der Folge als Cervelats, Fleischkäse oder marinierte Steaks in den Verkaufsregalen. Inzwischen sind die Kühlräume in den Schlachtbetrieben von Migros und Coop geleert. 

Wo sonst Glaces aufbewahrt werden, wurden Ende letztes Jahr 15'000 Schweine eingefroren: Ein Mitarbeiter der Grossmetzgerei Bell AG (BS) scannt die Etiketten, die an den Schweinehälften angebracht sind.

15’000 Schweine mögen nach viel tönen, doch das sind nicht einmal ein halbes Prozent der in der Schweiz jährlich konsumierten Menge. Vergangenes Jahr lag der Schweinefleischverbrauch bei 184’400 Tonnen. Pro Kopf sind das 20,7 Kilogramm – und rund doppelt so viel wie Rindfleisch. 

Die Überproduktion ist nun überwunden. Das heisst aber nicht, dass Schweinefleisch merklich teurer wird. Der aktuelle Preis von 3.80 Franken pro Kilo, den die Mäster erhalten, sei weiterhin zu tief, sagt Pfister. Kostendeckend wären 4.50 Franken. 

Auch an der Supermarktkasse ist Schweinefleisch sehr günstig. Im Coop kosten Cervelats 11.50 Franken pro Kilo. Holzfällersteaks gibt es für 25 Franken. Solche Billigpreise schlagen auf das Image. Schweinefleisch gilt als minderwertig und weniger gesund.

Das ist ein Problem für die Produzenten. «Am schlimmsten sind Dauertiefpreise», sagt Mäster Pfister. «Auch Lockvogelangebote im Laden von 40 bis 50 Prozent stören uns.» Es komme so zu einer ähnlichen Entwicklung wie bei Waschmitteln. Alle Konsumenten warten auf Rabatte und kaufen nur dann Schweinefleisch ein. Pfister sagt: «Deshalb sind uns permanente Aktionen ein Dorn im Auge.»

Der Fleisch-Verbrauch pro Kopf lag 2021 bei 50,8 Kilogramm: In der Schweiz wird viel Fleisch gegessen – besonders während der Grillsaison im Sommer.

In Gesprächen mit den Detailhändlern würden diese Schwierigkeiten diskutiert. «Wir mischen uns nicht in die Margenpolitik der Grossverteiler ein», sagt Pfister, der bis vor kurzem Präsident von Suisseporcs war, dem Verband der Schweinehalter. Dies sei eine unternehmerische Freiheit, der Lebensmittelmarkt sei hart umkämpft. Er ist nicht allzu kritisch, denn: «Die Grossverteiler helfen uns auch wieder, bei saisonalen Nachfrageschwankungen die Absätze anzukurbeln, so zum Beispiel aufgrund von Schwankungen bei Fruchtbarkeitsphasen der Schweine.»

Nur etwa ein Fünftel landet bei den Bauern

Wie wenig vom Betrag, den Konsumentinnen an der Ladenkasse zahlen, bei den Bauern landet, zeigt eine Auswertung der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie hat ergeben, dass beim Schweinefleisch sogar deutlich weniger bei den Tierhaltern landet als beim Rindfleisch. Bei Nierstücken sind es 20 Prozent, bei Hinterschinken im Schnitt 18 Prozent.

Die Studienautoren rund um den Ökonomen Mathias Binswanger führen dies auf die Marktmacht auf der Nachfrageseite zurück. «Viele kleine Anbieter, etwa die einzelnen Tierhalter, treffen auf wenige grosse Nachfrager – die beiden Grossverteiler Migros und Coop.» Unter solchen Bedingungen werde der Produzentenpreis tendenziell nach unten gedrückt, weil die Nachfrager den Preis bestimmen können. «Die Anbieter haben keine Chance, an andere Abnehmer zu verkaufen», heisst es in der Studie. 

Solche Mechanismen will der neue Verein Faire Märkte Schweiz FMS im Detail beobachten. Denn Migros und Coop hätten einen starken Einfluss, sagt Stefan Flückiger vom FMS. Es gelte dann das ökonomische Prinzip: Wenn die Preise sinken, geben die Abnehmer die Reduktion rasch an die Produzenten weiter. «Steigen sie hingegen, profitieren die Produzenten in der Regel erst verzögert.»

Flückiger findet es bedenklich, dass in den nachgelagerten Bereichen wie Verarbeitung und Detailhandel «das grosse Geld verdient wird», gleichzeitig die Preise für die Bauern immer mehr gedrückt würden und diese vom Konsumentenfranken immer weniger bekämen.

Schweinebauer Pfister will eine solche Krise nicht mehr erleben. Er hat den Bestand auf seinem Betrieb um einige Schweine reduziert. Für eine längerfristige Planung wartet er ab, was die nächste Generation machen möchte. «Deshalb», so Pfister, «bleiben Schweine weiter unser wichtigster Betriebszweig, auch wenn die Preise tief sind.»